Mit Gott nie fertig

Sonntagspredigt
Foto: Mario Brink

Bleibende Hoffnung

Sonntag Exaudi, 16. Mai

Am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! (Johannes 7,37)

Wer die Bewegung des Kirchenjahres innerlich mitvollzieht, erlebt am heutigen Sonntag eine spannungsgeladene Atempause zwischen der Himmelfahrt Christi und der Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten. So sind wir für einen kurzen Moment christus- und geistlos. Wir halten inne. Wir leben zwar, doch wir sind allein. Wir suchen. Nach Orientierung, Halt, Gottes Präsenz in unserer Lebenswelt. Doch wir finden nichts.

In dieser Situation klingt die Auswahl des Predigtabschnittes wie ein Hohn. Das gilt besonders für Christi Aufforderung an die Durstigen, zu kommen und zu trinken. Unsere Sehnsucht ist groß. Doch wo bist Du, Jesus, wo kann man Dich finden?, möchte man fragen.

Für einen Moment bleibt diese Frage unbeantwortet. Denn Vers 37 ist eine Verheißung, deren Erfüllung noch aussteht, die augenblicklich noch nicht zu erwarten ist. Und das ist auch im weiteren Verlauf von Johannes 7 zu erspüren: Denn die Verheißung wird mit dem Geist Gottes verbunden, der der Zuhörerschaft Jesu noch nicht zugänglich ist.

Leere, Einsamkeit, Sehnsucht – diese Momente gehören zum Glauben dazu. Denn Gottes Gegenwart ist unverfügbar. Sie lässt sich nicht einfangen oder on demand abrufen. Gottes Geist weht eben, wo und wann er will. Also bleibt vorerst nichts als Hoffen

Leere, Einsamkeit und Sehnsucht – gehören auch zum Alltag. Viele Menschen leben allein und sehnen sich nach anderen Lebensverhältnissen. Und die Corona-Pandemie hat dies – oft an der Schwelle zwischen Leben und Tod – noch unerträglicher gemacht.

An Exaudi ist deshalb nicht nur das Gefühl religiöser Einsamkeit gegenwärtig und für einen Augenblick unaufgelöst auszuhalten. Und so lädt dieser Sonntag dazu ein, an Mitmenschen zu denken, die einsam und unglücklich sind. In unserem Innehalten, in unserem Atmen fühlen wir eben nicht nur unsere eigenen Belange, sondern uns auch ein in die Sehnsüchte einsamer und glückloser Mitmenschen. Und wir hoffen, dass ihre Leere und Sehnsüchte gestillt werden – so wie wir auf den lebendigen und erfüllenden Geist Christi hoffen.

Positiv begeistert

Pfingstsonntag, 23. Mai

Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen. (1. Mose 11,4)

Begeisterung setzt Kräfte frei. Sie kann innerlich erfüllen, neue Perspektiven schenken und dazu motivieren, ein besonderes Ziel zu verfolgen.

Begeisterung ist aber nicht per se förderlich. Denn aus ihr erwachsen auch problematische Haltungen und Handlungen. So kennt die Geschichte viele Episoden und Epochen, in denen Begeisterung in menschenverachtenden, ja menschenvernichtenden Fanatismus umschlug. Auch in der Gegenwart sind solche Erscheinungen auszumachen. Und leider lassen sich in der Geschichte des Christentums und der Kirchen ebenfalls entsprechende Beispiele anführen.

Problematische Züge der Begeisterung schildert auch der Predigtabschnitt für den Pfingstsonntag: Die Begeisterung, einen Turm zu bauen, der bis in den Himmel reicht, ist mit dem Ziel verbunden, sich vor Gott und aller Welt einen Namen zu machen. Diese Setzung wird als Einbruch in den Geltungsbereich Gottes gedeutet. Und die Folge ist die durch Gott veranlasste babylonische Sprachverwirrung. So wie die Welt nach der Sintflut eine andere war als vorher, gilt dies dem biblischen Erzählstrang folgend auch für die Welt nach dem Turmbau. Und alles ist durch eine negativ wirkende Begeisterung ausgelöst worden.

