In der Pfalz lebt es sich wie im Paradies, sagt man, und das liegt sicher auch am guten Wein, der hier gedeiht. Die Verbindung zwischen Himmel und Rebensaft ist älter und inniger als geahnt, wie man auf dem Biblischen Weinpfad bei Kirrweiler erfährt. Unser Autor Martin Glauert ist ihn entlanggegangen und hat die Bibelstellen nachgeschlagen.
Direkt am Ortsrand liegt der Weinberg und hier, an der Friedhofskapelle, beginnt auch der Spazierweg durch die Weinstöcke. Am Horizont leuchtet das Hambacher Schloss inmitten des großen Pfälzerwalds hell in der Sonne, der Ausblick ist herrlich. Aber auch Einblicke gewinnt der Spaziergänger, dazu regen die zehn Stelen aus Sandstein an, die über die Strecke verteilt am Wegrand stehen. Kleine Bilder und in Metall gestanzte Texte handeln vom Wein und seiner Erwähnung in der Bibel. An mehreren hundert Stellen ist in ihr vom Wein die Rede, von der Urzeit bis hin zu Jesus Christus und sogar über ihn hinaus. Wer bisher geglaubt haben mag, das Christentum sei eher eine Abstinenzlerbewegung, wird rasch eines Besseren belehrt, denn ganz im Gegenteil: Der köstliche Trank spielt durch die Jahrtausende eine enorm wichtige Rolle.
Direkt nach der Sintflut geht es schon los. Sobald Noah mit seiner Arche auf dem Berg Ararat gelandet und das Land wieder trocken war, kümmerte er sich um das Überleben und Wohlergehen seiner Familie. Offenbar hatte er nicht nur Tiere an Bord, sondern auch Rebstöcke. Sogleich machte er sich an die Arbeit. „Und Noah, der Ackerbauer, war der Erste, der einen Weinberg pflanzte“, heißt es im 1. Buch Mose, der Genesis. Somit erleben wir den ersten Winzer der Bibel! Allerdings muss er es mit dem Probieren wohl etwas übertrieben haben. Schon im nächsten Vers nämlich wird berichtet, dass der gute Stoff ihn umgehauen hat. „Und er trank von dem Wein und wurde betrunken, und er entblößte sich im Innern seines Zelts.“ Als sein Sohn Ham seinen nackten Vater entdeckte, holte er seine zwei Brüder Sem und Jafet herbei und machte sich über den Betrunkenen lustig. Diesen beiden aber war die Situation ausgesprochen peinlich, sie deckten den Vater taktvoll zu. Als der wieder nüchtern wurde und vom Verhalten seines Sohnes erfuhr, gab es einen Riesenkrach. Noah verfluchte seinen Jüngsten und wünschte ihm, fortan nur „Diener der Diener“ zu sein.
Der Kirrweiler Bibelpfad führt fast ohne Steigung drei Kilometer durch die Wingerte. Im Herbst färben sich die Blätter bunt, grüne und dunkelblaue Trauben lachen den Wanderer verlockend an. Am liebsten würde man sie sich direkt in den Mund stecken und eine gute Portion mit nach Hause nehmen, aber das sollte man sich dem Winzer zuliebe tunlichst verkneifen. „Wenn du in den Weinberg deines Nächsten kommst, darfst du Trauben essen nach Herzenslust, bis du satt bist, aber in dein Geschirr darfst du nichts tun“, weiß schon das 5. Buch Mose. Also flanieren wir weiter und genießen nur mit den Augen. Gelegentlich sind am Wegrand ausrangierte Maschinen und Werkzeuge für die Weinverarbeitung ausgestellt. Das holt den Wanderer bei aller landschaftlicher Idylle in die Wirklichkeit zurück und erinnert daran, dass ein Weinberg auch ein Arbeitsplatz ist. Und ein solcher kann schon einmal erhebliche Probleme mit sich bringen.
