Jenseits von Eden und Blühwiesenromantik (II)

Über Fehlschlüsse zeitgenössischen Ökoglaubens und die Freude weihnachtlicher Schöpfungstheologie
Bergisches Land
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Aussicht an einem nebligen Morgen, Odental, Bergisches Land, Deutschland (27.11.2021).

Vorgestern eröffnete Günter Thomas seine „Jenseits-von-Eden-Gedanken“, eine kritische Sichtung eine in seiner Augen romantisierenden Öko-Schöpfungstheologie mit dem ersten Teil, den Sie hier lesen können. Heute nun der zweite Teil des Bochumer Systematischen Theologen, der für einen neuen schöpfungstheologischen Realismus plädiert.

3. Jenseits des Ursprungs – Gewalt in allem Leben. Wo stecken die Probleme der ökotheologischen Orientierung? Sie stecken ganz wesentlich in drei reduktionistischen Entscheidungen. Das für viel aktuelle Schöpfungstheologie zentrale Anliegen der Bewahrung einer guten Natur erhält seine vermeintliche biblische Grundierung durch einen dreifachen Reduktionismus. Zunächst werden aus der Fülle der biblischen Schöpfungstexte die beiden Erzählungen in Genesis 1 und 2 herausgeschnitten. Die intensive innerkanonische Debatte um eine Ordnung und eine relative Stabilität der Chaosbegrenzung und Chaosüberwindung, wie sie in Hiob 38; Psalm 104; Hiob 40; Psalm 74; Jesaja 51 und 54 und Psalm 89 geführt wird, fällt damit aus.

Die zweite Reduktion wird wieder mit der Schere vorgenommen – es ist die Herauslösung der beiden Schöpfungsgeschichten in Genesis 1 und 2 aus dem Drama der Urgeschichte, das von Genesis 1-11 reicht. Die dritte Reduktion ist die Auflösung der je eigenen inneren Logik der zwei Erzählungen, indem sie zusammengerührt werden. Die ursprüngliche göttliche Prädikation der Güte („Und siehe, es war sehr gut.“) aus der ersten Erzählung der sieben Tage wird unbekümmert kombiniert mit dem ursprünglichen Bewahrensmotiv aus der Gartenerzählung: Die gute Schöpfung gilt es zu bewahren – vor dem Menschen. So die vielfach variierte Botschaft.

Doch die Kombination aus Herausschneiden und Verrühren verfehlt die Pointe der Erzählungen. Sie verfehlt den schöpfungstheologischen Realismus, der aus beiden Schöpfungsdramen erwächst. Es ist dieser schöpfungstheologische Realismus der biblischen Texte, der einen theologischen Blick auf die Covid-19-Pandemie erlaubt.

Mit fürsorglicher Herrschaft betraut

In Genesis 1, 27 wird die Gottebenbildlichkeit der Gattung Mensch eng mit dem Herrschen über die Tierwelt verknüpft. Die dahinterstehende Königsvorstellung wird jedoch demokratisiert und generalisiert: Alle Menschen sind mit fürsorglicher Herrschaft betraut. Der Mensch als Vertreter Gottes ist befähigt und beauftragt zum „dominium terrae et regnum animalium“.

Nötig ist die Herrschaft, weil Mensch und Landtiere am selben Tag für den gleichen Lebensraum geschaffen werden. Damit stehen sie im gemeinschaftlichen Lebensraum unausweichlich in einem konflikthaften Konkurrenzverhältnis, das nicht nur Koordination und Grenzziehung verlangt. Der Mensch ist im gemeinsamen Lebensraum einer Bedrohung und Gefährdung ausgesetzt, die ein Herrschen als regulatives Intervenieren und gottebenbildliches Unterscheiden erfordern. Die Herrschaft durch Unterscheidung in dem geteilten Lebensraum dient – wie überhaupt das royale Herrschen – der Abwehr des grenzauflösenden Chaos und der Entfaltung des Lebens, dessen Indiz die Fruchtbarkeit ist.

Die Konkurrenz im gleichen Lebensraum erscheint als durch den Menschen immer wieder zu bearbeitender, aber doch lösbarer Konflikt. In dieser Ordnung der Grenzwahrung ist die Tötung von Tieren noch nicht vorgesehen, ebenso wenig wie der Verzehr von Tieren durch Tiere. Aber es ist schon hier eine nicht nur durch die Nacht, sondern für den Menschen durch die Lebenskonkurrenz mit den Tieren chaosbedrohte Welt.