Ein Gegenprogramm zu der Geschichte aus dem Ersten Mosebuch eröffnet die Pfingsterzählung der Apostelgeschichte. Nachdem Jesus endgültig nicht mehr unter seinen Anhängern weilt, werden diese mit seinem Geist erfüllt. Die Jesus-Bewegung wird be-geistert und zur geist-erfüllten Kirche. Zugleich wird das Begeistert-Sein zum Signum einer neuen Lebens- und Glaubensform, die nicht nur für die religiöse Gemeinschaft gilt, sondern individuell für jeden gläubigen Menschen.

Christ-Sein bedeutet seit den Anfängen des Christentums im Grunde nichts anderes als ein speziell gestimmtes Begeistert-Sein, ein durch den Geist Christi erfülltes Dasein. Es motiviert dazu, nicht allein für sich selbst zu leben, sondern auch für Gott und den Mitmenschen. Und für diese Trias christlichen Lebens und Glaubens ist das Maß der Begeisterung nie erfüllt. Es lohnt sich vielmehr, sich immer wieder dafür begeistern zu lassen und offen dafür zu sein, sich in der Gemeinschaft der Mit-Begeisterten gegenseitig anzustecken. Gerade in einer Phase, in der die öffentliche Stimmung angesichts der Entwicklungen der Pandemie am Boden liegt, werden positiv begeisterte Menschen gebraucht.

Neue Erkenntnisse

Trinitatis, 30. Mai

Jesus antwortete Nikodemus: Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden.Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist. (Johannes 3,7–8)

Gott hat sich uns Menschen offenbart. Daran glauben wir. Zu Weihnachten feiern wir dies in der Fokussierung auf Jesus Christus. Und am heutigen Trinitatisfest wird der Gedanke der göttlichen Offenbarung auf das dreieinige Wesen Gottes ausgeweitet.

Doch trotz dieser Betonung der offenbarenden Zuwendung Gottes bleiben sein Wesen und Handeln immer auch Geheimnis. Das Johannesevangelium hat ein Gespür für diesen Zusammenhang. Im Dialog Jesu mit dem Pharisäer Nikodemus leuchtet dies auf: Der in Christus fleischgewordene und im Gespräch nahbare Logos verweist auf die Unverfügbarkeit Gottes. Der theologisch gebildete Nikodemus stellt Jesus sozusagen stellvertretend für uns Fragen zur Gottheit Gottes. Denn so theologisch gebildet oder religiös wir auch sein mögen, mit Gott werden wir nie fertig. Er wird immer Gegenstand unseres Suchens, Forschens und Ausrichtens bleiben.

In diesem Nicht-fertig-Sein mit Gott liegt zugleich eine vitalisierende, ja innovative Kraft: das Moment der Erneuerung. Weil wir mit Gott nie fertig sind, sind wir auch mit uns nie fertig. Die Augenblicke der Rast und Ruhe, die wir im Leben erfahren, sind verbunden mit neuen Impulsen unserer eigenen Selbstwerdung, unserer Selbsterneuerung. Diese Impulse sind nicht immer leicht zu spüren. Deshalb haben wir nicht selten das Gefühl, dass wir auf der Stelle treten. Doch wie das Sausen des Windes bei aller Unverfügbarkeit hörbar ist, gibt es auch in unserem Leben Impulse, die offen für die Zukunft eine Chance der eigenen Erneuerung bergen.

Der Glaube fungiert auf dieser Reise in das Fremde, Unbekannte als Innovationsmotor und bietet zugleich Halt. Denn auch wenn wir mit Gott nie fertig sind und er uns zeitlebens Geheimnis bleibt, können wir Gott vertrauen und mit ihm unser Leben führen. Dies gilt auch in den Augenblicken und Prozessen unserer eigenen Erneuerung. Deshalb werden wir im Verweis auf Nikodemus ermutigt, weiter Fragen zu stellen und Antworten zu suchen. Im schlechtesten Fall bleibt unser Suchen ohne die gewünschte Erwiderung. Aber im besten Fall wird uns eine neue Erkenntnis offenbart – über das Geheimnis Gottes oder über das Geheimnis unserer selbst.

