Beeindruckend

Bonhoeffers Widerspruch

In einer Denkschrift an Hitler vom 9. Juli 1940 protestierte Paul Gerhard Braune, Leiter der Hoffnungstaler Anstalten bei Berlin, zugleich Vizepräsident des Central Ausschusses für Innere Mission der DEK, gegen die planmäßige Tötung von Kranken und forderte die Aufhebung der „unheilvollen Maßnahmen“. Ebenso wandte sich der württembergische Landesbischof Theophil Wurm am 19. Juli 1940 in einem Schreiben an den Reichsminister des Inneren Dr. Frick. Es ist Beate M. Schuttes Verdienst, dass sie diese beiden Proteste im Zusammenhang der theologischen Arbeiten von Dietrich Bonhoeffer in Erinnerung gebracht hat. In einer Londoner Abendpredigt im Sommer 1934 hatte er über 2. Korinther 12,9: „ Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ in englischer Sprache gepredigt. Er formuliert am Ende der Predigt: „The suffering man is in the likeness of God”, der leidende Mensch ist Gottes Ebenbild.

Diese Aussage zur Gottesebenbildlichkeit ist für die Verfasserin der Leitfaden, mit dem sie Bonhoeffers Schriften untersucht. Dabei prüft sie, inwieweit dies dem verbreiteten sozialdarwinistischen Gedankengut widerspricht. Im Kapitel „Weltanschauliche Herausforderungen“ stellt sie Evolutions- und Selektionstheorien von Charles Darwin, Ernst Haeckel und weiteren Autoren sowie Friedrich Nietzsches Philosophie des „Übermenschen“ und der „Herrenmoral“ bis zu den Auslassungen Hitlers in Mein Kampf vor. Die Glaubensbewegung der Deutschen Christen sowie Vertreter der Inneren Mission haben sozialdarwinistisches Gedankengut aufgenommen. Im Kapitel „Bonhoeffers Widerspruch gegen den Sozialdarwinismus“ weist die Autorin sehr detailliert nach, wie intensiv sich Bonhoeffer in seinen Schriften, Predigten, Vorträgen und in den Briefen aus dem Gefängnis mit philosophischen Gedanken auseinandersetzt. Er differenziere Freiheit und Autonomie. „Als relationales Wesen sei der Mensch als Geschöpf auf Gott und Gottes Willen bezogen. Die Freiheit sei als eine relative beziehungsweise relationale zu verstehen, weil sie nicht Unabhängigkeit vom Mitmenschen bedeute, sondern Freiheit für den Anderen.“ Mit den in den Gefängnisbriefen angedeuteten positiveren Gedanken über die Mündigkeit des Menschen verbinde Bonhoeffer die freie verantwortliche Tat. Bonhoeffers Weg vom Widerspruch zum Widerstand beschreibt Kapitel vier. In der Konspiration gegen Hitler sieht Bonhoeffer für sich eine Form des Mitleidens mit den Opfern, die sich bewusst von dem ambivalenten Gefühl des Mitleids absetzt.

Dietrich Bonhoeffers Widerspruch gegen den Sozialdarwinismus bietet Hilfestellungen in gegenwärtigen Gesprächen um den Lebensschutz und die Selbstbestimmung von Menschen mit Demenz. Die von der Theologischen Fakultät der Universität Bonn angenommene Dissertation widmet Beate M. Schutte ihrer wegen einer Epilepsie in der Tötungsanstalt Hartheim/Linz am 4.2.1941 ermordeten Urgroßmutter Christina Motschiedler, geborene Daut. Dem Verschweigen des Schicksals ihrer Urgroßmutter in der Familie setzt Schutte diese beeindruckende Veröffentlichung entgegen, die eine bisher wenig gewürdigte Dimension des Wirkens Bonhoeffers herausstellt. Für die aktuelle Diskussion zur Eugenik und Euthanasie sowie dem wiederauflebenden sozialdarwinistischen Gedankengut liefert die Arbeit von Beate M. Schutte hilfreiche Gegenargumente. Dafür ist ihr sehr zu danken.

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