Die Erde heizt sich schneller auf als noch vor kurzem gedacht. Bei der derzeitigen Entwicklung wird sie bereits gegen 2030 um 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter wärmer sein, zehn Jahre früher als noch 2018 prognostiziert. So lautet eine der Aussagen im aktuellen Bericht des Weltklimarats IPCC. Eine weitere Prognose der Klimaforscher: Starkwetterereignisse wie Hitzewellen, Regen oder Dürre werden zunehmen.
Was das heißt, haben viele Menschen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen beim verheerenden Hochwasser in diesem Sommer erlebt. Auch die Landwirte in Deutschland wissen mittlerweile sehr genau, was Dürre bedeutet. Und man muss kein Apokalyptiker sein, um sich brennende Wälder, wie wir sie in Griechenland, Italien und der Türkei gesehen haben, auch in Brandenburg vorzustellen.
Wir sind also mittendrin im Klimawandel – und im Wahlkampf. Der neue Bundestag, den wir in einigen Wochen wählen, steht vor einer großen Aufgabe. Denn, so eine weitere Aussage des IPCC: Ohne eine sofortige, rasche und umfassende Reduktion der Treibhausgasemissionen wird eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad nicht einzuhalten sein.
Genug Gründe also dafür, dass Klimaschutz das entscheidende Wahlkampfthema sein sollte. Und bis auf die AfD, die weiterhin die Verantwortung des Menschen für den Klimawandel abstreitet und in ihrem Wahlprogramm tatsächlich darauf hinweist, dass „Warmzeiten immer zu einer Blüte des Lebens und der Kulturen führten“, halten auch alle Parteien den Klimaschutz als Ziel für wichtig. Doch der notwendige Streit über den konkreten Weg zur Klimaneutralität fällt bislang nahezu aus. Woran liegt das? Klimaschutz ist außerhalb der grünen Kernwählerschaft kein Winner-Thema. Egal, wie engagiert jetzt gehandelt wird, es wird noch schlimmer kommen, noch ein paar Jahrzehnte lang. Denn das Klimasystem ist träge, auch sofortige Null-Emissionen würden mehr Hitzetote, mehr Hochwasser und steigende Meeresspiegel nicht verhindern. Das bedeutet: Die Parteien müssen ihren Wählerinnen und Wählern große Veränderungen ihrer Lebenswelt zumuten und können als Ausgleich nur anbieten, dass das Allerschlimmste vielleicht ausbleibt. Kein guter Wahlkampf-Slogan!
Deshalb wird das Thema bei Union, SPD und FDP zum Arbeitsplatzbeschaffungs- und Innovationsthema, das die deutsche Wirtschaft wieder weltweit nach vorne bringt, und bei der Linken zur einer weiteren Variante des Antikapitalismuskampfes („Wir legen uns mit den Konzernen an“). Das nennt man Klientelpolitik und so funktioniert Wahlkampf. Aber solange für Olaf Scholz das „wichtigste Gesetz“ nach der Wahl die Erhöhung des Mindestlohns bleibt, die FDP darüber klagt, dass es „nie mehr zu tun gab“, aber dann doch den konkreten Klimaschutz der deutschen Ingenieurskunst überlassen will und die Unionsparteien vor allem mit weniger Bürokratie und gedeckelten Steuern die Wirtschaft „entfesseln“ wollen, mutet der Wahlkampf recht fossil an. Bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung sich und den Menschen mehr zumutet, als die gestanzte Wirklichkeit des vergangenen Jahrhunderts. Denn die können wir uns in einer Welt, die knapp zwei Grad wärmer ist als heute, nicht mehr leisten.
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".