Mündige Christen

1. Sonntag nach Trinitatis, 6. Juni

„Da trat zu Jona der Schiffsherr und sprach zu ihm: Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird dieserGott an uns gedenken, dass wir nicht verderben. (Jona 1,6)

In der Erzählung von „Jonas Flucht vor Gott“ kommt es zu einer seltsamen Szene: Nachdem Gott das Unwetter über das Schiff kommen lässt, wenden sich alle Passagiere an ihren Gott, um für die Stillung des Sturms zu beten. Jona, der seinem Gott entfliehen will, tut dies dagegen nicht. Er schläft lieber. Deshalb tritt der Kapitän an ihn heran und bittet ihn, sich seinem Gott zuzuwenden und Fürbitte zu leisten – in der Hoffnung, dieser könne sie vor dem drohenden Untergang retten. Diese Szene spiegelt das vom Polytheismus geprägte Weltbild des Alten Orients. Dieses ist zwar nicht das unsrige. Aber in der Erzählung tritt ein Moment auf, das nicht nur als ein Element des Gottesdienstes bekannt ist, sondern auch im persönlichen Gebetsleben einen Platz hat: Fürbitte und Fürsprache.

Wenn wir uns im Gebet vor Gott für andere stark machen, für sie eintreten und ihre Anliegen zu Gehör bringen, üben wir nicht nur religiöse Solidarität. Vielmehr tragen wir einer Bestimmung Rechnung, die allen Gläubigen verheißen ist: Wir sind Priesterinnen und Priester.

Die Reformatoren Martin Luther und Johannes Calvin haben bei ihrer berühmt gewordenen Rede vom „allgemeinen Priestertum aller Gläubigen“ ja an etwas anderes gedacht, als es landläufig in der Kirche interpretiert wird. Darunter verstanden sie zuvorderst nicht, dass alle Christenmenschen predigen sollen. So sehr dies Protestanten sympathisch und in der evangelischen Kirche auch zu fördern ist, mit der Formel vom allgemeinen Priestertum meinten die Reformatoren etwas anderes: Unter Bezug auf Christus, unseren Hohenpriester, der durch sein Leben und Sterben zum wahren Mittler zwischen uns und Gott geworden ist und der für uns alle vor Gott Fürbitte leistet, haben auch wir die Möglichkeit, direkt vor Gott zu treten. Eine externe Vermittlung durch die Kirche ist also nicht nötig und nicht möglich. Denn durch Christus stehen Gläubige unmittelbar vor Gott.

Hierin liegt ein Kerngedanke der „Freiheit eines Christenmenschen“ begründet, den Luther in seiner Programmschrift von 1520 skizzierte. Weil sie einen direkten Zugang zu Gott haben, sind alle Gläubigen in der Lage, vor ihn zu treten und für andere Fürbitte zu leisten. Unser priesterlicher Dienst besteht deshalb zuvorderst darin, sich vor Gott zum Fürsprecher der Mitmenschen zu machen. In dieser individuellen priesterlichen Funktion ist eine Dimension religiöser Mündigkeit enthalten, deren Wahrnehmung Ausdruck christlicher Freiheit ist. Nicht nur, aber gerade zu Zeiten der Pandemie, in der körperliches, seelisches, existenzielles Leid so offen zu Tage tritt und viele Menschen in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft trifft, gilt deshalb auch uns der Ruf des Schiffsherrn: „Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird dieser Gott an uns gedenken, dass wir nicht verderben.“ 

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Foto: Mario Brink

Gregor Bloch

Gregor Bloch ist Pfarrer und theologischer Mitarbeiter des Evangelischen Bundes Westfalen und Lippe. Er wohnt in Detmold.


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