Stille und Dynamik

Sonntagspredigt
Foto: Mario Brink

Die Gedanken zur Sonntagspredigt kommen dieses Mal von Gregor Bloch. Er  ist Pfarrer in Horn-Bad Meinberg.

Heiliger Moment

3. Advent, 12. Dezember

Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haus­halter über Gottes Geheimnisse.
(1 Korinther 4,1)

Der Advent hat etwas Geheimnisvolles. Inmitten einer Jahreszeit, in der Dunkelheit und Licht ein faszinierendes Wechselspiel aufführen, erwarten wir Gott in unserer Welt. Natürlich nicht, weil er zuvor abwesend gewesen wäre und nun wiederkommen müsste. Denn Gott ist schon vorher da. Aber doch herrscht in dieser Phase des Jahres eine innere Anspannung und Vorfreude auf das, was voraus liegt: ein erhoffter heiliger Moment der Freude, des Friedens und der Erfüllung.

Dieser heilige Moment ist das Geheimnis der Advents- und Weihnachtszeit. Wir können ihn nicht produzieren. Er ist vielmehr unverfügbar. Ob er sich aber wirklich einstellt, wissen wir nicht. Und doch gestalten wir diese Zeit des Kirchenjahres ganz bewusst. Wir planen Veranstaltungen, Begegnungen, Gottesdienste und andere Formate – sowohl privat als auch kirchlich. So versuchen wir, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der erwartete heilige Moment Wirklichkeit wird. Der Zusammenhang aus Unverfügbarkeit und Vorbereitung klingt paradox. Und doch ist dies wohl die einzige Möglichkeit, „Haushalter über Gottes Geheimnisse“ zu sein: sich selbst und in Gemeinschaft darauf vorzubereiten, dass Gott uns einen heiligen Moment schenken möge.

Nachdem die Corona-Pandemie die letztjährige Advents- und Weihnachtszeit maßgeblich beeinträchtigte, ist die Sehnsucht nach diesem Moment in diesem Jahr wohlmöglich größer als zuvor. Geben wir also unser Bestes als Haushalter Gottes und Diener Christi, und lassen wir uns zugleich von Gottes Schwung überraschen!

 

 

Aufmerksamer Blick

4. Advent, 19. Dezember

Und der Engel kam zu ihr (Maria) hinein und sprach: Sei gegrüßt du Begnadete! Der Herr ist mit Dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? (Lukas 1,28–29)

Es gibt wohl keine Zeit im Jahr, die so sehr davon geprägt ist, an andere zu denken, wie Advent und Weihnachten. Sicherlich gibt es im gesamten Jahr Anlässe, die zum Denken an andere einladen. Aber in der Advents- und Weihnachtszeit erfolgt dies in verdichteter Weise, nicht zuletzt durch Geschenke und Grußkarten.

Diejenigen, die so bedacht werden, stehen in der Regel fest. Und doch wird es von Jahr zu Jahr vermutlich auch Menschen geben, die anlässlich der Festtage erstmals oder auf neue Weise Aufmerksamkeit bekommen. Und dies kann für sie so überraschend sein wie die Grußworte des Engels Gabriel für Maria.

Vor 55 Jahren, 1966, wurde ein Song veröffentlicht, der bis heute beliebt ist: „Eleanor Rigby“ von den Beatles. Die Musik der Beatles dürfte nicht jeder und jedem zusagen. Aber das Lied „Eleanor Rigby“ zieht viele in den Bann – musikalisch und inhaltlich. Der Song, der größtenteils aus der Feder von Paul McCartney stammt, erzählt vom Schicksal einsamer Menschen wie Eleanor Rigby. Sie sammelt – erzählt der Liedtext – den Reis vom Boden einer verlassenen Kirche, in der zuvor eine Hochzeit stattfand, und stirbt später allein in dem Gebäude. Und die Rede ist auch von einem Pfarrer McKenzie, der in einsamer Nacht seine Socken stopft. Beide Personen stehen in diesem Lied für „all the lonely people“, die unter uns leben und deren Herkunft und Zugehörigkeit kaum jemand kennt. McCartneys „Eleanor Rigby“ gibt Vereinsamten eine Stimme.