Da ist zum Beispiel der Tarifkonflikt zwischen dem Winzer und seinen Arbeitern, von dem Matthäus berichtet. Ganz früh am Morgen handelt der Gutsbesitzer den heutigen Lohn aus und schickt die Arbeiter in die Weinberge. Drei Stunden später trifft er auf dem Marktplatz weitere Tagelöhner ohne Beschäftigung an und engagiert auch sie. Das gleiche wiederholt sich sechs, neun und elf Stunden nach dem Arbeitsbeginn. Kurz darauf ist dann schon Feierabend. Bei der Auszahlung des Lohnes kommt es fast zum Tumult, als der Winzer jedem Arbeiter den gleichen Lohn auszahlt, ganz gleich, wie lange er gearbeitet hat. Die Frühschicht fühlt sich zutiefst ungerecht behandelt, schließlich haben sie sich seit dem Morgengrauen in der Hitze abgerackert und bekommen nun nicht mehr als die „Faulenzer“ der Spätschicht. Der Gutsherr aber weist sie ab, da sie ja den vereinbarten Lohn bekämen und keinen Nachteil hätten. Liest man die Bibel mit modernen Augen, könnte man darin die Anwendung eines bedingungslosen Grundeinkommens erkennen, zumindest aber eine deutliche Absage an die Leistungsgesellschaft.
Doch es kommt in den Schriften noch schlimmer, der Weinberg wird zum Schauplatz von Betrug, Gewalt und Mord. Dieser Kriminalfall beginnt zunächst harmlos: Ein Gutsbesitzer verpachtet seinen Weinberg und geht eine Weile ins Ausland. Als er zurückkehrt und seine Angestellten schickt, um die Pacht zu kassieren, werden diese von den zahlungsunwilligen Weinbauern kurzerhand verprügelt und verjagt. Beim zweiten Versuch kommt es sogar zu Tötungsdelikten, sie werden erschlagen und gesteinigt. Schließlich schickt der Besitzer seinen Sohn in der Annahme, dass dieser genügend Respekt ausstrahle und ungefährdet sei. Das erweist sich als fataler Irrtum. „Als aber die Weinbauern den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Kommt, wir wollen ihn töten und sein Erbe an uns bringen! Und sie packten ihn und stießen ihn aus dem Weinberg und erschlugen ihn.“ Wie der Fall ausging, ist nicht bekannt.Woher nehmen und nicht stehlen? Auf der Hochzeitsfeier in Kana ist der logistische Gau eingetreten: Der Wein ist ausgegangen, die Stimmung der Gäste kippt. Da erweist es sich als Glücksfall, dass man diesen Wanderprediger aus Galiläa und seine ärmlich gekleideten Begleiter eingeladen hat. Man hat munkeln hören, dass er Wunder tun könne, und tritt an ihn heran mit der verzweifelten Bitte, das Problem zu lösen. Jesus zögert zunächst, doch dann hat er ein Herz für die Weintrinker. Sechs steinerne Krüge lässt er bis oben hin mit Wasser füllen und dem Speisemeister zur Kostprobe vorführen. Der aber schmeckt nur Wein der besten Qualität und ist ein wenig erstaunt, dass der Bräutigam den besten Tropfen bis zum Schluss aufgespart hat. Böse Zungen behaupten, Jesus habe damit die Schorle erfunden, die bis heute in der Pfalz so beliebt ist.
