Heimat

Zwischen zwei Welten

Einen Herzinfarkt später ist meist auch Anlass zurückzuschauen. Bei Ozan Ata Canani erfolgt das auf einigermaßen ver­schlungenem Wege, doch da ist er nun, der Blick zurück, und dies irritierend aktuell. Von dem 1963 geborenen Sänger, Songschreiber und Saz-Spieler kennen wir schon „Deutsche Freunde“, das er für die Kompilation Songs of Gastarbeiter mit Musikern von früher neu eingespielt hat (siehe zz 4/2014). Die Bänder gingen bei einer Trennung verloren, von denen es für Mehmet Kösger einige gab, wie der als Kind Hergezogene sonst heißt. Der Bruch mit dem Vater war wohl die schmerzhafteste.

Zweite Generation also, mit den Stationen Maras/Südosttürkei, Bremerhaven, Köln, jetzt Leverkusen. Darauf verteilt ein Leben („es kamen Menschen ...“) mit Freundschaften, Anfeindungen (Ausländer raus!, Nagelbombenattentat, Hakenkreuze am Haus) und viel Musik. Früh war er sehr gut auf der auch Baglama genannten Langhalslaute, spielte auf Hochzeiten und schrieb eigene Songs, von denen etliche auch auf dem üppigen, sozusagen „Indie“-Cassettenmarkt kursierten. Und nannte sich Ozan Ata Canani – Ozan ist der Liedermacher oder überhaupt einer, der Gedichte liest und dichtet. Ata war sein Spitzname als Kind, denn es gab so viele Mehmets in der Familie. Canani heißt: der mit dem Herzen gibt und nimmt. Mit seinen Liedern wollte er das Leben zeigen, wie es war und ist, zwischen zwei Welten, mit Sehnsucht und zu oft zurückgeworfen auf vernagelte Schwarzkopf-Ablehnung.

Damit das auch wirklich alle Gäste verstanden, sang er bald auch auf deutsch. Fünf der elf Songs auf dem nun ersten „richtigen“ Album „Warte mein Land, warte“ sind ohne die Übersetzung im Beiheft zu verstehen, wobei die Melodie seiner ersten Sprache markant durchscheint. So, wie bei uns und Angela Merkel im Englischen. Es hat was, gehört dazu. Geschrieben hat er diesen Songzyklus Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre, neu eingespielt wie „Deutsche Freunde“ 2013, jetzt final abgemischt. Rückblick auf Umwegen, wie gesagt, aber wer die Saz mag, sitzt gleich mit im Boot. Groovy.

Musikalischer Liebling ist das feist rollende „Marașlim“, bei dem man an Cem Karacas Anadolu-Rock denken mag, der just zu jener Zeit hier im Exil war. Vom Text her ist es aber eindeutig der berührende Titelsong: „Warte mein Land, warte/Ich komm ganz gewiss,/Du bist fern und ahnst ja nicht,/wie ich dich vermiss .../Auch wenn Mann im Sarg ist,/ .../ich komm ganz gewiss“. Das sind mindestens zwei Beine tief im Kitsch, aber hier geht das. Erstaunlich – und wohltuend. Volksmusik, die wir mögen. Schnörkellos und tough politisch ist Canani auch („deutsche Waffen, deutsches Geld ...“). Wegen der Umwege ist das ästhetisch nah an den mittleren 1980er-Jahren und Wackersdorf dazu das Stichwort. „Warte mein Land, warte“ ist insofern auch ermutigend aktuell.

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