Ruppig rüder Rechtsstaat

Auch die Justiz hat keine zweite Chance für den ersten Eindruck
Foto: Harald Oppitz

Diese Woche stand ich vor Gericht. Für alle, die sich jetzt schon auf ganz viele Kolumnen freuen, weil ich hinter schwedischen Gardinen nun viel Zeit zum Schreiben habe: Zu früh gefreut! Ich war Zeugin. Vor zwei Jahren hatte ich ein illegales Autorennen beobachtet und das bei der Polizei angezeigt. Sollte ich tatsächlich noch einmal die Gelegenheit haben, außerhalb des Nürburgrings jungen Männern beim Spiel mit hochgezüchteten Motoren zuzusehen – ich würde natürlich nicht zögern, wieder die Polizei anzurufen.

Nun ja, ich würde vielleicht doch ein bisschen zögern. Denn unser Staat beglückt seine zeugnisbereiten Bürger*innen zunächst mit einem Einladungsschreiben zur Polizei, garniert mit Hinweisen, welche drakonischen Strafen einen ereilen, wenn man dieser Einladung nicht Folge leistet. Die Protokollaufnahme bei der Polizei kostet Zeit. Man bekommt auch keine Kopie der eigenen Aussage ausgehändigt. Mein Tipp: Aussage aus dem Gedächtnis sofort nachprotokollieren! Denn der Prozessbeginn kann sich hinziehen, in meinem Fall genau zwei Jahre. Da kann in meinem Alter das Gedächtnis schwächeln. Die Einladung zum Gerichtstermin ist ähnlich scharf formuliert wie die zur Polizei.

Von oben herab

Die Pforte beim Amtsgericht war an diesem Morgen nicht gerade der Eingang zum Paradies. Ich bin lange nicht mehr so rüde, von oben herab und ruppig behandelt worden wie von den beiden Beamten, die da gerade Dienst schoben. Ich kam mir tatsächlich wie eine verurteilte Missetäterin vor. Wie mir ging es übrigens auch dem Verteidiger, der kurz vor mir an der Reihe war und meine Beschwerde über die Behandlung später vor dem Richter bestätigt hat. Ich kann verstehen, dass es manchmal mühselig ist, sich mit nervigen Zeugen und Angeklagten herumzuärgern. Aber es wird nicht besser, wenn man alle anpampt.

Dann gilt es, Zeit mitzubringen und Geduld, bis man endlich aufgerufen wird! Tipp Nr. 2: Lektüre mitnehmen, z.B. die „zeitzeichen“. Vor Gericht wird man dann auf die fatalen Folgen einer Falschaussage hingewiesen, um anschließend vom Verteidiger ins Kreuzverhör genommen zu werden. Das ist auch nicht wirklich Wellness pur, selbst wenn man versteht, dass das in einem Rechtsstaat die Aufgabe des Verteidigers ist. Auf der Anklagebank saß in meinem Fall ein muskulöser junger Mann, Typ Türsteher. Ich hoffe mal, er überlegt sich kein Dankeschön dafür, dass er dank mir erst einmal zu Fuß laufen darf. Denn er kennt meine Adresse. Ich seine nicht. Hoffentlich ist ihm der Weg zu mir zu weit.

Kultur der Freundlichkeit

Also: Natürlich würde ich wieder eine Aussage machen. Autorennen sind hochgefährlich. In meinem Fall hat ein beteiligtes Fahrzeug einen robusten Laternenmast erwischt und umgelegt. Hätte dort ein Mensch gestanden, wäre er tot gewesen.  Aber ich habe im Zuge des Verfahrens etwas gelernt, was wir ja alle theoretisch wissen: Man hat keine zweite Chance für den ersten Eindruck. Jede Organisation sollte sich eine Kultur der Freundlichkeit erarbeiten. Die Einladung zur Polizei und zum Gericht könnte etwas weniger bedrohlich formuliert sein. Ich erwarte keine Klappkarte mit Kunstdruck, aber vielleicht etwas mehr Dank für die Mühe und eine Entschuldigung dafür, dass man auf die Folgen des Nichterscheinens leider hinweisen muss. Und was die Pforte betrifft: Ein kleiner Gruß, ein Lächeln, kostet nicht viel und entspannt die Stimmung. Ich hoffe mal, dass wir bei Kirchens den Stresstest „Erster Eindruck“ besser bestehen.

PS: Auf meine Beschwere hin wurde mir nun zugesichert, dass die Ereignisse an der Pforte aufgearbeitet werden. Das finde ich gut. Und es stärkt mein Vertrauen in unseren Rechtsstaat.

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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