Auch wenn das Lied schon älter ist, hat es an Relevanz nicht verloren. Einsamkeit ist auch gegenwärtig eine Facette unserer Gesellschaft. Und zu Weihnachten wirkt sie häufig noch schlimmer als sonst. Die Vorbereitungen auf das Fest können deshalb ein Impuls sein, auch an diejenigen zu denken, die allein und einsam sind. Sicher ist es nicht ganz einfach, herauszufinden, auf wen das zutrifft. Doch vielleicht kennt man solche Menschen. Und wenn nicht, kann uns schon ein aufmerksamer Blick auf Menschen, die uns begegnen, Hinweise geben.Es wäre doch schön, ihnen zum Weihnachtsfest Aufmerksamkeit zu schenken. Das Schöne daran ist, dass sich so ein Potenzial eröffnet, nicht nur anderen Menschen etwas Gutes zu tun, sondern auch sich selbst. Denn vielleicht eröffnet die Begegnung mit diesen Mitmenschen neue Perspektiven für das eigene Leben.

Ziel und Anfang

1. Weihnachtstag, 25. Dezember

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! (1. Johannes 3,1)

Der gestrige Heilige Abend ist mit aller Hektik vorüber. Jetzt ist wirklich Weihnachten. Da mag zwar der eine oder andere Besuch noch anstehen. Aber wir sind in den Festtagen angekommen.

Auch Jesus ist angekommen, Gott in unserer Welt. Doch mehr noch: Er wird Teil unseres Lebens – zumindest, wenn wir an ihn glauben. Wir werden hineingenommen in Jesu Beziehung zu Gott. Durch ihn, den Sohn Gottes, werden auch wir zu Gottes Kindern. Von dieser Überzeugung sind die Worte des Ersten Johannesbriefs geleitet: Wir sind geliebte Kinder Gottes. Mit Jesu Ankommen sind auch wir angekommen.

Weihnachten ist eine Unterbrechung unseres vom Alltag geprägten Jahreskreislaufs. Ein Moment, in dem die Zeit stillzustehen scheint. Doch das ist nur die eine Seite. Weihnachten ist nicht nur Stille und Unterbrechung, es bedeutet auch Dynamik. Denn die Perspektive, dass wir geliebte Kinder Gottes sind, bietet Ressourcen und Potenziale, das Leben auf dieser Welt zu gestalten. Weihnachten ist deshalb beides: Ziel und (Neu-)Anfang zugleich. In dieser zweiten Dimension wird Jesu Ankunft zum Motor für das eigene Leben, der das ganze Jahr in Bewegung setzt, uns auch an anderen (Zwischen-)Zielen ankommen lässt.

 

Spontane Idee

Silvester, 31. Dezember

Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune. (Matthäus 13,30)

Der Jahreswechsel bildet eine Zäsur. Natürlich hört mit Silvester nicht alles auf, was im ausgehenden Jahr begonnen oder weitergeführt wurde. Doch es beginnt etwas Neues. Ein neues Jahr, mit dem viele Menschen nicht selten bestimmte Vorstellungen, Wünsche und Vorsätze verbinden. Wie sehr sich in einem neuen Jahr auch Unvorhergesehenes, ja Unvorstellbares, ereignen kann, haben die vergangenen beiden Jahre gezeigt. Wer hätte zu Beginn des Jahres 2020 gedacht, dass wenige Wochen später eine Pandemie das Leben von Einzelnen und Völkern auf der ganzen Welt auf den Kopf stellen würde?

So ist deutlich geworden: Die Vorstellungen und Wünsche, die wir mit einem neuen Jahr verbinden, sind nicht allein von unserem Willen und Verhalten abhängig, sondern immer auch von Entwicklungen in unserem Umfeld, die wir nicht beeinflussen können.

