Starke, junge Frauen sind jetzt dran. Kein Wunder, dass da auch Sophie Scholl wieder besonders ins Blickfeld kommt. Vielfältig wurde sie aus Anlass ihres 100. Geburtstags gewürdigt. Eine Ikone des Widerstands gegen den Nationalsozialismus ist sie ja schon lange, Vorbild vor allem für die Jugend, berühmt genug, um als Identifikationsfigur auf einer Querdenker-Demonstration missbraucht zu werden. So lag es nahe, im Gedenkjahr auch eine Biografie herauszubringen, die sich als „leicht lesbare Einstiegslektüre“ vor allem an jugendliche Leserinnen und Leser richtet. Werner Milstein hat das für das Gütersloher Verlagshaus übernommen, sehr fix offenbar. Jedenfalls gibt er als seine Quellen auch die beiden neuesten, erst im Herbst 2020 erschienenen Sophie-Scholl-Biografien an.

Milstein setzt keine Kenntnisse über die Geschichte des Nationalsozialismus voraus, sondern nimmt das kurze Leben der Sophie Scholl zum Anlass, über die wichtigsten Geschehnisse dieser Jahre zu informieren. Knapp, nüchtern und präzise berichtet er von den Unruhen der 1920er-Jahre, der nationalsozialistischen Machtübernahme, dem Beginn der Judenverfolgung, der Ausstellung „Entartete Kunst“, der Pogromnacht, der Euthanasie, dem Kriegsbeginn und der Kriegswende nach der Schlacht um Stalingrad. Die Bedeutung dieser Ereignisse bleibt dabei etwas blass, weil Milstein mit gleichgewichtiger Informationslust auch den jeweiligen Wohnorten der Sophie Scholl nachgeht und den biografischen Daten der Menschen, mit denen sie irgendwie zu tun hatte – egal, ob es sich um Renée Sintenis handelt, von der Sophie Scholl ein Buch besaß, oder die Leiterin der BDM-Gruppe, die sie bewunderte, oder einen Vertreter der katholischen Erneuerungsbewegung, der sie beeinflusste. In der Fülle der lexikalischen Kurzinformationen verliert sich manchmal der Spannungsbogen.

Sophie Scholl als Person bekommt wenig Kontur. Wohl werden ihre Lebensstationen genau beschrieben, als begeistertes Naturkind, leidenschaftliche Leserin, begabte Zeichnerin und radikale Gottsucherin wird sie vorgestellt, aber ihre Beweggründe bleiben oft im Dunklen. Nicht ganz klar wird, warum sie als zunächst begeistertes BDM-Mädel dann doch mit 16 Jahren schon zur Gegnerin des Nationalsozialismus wurde. Rätselhaft bleibt, warum sie ihre Beziehung zu Fritz Hartnagel offenbar ambivalent erlebte. Auch was sie nun selbst am Nationalsozialismus wirklich empörte, wird nicht ganz deutlich.

Werner Milstein verzichtet konsequent auf Deutungen, positiv könnte man sagen: Er macht sich kein Bild von Sophie Scholl, bringt sie den Lesenden aber somit auch nicht nahe. Es ist schon erstaunlich, dass er, dem an Information doch viel gelegen ist, es nicht für nötig hält, wenigstens zu erklären, warum Sophie Scholl zunächst eine Ausbildung als Kindergärtnerin machte, bevor sie das Studium in München begann. Freundinnen und Lehrer werden zitiert, um sie zu charakterisieren – einerseits natürlich als ein ganz besonderes junges Mädchen, das ebenso keck und fröhlich wie ernst und geradlinig, klug und mutig ist, andererseits aber auch – vor allem gegen Ende hin – „ein wenig undurchschaubar“ oder sogar „unscheinbar“ wirkt.

Auch hier enthält sich der Autor einer eigenen Einordnung. Gerade, weil Sophie Scholl für Jugendliche auch heute von Bedeutung bleibt, hätte man sich für diese Biografie noch mehr Klarheit und literarische Leidenschaft gewünscht.

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Angelika Obert

Angelika Obert ist Pfarrerin im Ruhestand in Berlin. Sie war bis 2014 Rundfunk- und Fernsehbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb).


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