Ursprüngliche Integrität durch Gewalt zerstört

Nicht nur für uns, auch schon für die Autoren des Textes ist ganz wesentlich: Dies ist eine untergegangene Welt, eine definitiv vergangene Möglichkeit. Das Programm der Herrschaft ist gescheitert und doch zugleich notwendig. Deshalb wird es erzählt. Die ursprüngliche Integrität der Schöpfung ist, folgt man Genesis 6,11-13, durch Gewalt in allem Fleisch, das heißt auch in der lebendigen, blutführenden Natur, zerstört. Prägnant heißt es in Genesis 6,11f.: „Und verderbt wurde die Erde vor Gott, und angefüllt wurde die Erde mit Gewalttat. Gott sah die Erde und siehe: sie war verderbt, denn verdorben hatte alles Fleisch seinen Weg auf der Erde.“ Dies ist in scharfer Abgrenzung zur sogenannten Billigungsformel „Und siehe, sie war sehr gut“ (Genesis 1,31) formuliert. Die Arche enthält daher keinen Kinderzoo. Die Tiere in der Arche zeigen etwas Dunkles an: Gewalt in allem Leben! Keine Integrität der Schöpfung. Nirgendwo.

Die Lösung, die die Erzählwelt der Priesterschrift für eine gewaltdurchsetzte Welt anbietet, ist allerdings nichts anderes als eine auf einen hoffnungsvollen Realismus zielende Komplexitätssteigerung. Die falscher Herrschaft erwachsende Gewalt wird nicht überwunden, sondern nur begrenzt. Einerseits darf der Mensch die Tiere töten, andererseits werden sie in den Gottesbund hineingenommen.

Aber es darf nicht übersehen werden, dass am Ende der Flutgeschichte in Genesis 9 mit Blick auf die Tierwelt und auf das Verhältnis zwischen Mensch und Tier die geradezu resignative Einsicht steht: Leben ist auch Räuberei (Alfred North Whitehead). In den Worten Albert Schweitzers: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Chaosbegrenzung und Lebensfürsorge bleiben also verwoben mit riskanter Herrschaft, die in Gewalt umschlagen kann. Und es gibt keinen Weg zurück.

Gegenweltlich radikale Hoffnung

Die Herrschaftsbegrenzung ist keine Roadmap für eine allmähliche Annäherung an das Reich Gottes. Die Möglichkeit eines herrschafts- und somit auch völlig gewaltfreien Verhältnisses zu naturalen Umgebungen wird zur gegenweltlich radikalen Hoffnung. Im Feiern vor Gott wird diese Hoffnung vergegenwärtigt.

4. Jenseits von Eden – die Mühen des Ackers. Auch die zweite Schöpfungsgeschichte, die Paradiesgeschichte, ist ebenso eine Krisengeschichte über eine verlorene Möglichkeit. Der Mensch ist in einen königlich-göttlichen Garten versetzt. Geradezu einem entsakralisierenden Impuls gleichkommend wird der Mensch aus dem gleichen Material wie die Tiere geschaffen – aus dem Staub, dem Ackerboden. Er ist schlicht „Staub, der atmet“.

Aus dem Ackerboden und dem Hauch des Lebens entsteht der Mensch als næpæš, als „Schlund, Rachen, Kehle“ (H.W. Wolff). Der Mensch ist ein Wesen, das Vitalität, sprudelnde Lebensenergie, Leidenschaft, individuelle Lebendigkeit, aber auch Begehren und Begierde ist. Während in Genesis 1 der Mensch eine herrschaftliche Fürsorgeaufgabe hat, ist diese Geschichte geprägt von einer Mühelosigkeit im Bebauen und Bewahren des von der chaotischen Wüste schon ausgegrenzten Gartens. Es ist eine Arbeit ohne die Erfahrung der Vergeblichkeit, der Mühe und des Schmerzes der Lebensweitergabe (Genesis 3, 17ff.). Der Garten ist der Ort einer konfliktfreien Integration in lebensfördernde naturale Umgebungen. So ist er der Ort der fürsorglichen Pflege der Lebensgrundlagen. Im Paradiesgarten kann die „Integrity of Creation“ gelebt und gefeiert werden.

Betrüblich ist nur: Die Welt des Paradieses ist in der biblischen Erzählung definitiv eine vergangene, eine verriegelte, eine unmögliche Möglichkeit. Um jede Illusion zu zerschlagen, um jeder Verwechslung von Vergangenheit und Gegenwart, von Traum und Realität, von Gartenromantik und Lebenserfahrung vorzubeugen, dafür steht (schon in der Story!) am Eingang des Paradieses ein bewaffneter (!) Engel. Ein Engel als Sehnsuchtssperre. Ein Engel als göttlicher Krieger, der aus dem Sehnsuchtstraum in die Realität des Lebens jenseits von Eden zurückweist.

Den Paradiesengel austricksen?

Die Geschichte weiß, wie gerne die Menschen in das Paradies zurückreisen möchten. Wer eine im Kern paradiesische Schöpfung in ihrer „Integrity“ nur bewahren will, müsste diesen Engel austricksen. Oder anders formuliert – die biologische Evolution leugnen.