Das Gleichnis „Vom Unkraut unter dem Weizen“ spricht eine ähnliche Erfahrung an: Der Mensch, der guten Samen auf seinen Acker sät, wird eines Nachts von seinem Feind heimgesucht. Er sät Unkraut auf das Feld und verunreinigt so die Ernte. Und das hat der säende Mensch nicht vorhersehen können. Der Ertrag, den er sich von seiner Arbeit erhofft, liegt nicht allein in seinen Händen, sondern ist abhängig von externen Verhaltensweisen und Entwicklungen. Und just in dem Moment, wo ihm dies klar wird, kommt ihm eine Idee, das Problem zu lösen und den Ertrag zu retten.

Welche Probleme auf uns im anstehenden Jahr zukommen werden, wissen wir nicht. Doch das Gleichnis macht Mut, dass Lösungen für aufkommende Probleme gefunden werden können. Natürlich wird das nicht überall reibungslos verlaufen. Möglicherweise ist dazu wie im Gleichnis ein zusätzlicher Aufwand notwendig. Aber es kann gelingen.

 

Mündige Christen

1. Sonntag nach Epiphanias, 9. Januar

Siehe, das ist mein Knecht, den ich halte, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. (Jesaja 42,1)

In der Bibel gibt es viele Erzählungen über Berufungen oder Beauftragungen durch Gott. Und nicht selten sind damit Zeitenwenden verbunden. Die Berufung des Knechts, von dem der obige Vers handelt, steht im Kontext der großen Wende innerhalb des Jesajabuchs: Das unheilvolle Schicksal des Volkes Israel in der babylonischen Gefangenschaft wendet sich zugunsten einer Perspektive des Heils, das nicht nur Israel, sondern der ganzen Welt zugutekommen soll.

So sonderbar die biblischen Erzählungen die göttliche Berufung einzelner Menschen auch schildern, es stellt sich ihnen die Frage, ob Gottes Berufungen nur besonderen Menschen gelten. Wenn das Merkmal der Berufung darin besteht, dass die berufene Person mit Gottes Geist begabt ist, dann wird man diese Frage verneinen müssen: Denn weil wir als Christenmenschen alle mit Gottes Geist begabt sind, ist auch jede und jeder von uns berufen, in dieser Welt einen Auftrag zu erfüllen.

Welcher Auftrag dies ist, ist für jede/n Getaufte/n unterschiedlich. Der Impuls, sich für ein besonderes Anliegen zu engagieren, kann dem ebenso gerecht werden wie die Erfüllung der alltäglichen Angelegenheiten. Letztlich geht es darum, in dieser von Gott geschaffenen Welt Verantwortung zu übernehmen. Wie dies konkret erfolgt, ist individuell unterschiedlich und in die persönliche Gottesbeziehung eingebettet.

In den letzten Jahren ist vermehrt der Eindruck entstanden, die Verantwortlichen in der evangelischen Kirche wüssten genau, welche konkreten Handlungsoptionen evangelische Christinnen und Christen in unserer Zeit wählen müssen. Dass dabei genuin politische Optionen zur kirchlichen Lehrmeinung erhoben wurden, hat den Diskurs unglücklicherweise vernebelt. Auf diese Weise förderte die evangelische Kirche nicht selten Polarisierungen innerhalb der Gesellschaft, statt Foren für den gemeinsamen Diskurs über gesellschaftliche Probleme bereitzustellen.

Es bleibt deshalb zu hoffen, dass die evangelische Kirche in politischen Fragen wieder bescheidener auftritt. Zugleich ist zu wünschen, dass sie wieder ernst nimmt, dass die Kirchenmitglieder mündig und selber in der Lage sind, der von Gott berufenen Verantwortung in dieser Welt gerecht zu werden: Denn durch seinen Geist können wir das. 

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Foto: Mario Brink

Gregor Bloch

Gregor Bloch ist Pfarrer und theologischer Mitarbeiter des Evangelischen Bundes Westfalen und Lippe. Er wohnt in Detmold.


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