Huizings Tierleben

Eine verschämte Visite im Zoo
Foto: Privat

Martha Carven Nussbaum, sprachmächtige Mitbegründerin des Befähigungsansatzes in der Ethik, mag keine Zoos. Definitiv nicht. Und sie würde liebend gerne fleischfressende Tiere zu Anhängern veganer Ernährung umerziehen. Bleibt der etwas unzivilisierte Jagdtrieb. Der soll, so ihr Vorschlag, durch geeignetes Spielzeug umgewidmet werden, bitteschön.

Und dann war nach vielen Monaten der pandemiebedingten Schließung der Zoo in Berlin plötzlich und unerwartet wieder offen. Und meine jüngste Enkelin forderte, nein sie bettelte nicht, mit mir in den Zoo zu gehen. Und ich habe in meiner Bibliothek die Bücher von Nussbaum für einen Tag in die hintere Reihe geräumt, damit sie mich nicht anstarren konnten. Und mein Gewissen erlöste meine Tochter, weil sie versicherte, die Tiere im Zoo seien von Depression bedroht, weil der Publikumsverkehr fehle. Und ich bin, die Enkelin an der Hand, fröhlich unserer Wege gezogen. Ob die FFP2-bewehrten Besucherinnen und Besucher die Tiere nicht eher verstörten, konnte ich in den drei Stunden nicht abschließend ergründen. Sogar die nervösen Affen waren relativ uninteressiert, das ja.

Meine Enkelin liebt die Kängurus, die residieren im Berliner Zoo, nimmt man den Eingang von der S-Bahnstation Zoo, am entgegengesetzten Ende. Ich musste deshalb sehr geschickt den großen Spielplatz umgehen, weil mir das Ansteckungsrisiko zu hoch erschien. Kinder lieben Kängurus. Leicht zu erklären, denn sie sehen so aus, als habe Gott bei der Schöpfung sein Maltalent im Skizzenbuch noch suboptimal eingesetzt. Offenbar konnte er lange wie Kinder keine Füße malen, sie wirken völlig disproportioniert und deshalb müssen diese Geschöpfe den ganzen Tag in Riesensätzen durch die Gegend hüpfen. Lachendes Kinderglück an meiner Seite.

Ich favorisiere das Flusspferd und das Krokodil. Eine deformation professionelle, denn sie sind Gottes Knuddeltiere, wirken auf den Menschen aber schrecklich imponierend. Sie heißen in der Bibel Behemot (Flusspferd mit Sonderausstattung) und der Schrecken der Meere hört auf Leviathan (Krokodil oder Alligator mit Feuerspeieinrichtung). Krokodile und Alligatoren befanden sich leider gerade in der Umerziehung und waren nicht zugänglich. Flusspferde, durch die beliebte Hippo-Reihe in Kinderüberraschungseiern verzwergt, gibt es im Berliner Zoo in der XXL-Variante und als Minifant. Weil nur der Außenbereich freigegeben war, gelang uns kein naher Kontakt und wir mussten uns mit dem Nashorn begnügen, das uns den Gefallen tat, bodenerschütternd an uns vorbei zu rennen. Das machte wenigstens Eindruck. Meine Enkelin ging hinter mir in Deckung. Das Flusspferd hat seine Imponiermacht dagegen weitgehend eingebüßt, wird häufig nur noch als adipös wahrgenommen. Eisverkäufer bauen ihre Stände nie in ihrer Nähe auf.   

In der biblischen Geschichte wird Hiob von Gott mit dem Verweis auf seine Knuddeltiere aufgefordert, sein Leben nicht ganz so wichtig zu nehmen, auch Hiob, dieser aufrechte Mann aus Uz, muss die Kränkung aushalten, dass trotz seines Leids die Welt weitergeht. Eine (heilsegoistische) Glückgarantie gibt es trotz vorbildlichen Verhaltens zwar nicht, aber Leiden wird nicht länger als Strafe gedeutet, nach Gründen muss man nicht länger suchen, das ist die Pointe dieser poetischen Theodizee, die mit dem Verweis auf die imponierenden Tiere, die vor dem Menschen geschaffen wurden, einen Statusverzicht einklagt.

Auf dem Rückweg zum Ausgang hat meine Enkelin Kiki begeistert vom Pandabär und den Kängurus gesprochen. Sie komme sich beim Nashorn, Elefanten und Nilpferd so klein vor. Das sei bei mir nicht anders, sage ich und kaufe endlich für uns beide ein Eis. Zurück, hole ich zwar die Bücher von Nussbaum aus der Verbannung. Aber ich mag die schrecklich imponierenden Tiere, Gottes Knuddeltiere nicht missen und finde die Umerziehungsvorschläge von Nussbaum ziemlich peinlich.

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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