Denkanstöße

Wasser und Klimawandel

Bücher zum Klimawandel gibt es wie Sand am ansteigenden Meer. Sie schildern mehr oder weniger interessant, was gerade passiert und was wir noch dagegen tun können. Andri Snær Magnasons Wasser und Zeit ist anders. Der isländische Autor und Umweltschützer, der 2016 auch als Präsident seines Landes kandidierte, nennt sein Buch eine Geschichte unserer Zukunft. Und er verbindet die Geschichten seiner Familie, die Geschichte seines Landes, die Schichten der schmelzenden Gletscher und das Erstaunen über unsere Untätigkeit gegenüber der Klimakrise zu einer packenden Erzählung.

Bei Magnason rücken uns die gewaltigen geologischen Umbrüche der Erderwärmung tatsächlich auf die Pelle: Bei den Schilderungen von schwindenden Eislandschaften vor seiner Haustür, dem Verlust der wilden Natur durch den Menschen und beim Nachdenken über die Zukunft: „Wer heute zwanzig ist, wird eine Person kennen und lieben, die im Jahr 2160 noch lebt. Und so wie die Welt heute aussieht, steuern wir auf eine derartig massive Zerstörung zu, dass die nächste Generation unsere gesamte Existenz als lächerlich und dumm abtun wird“, schreibt Magnason, der 1973 in Reykjavik geboren wurde. „Wenn wir nichts unternehmen, werden wir die Generation sein, die das Paradies geschenkt bekam und es ruinierte.“

Magnason geht es in der Debatte um die globale Umweltveränderung und -zerstörung um eine tiefere Dimension: „Wenn die Gletscher verschwunden sind, was ist Island (Eisland, d. Red.) dann?“, fragt er, „Nur noch Land?“ Er interviewt den Dalai Lama und erkennt, dass die Berggletscher des Himalaya ähnlich rapide schwinden wie die Eisschilde seiner Heimat – allerdings mit Konsequenzen für die Wasserversorgung von Milliarden von Menschen in Asien.

Und er fragt: Wie können wir der Zerstörung der Welt so gleichgültig begegnen? Warum haben seine Vorfahren die Natur als heilig und großartig beschrieben, auch wenn ihr Leben viel härter und von dieser Natur bedrohter war? „Meine Generation hat dreimal mehr Energie nutzbar gemacht, als die isländische Nation brauchte, besaß Lebensmittel im Überfluss und mit unnötigem Krempel vollgestopfte Abstellkammern.“ Freiheit durch materiellen Wohlstand führt nicht dazu, die Natur wertzuschätzen, so Magnason, das Gegenteil sei der Fall.

Für den Literaturwissenschaftler ist klar: Wir haben nicht gelernt, die Entwicklung in Worten und Sprache zu begreifen. Sein Beispiel: Als der Revolutionär Jørgen Jørgensen 1809 erklärte: „Island ist frei und unabhängig von dänischer Staatsgewalt“, verstanden die Isländer diese Begriffe nicht. Als Untertanen der dänischen Könige sehnten sie sich noch einmal mehr als hundert Jahre nicht nach „Freiheit und Unabhängigkeit“, sie waren „eingesperrt in die herrschende Sprache und das Machtgefüge ihrer Zeit“, schreibt Magnason.

So gehe es uns heute mit dem Klimawandel und etwa der dadurch bewirkten Versauerung der Meere. Beide werden das Leben auf der Erde massiv verändern, beide werden in ihrer Tragweite kaum erkannt. Wir sind für ihn eingesperrt in den Traum vom ewigen Wachstum der Wirtschaft, befeuert von der unsichtbaren Energie aus Kohle und Öl.

Wasser und Zeit hat natürlich auch keine Lösung anzubieten für schnellen Klimaschutz oder das Ende der kurzsichtigen kapitalistischen Gier. Es ist ein Buch des Querdenkens im besten Sinne, des Erinnerns und des Fragens. Allerdings unterlaufen Magnason und der Übersetzung einige ärgerliche Fehler, wenn manchmal Zahlen und Relationen durcheinandergeraten.

Wichtiger aber sind die Denkanstöße für die junge Generation: Wozu Ethik? Weil in der Krise viele moralische Entscheidungen lauern. Wozu Algebra? Weil wir Wege finden müssen, um CO2 zu binden. Wozu Lyrik? Um den „silbernen Faden des menschlichen Geistes“ zu bewahren. Eine ganze Generation werde „nicht mehr gefragt, was sie werden will, sondern was sie werden muss“. Für manche Lösungen müsse man einfach auf seine Großmütter hören, rät Magnason, „sie haben es uns schon immer gesagt: Iss deinen Teller leer, trag die Kleidung deiner Geschwister auf, stopf deine Socken und lebe genügsam. Alles in allem müssen wir bereit sein, etwas für andere zu tun, ohne etwas dafür haben zu wollen.“ Und vor allem müsse sich die junge Generation über eines klar werden: „Ihr erschafft die Zukunft an jedem einzelnen Tag.“

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Foto: Privat

Bernhard Pötter

Bernhard Pötter ist Journalist und Buchautor. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik.


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