Zuversicht statt Care-Freitag
Es ist ein Kreuz: Die Kirche kümmert sich zu viel um ihre Gottesdienste und sonnt sich in gelungenen Hygienekonzepten. Das reicht nicht – schon gar nicht anlässlich eines Tages wie heute, denn am Karfreitag bedenken Christen, wie sich Gott ganz verausgabt, meint zeitzeichen-Onlinekolumnist Philipp Greifenstein
Vielleicht haben Sie es ja in den Qualitätszeitungen gelesen, was am Mittwochabend beim Privatfernsehsender ProSieben los war? Die Fernsehmoderatoren Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf hatten in einer ihrer zahlreichen Unterhaltungssendungen Sendezeit gewonnen, die sie auf ihrem Sender, auf dem sonst mit Vorliebe Wiederholungen von US-Sitcoms laufen, erneut nach ihrem Gusto füllen konnten.
Im Ergebnis wurde bis spät in die Nacht über die schwierige Situation von Pfleger:innen aufgeklärt. Unter dem Hashtag #nichtselbstverständlich teilen in den Sozialen Netzwerken viele Pfleger:innen und Unterstützer:innen Solidaritätsaufrufe und weitere Informationen.
Und die Kirchen? Von ihnen bleibt zu diesem Osterfest vor allem der Eindruck, ihnen wäre es um das Ureigenste bestellt, den Gottesdienst in seiner analogen Darreichungsform. Darin herrscht ökumenische Eintracht, und das ist ja auch etwas wert. Die Inzidenzen steigen weiter, die Kirchenkonferenz der EKD-Gliedkirchen aber konnte sich vergangene Woche nicht einmal auf einen einheitlichen Inzidenzwert einigen, ab dem man den Gemeinden die Absage von Präsenzgottesdiensten empfehlen will. Wenn man ein solch einheitliches Vorgehen überhaupt in Erwägung gezogen hat, gleichlautende Forderungen an die Politik formulieren sich natürlich leichter.
Stattdessen wird beharrlich kommuniziert, die Gottesdienste in den Kirchen wären dank ausgetüftelter Hygienekonzepte sehr sicher. Das stimmt. Aber merkt man denn nicht, dass man mit dieser Kommunikationslinie weit hinter den eigenen Möglichkeiten bleibt? Zu Karfreitag bedenken Christen, wie sich Gott ganz verausgabt. Wofür verwenden sich die Kirchen in Deutschland?
Die feministische Theologin Ina Praetorius weist darauf hin, dass das Kar- aus Karfreitag, Karsamstag und Karwoche auf den gotischen Begriff chara zurückgeht, der seinerseits mit dem englischen Verb to care verwandt ist. Kar- bedeutet also nicht allein Trauer und Klage, sondern auch „sich sorgen, versorgen, sich in Sorgfalt üben, fürsorglich sein, pflegen…“. Praetorius findet diese Dimension auch in den Passionserzählungen des Neuen Testaments wieder: Die Frauen, die unter dem Kreuz aushalten und später den Leichnam versorgen wollen. Sie spricht daher konsequent von einem Care-Freitag. Eine griffige Aktualisierung des Karfreitagsgeschehens.
Es hat sich als Binse eingebürgert, die Evangelische Kirche für prinzipiell nicht kampagnenfähig zu halten. Warum eigentlich? Es ist ja eigentlich alles da: Ein konkreter Anlass mit der Corona-Pandemie, die das ohnehin überlastete Pflegepersonal bis an den Rand der Zumutbarkeit strapaziert. Ein Anker in der eigenen Tradition, wenn nicht mit Praetorius‘ Care-Freitag dann eben mit einem anderen Bild, einem anderen Wort aus dem Neuen Testament oder der reichen Kirchengeschichte. Und nicht zuletzt Fachkompetenz: Die Diakonie Deutschland hat erst am 26. März die Bundesregierung aufgefordert, die lange angekündigte Pflegereform auch durchzuziehen.
Die evangelische Kirche hätte die Debatte sogar noch anreichern können, zum Beispiel mit der Perspektive jener Menschen, die Angehörige zuhause pflegen – und die während der Corona-Pandemie bis hin zur Impf-Priorisierung immer wieder unter die Räder geraten.
Stattdessen wird wieder einmal „Zuversicht“ verkündigt. Mir war das gar nicht aufgefallen, aber ein Leser hat mich in einem Kommentar unter einem meiner Artikel in dieser Woche darauf aufmerksam gemacht: Demnach hat die EKD vor dem ersten „Lockdown“ im März 2020, zu Ostern 2020, zu Weihnachten, zum Jahreswechsel und eben diese Woche wieder zur Zuversicht aufgerufen. Nun hat ja auch die Zuversicht einen neutestamentlichen Anker, aber bisschen mehr Variation wäre sicher drin gewesen. Jedenfalls von Seiten einer Kirche, die sich so viel Deutungskompetenz und Zeitgenossenschaft zuschreibt, wie das die Protestanten gerne machen.
Philipp Greifenstein
Philipp Greifenstein ist freier Journalist sowie Gründer und Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur „Die Eule“: https://eulemagazin.de