Ursprünge des Lebens

Mannheimer Kunsthalle beleuchtet Wandlungen des Mutterbildes
Theaterscheinwerfer
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de

Mutter Erde und Gott Vater im Himmel: Das Nährende, Bergende überhaupt wird traditionell mit der Mutterrolle verbunden, die entsprechende Funktion im Geistigen oft mit dem Vater assoziiert. So war es die längste Zeit, ist aber auch schon eine Weile nicht mehr ganz zeitgemäß. Was die Mutter betrifft, so bleibt sie Ursprung und Beginn des menschlichen Lebens, jedenfalls bis auf weiteres noch. Und die Frauenfigur als Symbol für Fruchtbarkeit und Leben findet sich in wohl allen Kulturen dieser Welt. Ihr Bild im Lauf der Zeit, die Rollen und Erwartungen, die mit der Mutter verbunden werden, reflektiert die Mannheimer Kunsthalle in einer kulturhistorisch weit ausgreifenden Schau.

Unter dem nachdrücklichen Titel „Mutter!“ präsentiert das Museum noch bis zum 6. Februar etwa 150 Objekte, darunter sechzig Kunstpositionen. Illustre Namen wie Pablo Picasso oder Egon Schiele werden aufgeboten, dazu neuere wie Louise Bourgeois – und viel ältere wie Dieric Bouts. Doch im Zentrum steht nicht so sehr die Kunst als solche; für sie interessiert man sich in dieser Kooperation mit dem dänischen Louisiana Museum of Modern Art vor allem in ihrer Funktion als Träger von Ideen und Wertvorstellungen. Zeitgeschichtliche oder wissenschaftliche Exponate erhalten ebenso Aufmerksamkeit: anatomische Modelle, Emma-Hefte oder Antibabypillen. Der Schwerpunkt liegt auf dem 20. und 21. Jahrhundert. Zuvor war die Variationsbreite nicht allzu sehr ausgeprägt, dann aber stellt die feministische Bewegung die traditionelle Rolle der Frau nachdrücklich infrage. Und in jüngster Zeit lösen sich Geschlechterrollen noch weiter auf, werden biologische Unterschiede zugunsten kultureller Faktoren als viel weniger einflussreich begriffen – und leben immer mehr Menschen gemäß diesen Überzeugungen.

Kontinuitäten bleiben aber doch; die christliche Darstellungstradition der Muttergottes prägt auch noch zeitgenössische Kunst. Dieric Bouts’ Mitte des 15. Jahrhunderts geschaffene Madonna mit Kind hat in ihrer lebendigen Darstellung nichts an Kraft eingebüßt. Sie steht in der Schau für die Tradition, deren Fortwirken etwa Cindy Sherman zeigt; Sherman wirft die Frage auf, ob das alte Leitbild noch lebendig ist, ihre Darstellung hat eine künstlich-mechanische Note, scheint eine Entfremdung von Mutter und Kind anzuzeigen. Auch Sherman hinterfragt das alte, meist von männlichen Künstlern fortgeschriebene Idealbild, wonach Mütter immerzu lieben, verzeihen und sich aufopfern (müssen). Picassos erst 1971 gemalte „Mutterschaft“ vollzieht nur formal einen radikalen Bruch mit der Tradition, inhaltlich sieht man im Grunde noch immer die reine Madonna mit Kind. Suzanne Valadon setzte dagegen schon fünfzig Jahre früher andere Akzente; ihr Bildnis von Mutter und Tochter reflektiert eine komplexe Beziehung zu verschiedenen Lebenszeiten.

Die neuere hier gezeigte Kunst stammt bevorzugt von Frauen. Oft ist sie autobiografisch motiviert. Und nicht nur bildende Kunst ist vertreten. In einer Ecke ertönt der melancholische Song „Little Green“ der Popmusikerin Joni Mitchell, in dem sie mit glockenklarer Stimme reflektiert, wie sie ihre neugeborene Tochter 1966 zur Adoption freigab. Die jüngste Arbeit ist eine Installation der französischen Künstlerin Laure Prouvost. Ihre „Mootherr“ ist ein krakenartiges Muttertier mit vielen Brüsten, das gewiss nicht nur heile Ansichten bietet – so wie es auch dem vielfältigen Bild der Mutter entspricht. Angesichts des schier unerschöpflichen Themas muss nicht verwundern, dass die Schau auch erschöpfen kann. Der künstlerische Wert droht vielleicht etwas zu kurz zu kommen angesichts der umfassenden Absicht, Kultur- und Zeitgeschichte zu reflektieren. Der rote Faden gerät aber nie aus dem Blick. Und gewiss bleibt hier immer eins: Dieses Thema geht alle an.

 

Informationen:

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