Zukunftsmusik

Theologie und Digitalität

Digitalität ist auch, wenn man gerade nicht aufs Display glotzt. Diese Erkenntnis des Kultur- und Medienwissenschaftlers Felix Stalder sickert langsam in die deutschsprachige Theologie durch – und mit ihr die Einsicht, dass sie sich zu allerhand Digitalisierungsphänomenen verhalten muss. Folgerichtig beginnt das Kompendium Theologie und Digitalität mit einem Interview von Mitherausgeber Wolfgang Beck mit Felix Stalder. Dessen Kultur der Digitalität (Suhrkamp 2016) beeinflusst die Beiträge, die von Wolfgang Beck, Ilona Nord und Joachim Valentin in ihrer Zusammenschau versammelt werden, ganz außerordentlich – und sollte praktischerweise vor Lektüre des Kompendiums gelesen werden.

Ein Einleitungswerk ist das Kompendium nämlich nicht. Der Band umfasst zwar in ökumenischer und interdisziplinärer Offenheit eine Vielzahl theologischer Angriffspunkte digitaler Theologie, die meisten Beiträge allerdings lassen die für Neulinge dringend notwendige Elementarisierung vermissen. Die Autorinnen und Autoren geben vielmehr Einblick in die eigenen Forschungen, die von der Fundamentaltheologie über die Ekklesiologie bis zur Medienethik reichen. Weil die Sammlung den Reigen der theologischen Disziplinen abschreitet, tappt sie nicht in die allgegenwärtige Gefahr des Theologisierens über das Leben in der Digitalität, im Moralisieren hängen zu bleiben.

Eine weitere Stärke des Kompendiums sind die Beiträge von Nicht- oder Nicht-nur-Theologen, die den Rahmen der sonst in der Theologie verhandelten Gegenstände nicht nur weiten, sondern die theologischen Gedankengänge auch zu erden vermögen. Denn es ist Musik drin in der digitalen Theologie, vor allem viel Zukunftsmusik. Nirgends wird dies deutlicher als beim Thema Künstliche Intelligenz, zu der die theologische Reflexion der technischen Entwicklung um Jahrzehnte voraus ist.

Wer sich in der christlichen Theologie mit Digitalität und Digitalisierung beschäftigt, braucht dieses Buch. Interessant, wenn auch nicht leicht zu lesen, sind die Beiträge von Christian Henkel zu analogen und virtuellen Orten aus praktisch-theologischer Perspektive und zu einer philosophischen Anthropologie für eine post-digitale Theologie von Charles Ess. Die Beiträge von Ilona Nord zur religiösen Sozialisation (von Jugendlichen) in der mediatisierten Welt, Thomas Schlag zur Ekklesiologie der Digitalität und Alexander Filipovic zur Medienethik bieten eine Grundorientierung, hinter die eine Weiterbeschäftigung mit digitaler Theologie nicht zurückfallen sollte.

Als eine von drei Grundformen der Digitalität postuliert Felix Stalder die Referentialität, die auch dann unser Leben bestimmt, wenn der Computer aus ist, eben weil wir uns der Digitalität nicht mehr entziehen können. Was den Internet-Memes ihre ständige anlassbezogene und spontane Modifikation ist, sind der Wissenschaft die Fußnoten. Dort offenbart sich eine erfreuliche Offenheit der Digitaltheologen für andere Disziplinen und Einflüsse. An ihre Grenzen stößt diese Offenheit allerdings in der Form der Darstellung, die vor allem akademischen Theologinnen und Theologen bekömmlich sein wird. Kann man über Digitalität und Digitalisierung überhaupt ein Buch schreiben? Der Versuch gelingt, ausgehend von Akademiebeiträgen und auf dem Wege einer strukturierten Sammlung eine Momentaufnahme digitaler Theologie des deutschsprachigen Raumes zu geben. Das ist bereits sehr viel.

Es ist wunderbar, wie offen und technik­affin die christliche Theologie zu denken vermag. Eine notwendige Ergänzung zum sonst in der christlichen Publizistik vorherrschenden erhobenen Zeigefinger. Woran es aber für interessierte Flaneure aus anderen Disziplinen und Öffentlichkeiten noch mangelt, ist eine grundsätzliche Aufklärung darüber, was digitalisierte Theologie, digitale Theologie und Theologie der Digitalität für Gesellschaft und Kirche jenseits von Fachdiskursen bedeuten können.

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