In die Debatte integrieren

Welchen Platz haben Nicht-Glaubende im Diskurs von Religionen und Kulturen?
Foto: Ramona Baur

In den 2000er-Jahren war es das Ziel der deutschen Integrationspolitik, neben den Kirchen zivilgesellschaftliche Initiativen des Dialogs der Religionen und Kulturen aufzubauen. Inzwischen gibt es hunderte multireligiöse Dialoginitiativen, die sich für den Abbau von Vorurteilen einsetzen. Weitere Vorhaben sind die Verbesserung der „gemeinsamen gesellschaftlichen Lebenswelt” und die gemeinsame Gestaltung des Zusammenlebens vor Ort. Diese Dialoge und gesellschaftliche Partizipation von Teilnehmenden verschiedener Religionen werden umso wichtiger, je pluralistischer eine Gesellschaft verfasst ist.

Wenn aber eine gesamtgesellschaftliche Integration gelingen und die gemeinsame Lebenswelt zum Wohl aller verbessert werden soll, dann müssen solche Diskurse auch nicht-gläubige Menschen miteinschließen: Atheisten und Atheistinnen, Nichtreligiöse und alle, die sich keiner der Kategorien zuordnen lassen (wollen). Welchen Platz haben sie im Dialog der Religionen und Kulturen? Welcher Platz wird ihnen vonseiten der Religionen und ihren Institutionen angeboten?

Dass gesellschaftspolitische und religiöse Anliegen miteinander verknüpft sind, ist aus Perspektive der Religionen an sich nachvollziehbar. Für sie gehören Gottesdienst und der Dienst am Menschen zusammen. Gehören dann nicht auch die Menschen zum Dialog der Religionen und Kulturen, die keine religiöse Bindung (mehr) haben? Interreligiöse Dialoge sind zwar ein wichtiger Ansatz, aber sie bedeuten leider auch den Ausschluss von Nicht-Religiösen und Nicht-Glaubenden. Wenn sich Dialoggruppen in ihrer Religiosität verbunden im Friedensgebet auf öffentlichen Plätzen versammeln, dann wird dem nicht-religiösen Teil der Gesellschaft indirekt eine Grenze bewusst gemacht. Dann wird die Bedeutung von Religion betont, die von „den Anderen” vielleicht nicht genug beachtet wird – und damit ihre Exklusion beziehungsweise ihr Defizit deutlich gemacht.

Auch der französische Philosoph Michel Foucault sieht Diskurse von Praktiken des Ausschlusses geprägt: Es gibt Subjekte, die dazu berechtigt sind, am Diskurs teilzunehmen oder ihn zu lenken, und es gibt Subjekte, die davon ausgeschlossen bleiben. Einen großen Einfluss hat dabei nicht nur die sprachlich-inhaltliche Ebene, sondern auch die institutionelle Ebene, die Infrastruktur: Sie bedingt, wer die Hörenden und Sprechenden in Diskursgemeinschaften sind, wer die Diskurshoheit und wer keine Rechte besitzt. Dabei darf die Prozesshaftigkeit solcher Diskurse nicht vergessen werden: Entwicklungen von Gesellschaft, anerkannten „Wahrheiten“ sowie Institutionen sind unaufhaltsam und verändern wechselseitig Diskurse mit ihren Regeln.

Doch die Entwicklungen dieser Bereiche laufen nicht unbedingt synchron ab. Wo sich Gesellschaften und ihre Diskurswahrheiten ändern, werden sich Institutionen nicht gleichzeitig an diesen Prozess anpassen. Während zum Beispiel immer mehr Menschen aus den Kirchen austreten, bleiben die institutionellen Rahmenbedingungen der Kirchen, ihre Präsenz im Staat und auf dem Arbeitsmarkt weitgehend gleich. Nicht selten leiden unter dieser Infrastruktur die über 27 Millionen Menschen in Deutschland, die keiner religiösen Weltanschauungsgemeinschaft angehören. Ob diejenigen, die aus der Kirche ausgetreten oder nicht offiziell Teil einer Religion sind, ihren Glauben verloren haben oder schlichtweg kein Gehör für ihre (nicht-)religiösen Anliegen gefunden haben, kann an den Zahlen nicht abgelesen werden.

Deshalb wäre es umso wichtiger für Institutionen wie die Kirchen, mehr Dialogorte zu schaffen, die solche Fragen versuchen zu klären. Hier geht es darum, Diskussionen Raum zu geben – für unterschiedliche Weltanschauungen, für Glaubende und Nicht-Glaubende und alle zwischen den Grenzen. Es geht darum, institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die Pluralität von Religionen und Weltanschauungen in der Gesellschaft angemessen repräsentiert und zu Wort kommen lassen.

Initiativen wie der Vorhof der Völker, ein Dialog zwischen Glaubenden und Nicht-Glaubenden in Berlin, sind ein Beispiel dafür, dass solche Begegnungen möglich gemacht werden können und gesellschaftliche Resonanz finden. Bis jetzt scheint es aber nicht sehr viele solcher Projekte zu geben. Es wäre für einen gemeinsamen Diskurs wichtig, dass Kirchen das Gespräch mehr mit Menschen außerhalb ihrer Institution suchen. Dass sie denjenigen zuhören, die entweder keinen Glauben haben, ihn verloren haben oder an ihm zweifeln. Letztendlich würden sie damit auch ein Zeichen für offene Kommunikation setzen und den gesamtgesellschaftlichen Dialog fördern.

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