Bleiben Sie in der Leitung

Punktum

Die pandemische Situation bringt es mit sich, dass der flott getaktete Mensch das Phänomen des Wartens im Sinne von Godot neu erfährt. Er verbringt nun seine Lebenszeit im Sicherheitsabstand vor dem Bahnschalter oder dem Backshop. Und sein persönliches Handeln mit freundlichem Handschlag wird zunehmend ersetzt von Telefonie und Online-Handel. In diesem Kontext bekam ich von einem Druckerpatronen-Anbieter den folgenden Satz zu hören: „Wenn Sie es vorziehen, ohne Musik zu warten, drücken Sie die Rautetaste.“

So habe ich die besagte Taste brav gedrückt und während meiner Zeit in der Warteschleife die Begriffe rund um  „Warten“ gegoogelt. Gestartet beim Duden erfuhr ich folgende Deutungen: a) „dem Eintreffen einer Person, einer Sache, eines Ereignisses entgegensehen, wobei einem oft die Zeit besonders langsam zu vergehen scheint.“ b) „sich, auf  jemanden, etwas wartend (1a), an einem Ort aufhalten und diesen nicht verlassen.“ Wer hätte das gedacht? Konrad  Dudens Rechtschreibwörterbuch von 1880 feiert damit im Homeoffice des 21. Jahrhunderts fröhliche Urständ.

Wie man das Warten so angenehm wie möglich gestalten kann, weiß der Geschäftsführer einer Spezialagentur für  Telefonwarteschleifen in einer süddeutschen Großstadt. „Achten Sie darauf, dass die Musik nicht zu laut abgespielt wird – sonst legt der Kunde mit Ohrensausen auf.“ Und am Ende: „Die maximale Wartezeit bestimmen Sie am besten, indem Sie überlegen, wie lange Sie selbst gern warten würden.“

Wollte man seitens der Bundesregierung eine Stellungnahme zur behördlich empfohlenen Verfassung einer Warteschleife einholen, so wende man sich vertrauensvoll schriftlich an: Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen. Tulpenfeld 4, 53113 Bonn. Oder man schicke schneller eine Mail mit dem Kürzel:  rufnummernmissbrauch@bnetza.de, ganz ehrlich.

Weil die Telefonwarteschleife die Verbindungen aufrechterhalten muss, ohne das eigentliche Anliegen des Anrufenden zu bearbeiten, wird die Wartezeit mit versüßender Musik verbunden, doch oft auch als Geräusch empfunden. Die  begnadete Anke Engelke von Ladykracher demonstriert auf YouTube, wie den unterschiedlichen Musikgeschmäckern beizukommen ist. Am Konzertflügel sitzend spielt sie in elegischer Tonfolge Ludwig van Beethovens „Elise“ und spricht charmant dazu in Abständen den Satz: „Bitte haben Sie noch einen Moment Geduld, wir sind gleich wieder persönlich für Sie da.“ Zum Download für Ihr Homeoffice?

Übrigens: Mit dem aufmerksamen Lesen dieses Punktums dürften Sie sich eine knappe Minute Lebenszeit vertrieben haben. Wenn Sie es vorziehen, in Zukunft ohne Lesen zu leben, blättern Sie einfach weiter. 

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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