Der Weingenuss vermag, den Menschen in einen Zustand der Glückseligkeit zu versetzen, der dem Gefühl der Liebe nahekommt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass in der Poesie Wein und Liebe häufig nah beieinander zu finden sind. So auch im Hohelied Salomos, einer hemmungslos romantischen Liebesdichtung, die in ihrer erotischen Offenheit manch einem frommen Leser die Schamesröte ins Gesicht treibt. „Trauben am Weinstock seien mir deine Brüste, Apfelduft sei der Duft deines Atems, dein Mund köstlicher Wein, der glatt in mich eingeht, der Lippen und Zähne mir netzt. Dein Schoß ist ein rundes Becken, Würzwein mangele ihm nicht.“ Und die Geliebte antwortet ebenso poetisch wie frivol: „Früh wollen wir dann zu den Weinbergen gehen und sehen, ob der Weinstock treibt, ob die Rebenblüte sich öffnet. Dort schenke ich dir meine Liebe.“ Von weinselig zu liebestrunken ist es manchmal nur ein kleiner Schritt, und dagegen ist eigentlich auch nichts einzuwenden. Nur einen ganz bestimmten Fehltritt darf man sich nicht leisten, warnt Jesus Sirach: „Mit einer verheirateten Frau sitz nie zusammen, auch vermeide Weingelage mit ihr, damit du ihr nicht deine Seele zuwendest und du in deiner Leidenschaft nicht ins Verderben stürzt!“ Und damit sind wir bei den Risiken des übermäßigen Alkoholgenusses, die ausgerechnet der Weinliebhaber Sirach unverblümt schildert: „Schon viele hat der Rebensaft zu Fall gebracht. Zu viel Wein ist eine Falle für die Toren, er schwächt die Kraft und schlägt viele Wunden.“
Eine blutige Wunde im ganz wörtlichen Sinn schlug Judith, und dabei spielte der Wein die entscheidende Rolle. Die assyrischen Truppen unter ihrem grausamen Feldhauptmann Holofernes standen vor den Toren Jerusalems, für die Israeliten schien der Untergang unausweichlich. Die tapfere Judith aber ging direkt ins Zelt des gefürchteten Anführers und bezirzte ihn. Was dann geschah, berichtet die Bibel hautnah: „Als sie sich niederlegte, geriet das Herz des Holofernes ganz außer sich, und seine Seele erbebte und er entbrannte vor Begierde nach ihr. Und Holofernes sprach zu ihr: Trink doch und vergnüge dich mit uns! Und Holofernes wurde ihretwegen immer ausgelassener, und er trank so viel Wein, wie er noch nie im Leben an einem einzigen Tag getrunken hatte. Judith aber blieb allein in dem Zelt zurück mit Holofernes, der vornüber auf sein Bett gefallen war. Denn er war völlig betrunken. Und sie ging zum Bettpfosten am Kopf des Holofernes, nahm sein Schwert herab, trat ganz nah an das Bett heran, packte das Haar seines Hauptes und schlug zweimal auf seinen Nacken, so stark sie nur konnte, und hieb ihm den Kopf ab.“ Damit rettete sie ihr Volk. Kein Arsen, kein Nowitschok war da im Spiel, lediglich Wein in Überdosis.
Letztes Limit
Deshalb halten wir uns doch lieber an den Fachmann Jesus Sirach und seinen Rat: „Sei kein Held beim Weinsaufen; denn der Wein bringt viele Leute um. Wenn man zu viel davon trinkt, bringt er Herzeleid, weil man sich gegenseitig reizt und miteinander streitet. Die Trunkenheit macht einen Narren noch toller, bis er strauchelt und kraftlos hinfällt und sich verletzt.“ Diese Jahrtausende alte Warnung in gesetzten Worten findet heute ihr modernes Äquivalent in den Fernsehspots, die Jugendliche darüber aufklären, wie gefährlich ein Vollrausch ist. Die Message lautet kurz und knapp: „Kenn dein Limit!“
Das letzte Limit, dass wir alle kennen, ist unser Lebensende. Was aber erwartet uns danach, und vor allem: gibt es im Himmel Wein? Diese Frage zu beantworten, hilft die letzte Stele am Kirrweiler Weinpfad. Die Zeichen stehen günstig. Beim letzten Abendmahl spricht Jesus zu seinen Jüngern: „Ich werde von nun an nicht trinken von dem Gewächs des Weinstocks, bis das Reich Gottes kommt.“ Dann aber hat die Abstinenz ein Ende? Eindeutiger und zuversichtlich äußert sich der Prophet Jesaja, der für die Zeit nach dem Jüngsten Gericht weissagt: „Der Herr der Heerscharen wird auf diesem Berg für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den feinsten, fetten Speisen, mit erlesenen, reinen Weinen.“ Das sind Aussichten, die nicht nur die Pfälzer froh machen!
Informationen
Biblischer Weinpfad bei Kirrweiler in der Pfalz. Der Weg ist etwa 2,5 km lang und barrierefrei. Start- und Endpunkt des Rundwanderwegs ist der Friedhof in Kirrweiler.
Friedhofstraße, 67489 Kirrweiler/Pfalz, nahe Neustadt/Weinstraße.
Martin Glauert
Martin Glauert ist Arzt, Theologe und freier Autor der "zeitzeichen". Er lebt in Kassel.