Spätestens seit dem vergangenen Herbst diskutierten Politiker darüber, ob man die schwarz-weiß-rote Nationalflagge und die Kriegsflagge des Kaiserreichs verbieten soll. Denn Rechtsextremisten führen sie bei ihren Aufmärschen mit. Kürzlich haben sich die Länderinnenminister auf einen „Mustererlass“ geeinigt. Er sieht kein generelles Verbot vor, aber ermächtigt die Polizeibehörden, bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit das Zeigen der beiden Flaggen zu unterbinden. Doch das ist unsinnig, weil kontraproduktiv. Die Regelung dürfte nicht nur zu komplizierten Rechtsstreitigkeiten führen. Viel schlimmer ist, dass die Rechtsextremisten dann auf schwarz-rot-goldene Fahnen und Hütchen ausweichen. Das ist bei Pegida schon länger zu beobachten. Und AfD-Politiker tragen am Revers schwarz-rot-goldene Abzeichen.
Dabei sollten Demokraten verhindern, dass Feinde der Demokratie demokratische Symbole kapern und missbrauchen. Sollen Rechtsextremisten doch weiter mit schwarz-weiß-roten Fahnen wedeln. So kann sie jedermann erkennen.
Schwarz-Weiß-Rot flaggten nach 1919 vor allem die Anhänger der antidemokratischen und antisemitischen Deutschnationalen Volkspartei, darunter die meisten evangelischen Kirchenmänner, auch solche, die ab 1933 zur Bekennenden Kirche gehörten.
Deutschnationale und Nazis verunglimpften die Farben der Republik als schwarz-rot-gelb oder schwarz-rot-senf. Die demokratischen Parteien, die „Weimarer Koalition“ aus SPD, katholischem Zentrum und linksliberaler DDP, gründeten zur Verteidigung der Republik das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. Bei der Reichspräsidentenwahl 1925 unterstützten sie als „Volksblock“ den Zentrumspolitiker Wilhelm Marx gegen den Kandidaten des „Reichsblocks“, den kaiserlichen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, und fragten die Wählerinnen und Wähler auf einem Plakat: „Das Banner, das Grimm und Uhland entrollt, wollt ihr ver-raten Schwarz, Rot und Gold?“
Heute geht es um die Frage, ob Deutschlands Demokraten ihren Feinden die Trikolore von 1848, 1919 und 1949 überlassen oder sie selber selbstbewusst hissen und schwenken. Wer darauf verzichtet, Flagge zu zeigen, und zwar die richtige, sendet falsche Signale aus. So waren bei Demonstrationen gegen den Antisemitismus auch jüngst wieder die Fahnen Israels zu sehen, aber keine deutschen. Und das verstärkt ungewollt die antisemitische Lüge, deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens seien keine Deutschen, sondern Angehörige eines anderen Volkes.
Nationalisten appellieren an Gefühle. Und die lassen sich nicht allein durch Argumente überwinden. Ihnen muss man andere, edlere Gefühle und Symbole entgegensetzen. Gegen Nationalismus hilft Patriotismus. Wer nun Schnappatmung bekommt, möge auf einen unverdächtigen Zeugen hören, auf Bert Brecht. Was Patriotismus auszeichnet und ihn fundamental vom Nationalismus unterscheidet, beschreibt er in seiner Kinderhymne: „Und weil wir dies Land verbessern, lieben und beschirmen wir’s. Und das Liebste mag’s uns scheinen, so wie andern Völkern ihrs.“
Jürgen Wandel
Jürgen Wandel ist Pfarrer, Journalist und ständiger Mitarbeiter der "zeitzeichen".