Die Pandemie verdeutlicht unerbittlich: Außerhalb des Gartens sind die vormals ausschließlich lebensförderlichen naturalen Umgebungen und Grundlagen auch lebenswidrig und widerständig geworden, bis hin zur Grenzlage des verflucht Feindlichen. Die Mühe bereitende Widerständigkeit der naturalen Welt ist es auch, die hart die Endlichkeit vergegenwärtigt (Genesis 3,19). Die Lebensförderlichkeit ist den naturalen Umgebungen mit hohem Einsatz abzuringen. Es gibt widriges „Unkraut“, tatsächlich! Dornen und Disteln auf dem Acker des Lebens (Genesis 3,18). Und die vitale Lebensweitergabe ist schmerzhaft und darin riskant. Leben ist unausweichlich von Antagonismen geprägt.

Und doch: Inmitten aller Daseinsminderung bleibt der Erdling vom Acker abhängig. Natürlich! Aber der Weg ins Paradies, in eine „Integrity of Creation“, in eine nur zu bewahrende Welt bleibt verriegelt. Was auch immer wir in Theologie und Kirche meinen naturreligiös und fromm-romantisch imaginieren zu müssen, wir sind vom Paradies ausgesperrt.

5. Ein befreiender Realismus. Die schöpfungstheologischen Dramen der sogenannten Urgeschichte bieten einen erstaunlichen Realismus – theologisch wie phänomenologisch. Jenseits von Herrschaftsphantasien, jenseits romantischer Harmonievorstellungen und jenseits populistischer Formeln wie „Gott ist ein Freund des Lebens“ bieten schon diese beiden Texte ein komplexes Tableau an Verhältnissen zur Natur. Sie bieten inmitten der Pandemie und inmitten der Klimakrise einen befreienden Realismus. Herrschaft ist riskant und Bewahren ist schwierig.

Weder Natur noch Leben sind Heilsbegriffe

Beide Erzählungen sind näher an Erkenntnissen zu einer evolutionären Welt angesiedelt als so manche aktuelle Schöpfungstheologie. Sie sind in narrativer Form Plädoyers für Komplexität im Verhältnis zu den naturalen Aspekten der Schöpfung. Der Mensch ist unentrinnbar und auf riskante Weise in die Umgebungen „verwickelt“ und integriert. Doch zugleich steht der Mensch diesen Grundlagen unausweichlich auch auf differenzierte Weise gegenüber, sowohl erleidend wie auch abwehrend und ordnend-herrschend.

Notwendig ordnende, fürsorgliche Interventionen in die naturalen Umgebungen geht mit dem Risiko eines Abgleitens in chaoserzeugende und zerstörerische Gewaltverhältnisse einher. Weder Natur noch Leben bieten sich nach diesen Texten an, als post-theistische oder interreligiöse Heilsbegriffe aufgerufen zu werden. Es sind dann weitergehende göttliche Versprechen (in Bundestheologien und in messianischen Verheißungen), die die Natur bzw. die ganze Schöpfung in eine neue Schöpfung einbeziehen und damit die vielfältigen Relationen nochmals dynamisieren – und so letztlich eine radikale Beendigung „räuberischer Verhältnisse“ und der Gewalt erhoffen lassen (Jesaja 11, Römer 8, Apokalypse 21,25).

Bedrängende Erinnerung ans Herrschen

Und Covid-19? Die Pandemie ist eine bedrängende Erinnerung daran, dass der Mensch trotz aller offensichtlichen Risiken sich der Aufgabe des Herrschens nicht verweigern kann. Die Kontingenzen im Prozess der Natur, die Eigenmächte im Prozess der Schöpfung, erfordern so kreative wie riskante Herrschaft. Chaoserzeugende Umgebungen – man könnte auch sagen, evolutionäre Gefahren und Risiken – zwingen den Menschen dazu. Dabei bleibt die herrschaftliche Arbeit an den Gefahren geschöpflich-leiblichen Lebens selbst riskant. Herrschaft bleibt die riskante Antwort auf die Gefahr der chaoserzeugenden Grenzverwischung im gemeinsamen Lebensraum.

Im Imaginationsraum der zweiten Schöpfungserzählung lässt sich formulieren, dass die naturalen Grundlagen und Umgebungen für die Menschen nicht nur lebensförderlich, sondern zugleich lebensfeindlich sind. Mit Beatmungsgeräten und Impfstoffen wird diesen naturalen Grundlagen das Überleben des Menschen in einem von Mühe und Dramatik gekennzeichneten Kampf abgerungen.

Nochmals: Genau darum bauten Christen von Anfang an Kirchen und Hospitäler als Orte der Barmherzigkeit und des Protestes gegen biologisch-naturales Elend. Sie bauten keine Altäre für eine Mutter-Erde-Gottheit. Und: Sie hatten Recht damit! In den anti-evolutionären Krankenheilungen Jesu erkannten sie einen aufzunehmenden Impuls. Die Entwicklung von modernen Impfstoffen schreibt diesen Impuls fort.

(Fortsetzung folgt! Den dritten und letzten Teil des Textes von Günter Thomas lesen Sie am kommenden Montag auf www.zeitzeichen.net)

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