Höchste Zeit

Klangvolles vom RIAS Kammerchor

Es ist schön, wenn man sich bei einem Ensemble sicher sein kann, dass bei einer neuen CD die Frage der klanglichen Qualität vorab beantwortet ist, und man sich ganz darauf konzentrieren kann, womit Herz und Sinne dieses Mal erkiest werden. Passend zum Jubiläumsjahr des großen Komponisten der Reformation ist es Michael Praetorius (1571 – 1621) – und: Italy. Die Rückseite der CD verrät: Die Aufnahme begleitet ihn (Michael Praetorius) auf eine fiktive Reise zu seinen italienischen Zeitgenossen und präsentiert Verbindendes und Gegensätzliches gleichermaßen.

So weit – und so richtig gut und in bravouröser Strahlkraft ist alles musiziert, was auf diese CD gebannt ist: klangschön und sprachintensiv der RIAS Kammerchor, der unter Florian Helgath immer wieder in eine einladende, warm klingende Entspannung fällt, die zu berühren weiß. Nicht minder sattsam schön, mit rhythmischer Impulsivität, Raffinesse und musikantischer Spielfreude die Capella de la Torre mit Katharina Bäumel, die mit pointierter Diktion einmal mehr unter Beweis stellt, dass das Ensemble zu den Besten der jüngeren Generation der Barockensembles zählt.

Aber Michael Praetorius wirkt bei aller blendenden Schönheit etwas wie ein Feigenblatt, um den Italien-Traum des im thüringischen Creuzburg geborenen und schließlich seine erfüllte Lebenszeit in Wolfenbüttel verbringenden Komponisten mit Werken von Monteverdi, Banchieri, Viadana et cetera zu simulieren. Das ist eine interessante musikwissenschaftliche Fiktion – aber die selten zu hörende Meisterschaft Praetorius’, bis in die 10-, 12- oder 16-Stimmigkeit hinein zu agieren, womit der Chor verdienstvoll hätte Leerstellen schließen können, wurde wenig berücksichtigt. Schade. Wie spannend wäre es gewesen, der Chor hätte Praetorius als Wegbereiter der konzertanten deutschsprachigen Motette ernst genommen und wäre dem Wort-Ton-Modellierer auf diesem Weg in seiner Entwicklung gefolgt. Neben dem exemplarisch vorgestellten Erasmus-Albers-Schlager der Zeit in den Varianten „Christ, der du bist der helle Tag“ und „Christe, der du bist Tag und Licht“ hätten wesentliche, vielfach variiert bearbeitete Werke über „Nun bitten wir den Heiligen Geist“ oder „Nun lob, mein Seel, den Herren“ ein runderes Bild abgegeben. So verlegt die CD ihren Schwerpunkt ganz auf das musikalische Wechselspiel zwischen deutscher und italienischer Manier. Das chorische Primat der Textpräsentation, die den Komponisten Praetorius wesentlich ausmacht, ist zweitrangig.

Im Kontrast zur Musik wirkt das aufschlussreiche Booklet seltsam beziehungslos gestaltet. Und ist es nicht höchste Zeit, dass endlich auch marktbeherrschende Label wie SONY und die ROC gGmbH umweltschonend auf Vollplastik verzichten, wie es viele kleine lange schon tun? Es wäre ein Zeichen und würde den Erwerb der CD erleichtern. Hören Sie mit Genuss – der gelingt auch in alternativer Form.

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