Eine Frage des Menschenrechts

Warum wir den Genderstern brauchen
Wie antwortet die Verwaltung auf die Bewerbung von Alex Mustermensch, wenn das beigefügte Foto im Hinblick auf das Geschlecht interpretationsfähig ist?
Foto: dpa/Westend61
Wie antwortet die Verwaltung auf die Bewerbung von Alex Mustermensch, wenn das beigefügte Foto im Hinblick auf das Geschlecht interpretationsfähig ist?

An der Frage, ob und in welcher Form geschlechtliche Vielfalt ihren sprachlichen Niederschlag finden sollte, scheiden sich gegenwärtig die Geister. Für Eske Wollrad, Geschäftsführerin des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer, ist klar: Das Gendersternchen ist wichtig – und es ist nicht der Weisheit letzter Schluss.

Niemand spricht oder schreibt in einem erfahrungsleeren Raum. Wir müssen fragen, bei jedem Satz, den wir schreiben, jedem Bild, das wir evozieren, was wir darin zitieren, welche Erinnerungen damit für wen verkoppelt sind, welche Stimmen so legitimiert oder delegitimiert werden. (Carolin Emcke)

Sprache ist lebendig, dehnt sich aus, mischt Begriffe, formt sie neu und lässt andere verschwinden. Sprache besitzt Macht, weil sie nicht nur Dinge begrifflich erfasst und beschreibt, sondern auch unser Bewusstsein beeinflusst. Manchmal ist sie auch ein Korsett, das einzwängt und daher verändert werden muss. Im Hinblick auf Geschlechtsbezeichnungen ist dieser Punkt heute erreicht. Bisher kannte das Deutsche für die Bezeichnung erwachsener Personen zwei Geschlechter, das männliche und das weibliche. Dieses Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit ist vergleichsweise jung, denn es entstand erst im 18. Jahrhundert. Zuvor galt, dass alle Menschen ein Geschlecht haben, welches beim Mann nach außen, bei der Frau nach innen gestülpt sei. Es gab somit nur ein Menschengeschlecht – allerdings galt der Mann als die vermeintlich vollkommenere Ausführung. Die Idee der Zweigeschlechtlichkeit hingegen postulierte eine grundlegende Geschlechterdifferenz, sowohl biologisch als auch hinsichtlich der Geschlechtscharaktere. Damit ist nun Schluss.

Das Personenstandsgesetz eröffnet seit 2018 unter Paragraph 22 vier geschlechtliche Eintragungsmöglichkeiten im Geburtenregister: Neben den Angaben „männlich“, „weiblich“ sowie dem Offenlassen des Geschlechtseintrages kann die Bezeichnung „divers“ gewählt werden. Mit der Änderung wird anerkannt, dass Geschlecht mehrdeutig ist, dass Menschen gonadal, chromosomal, genetisch und hormonell zuweilen nicht eindeutig zugeordnet werden können. So wurde bei den Olympischen Spielen 2016 bezweifelt, dass die Athletin Caster Semenya eine Frau ist aufgrund ihres Erfolges und des vermeintlich maskulinen Aussehens, und die daraufhin eingeleitete Untersuchung kam zu dem Schluss: „Es ist klar, dass sie eine Frau ist, aber vielleicht nicht zu hundert Prozent.“

Unumstritten ist heute, dass es neben männlich und weiblich weitere unzählige geschlechtliche Varianten gibt, die unter divers zusammengefasst und juristisch anerkannt sind. Umstritten ist, wie sich dies sprachlich abbildet. Eine Möglichkeit, diesem Umstand gerecht zu werden, ist das Gendersternchen. Dabei handelt es sich um ein neugeprägtes Wort, das sich erst Ende der 2010er-Jahre aus der ursprünglichen Form Genderstar entwickelte. Es bringt Geschlechtervielfalt jenseits eines binären Geschlechtermodells zum Ausdruck, wobei die Strahlen des Sterns in verschiedene Richtungen zeigen und für die unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten und -positionierungen stehen. Das Gendersternchen ist notwendig, weil das Deutsche nicht in der Lage ist, die als divers bezeichneten Menschen korrekt zu adressieren.

Diskriminierung vermeiden

Ein Beispiel: Öffentliche Verwaltungen haben klare Vorgaben, wie beispielsweise Stellenausschreibungen zu formulieren sind, um Diskriminierungen zu vermeiden. Dazu gehört auch seit 2018 der Zusatz „m/w/d“. Nur wie antwortet die Verwaltung auf die Bewerbung von Alex Mustermensch, zumal, wenn das beigefügte Foto im Hinblick auf Geschlecht interpretationsfähig ist? „Sehr geehrter Herr Mustermensch“? Oder „Sehr geehrte Frau Mustermensch“? Möglich wäre „Hallo Alex Mustermensch“ – eine umgangssprachliche Anrede, die sich für eine professionelle Kommunikation kaum eignet. Möglich wäre: „Guten Tag, Alex Mustermensch,“ oder noch besser, da höflicher: „Sehr geehrt* Alex Mustermensch“. Das Sternchen mit den vielen Achsen verweist auf die vielen Varianten von Geschlecht.

Widerspruch gegen das Sternchen regt sich aller Orten, unter anderem wird hervorgehoben, das Sternchen störe den Lesefluss. Wenn dieses tatsächlich als ein Hauptkriterium für eine korrekte Sprache gelten soll, gehören Worte wie Rotzeder, Urinsekten und Altbaucharme unbedingt auf den Index. Unter Bezug auf die Linguistik wird behauptet, das Gendersternchen sei erstens grammatikalisch falsch und zweitens überflüssig, es gäbe ja das generische Maskulinum. Dies bedeutet, dass die Wortendung eines Substantivs zwar männlich ist (Lehrer), damit aber kein natürliches Geschlecht gemeint sei, sondern alle, die unterrichten. Somit wäre das generische Maskulinum auch eine Lösung für die als divers  eingetragenen Menschen, da es kein tatsächliches Geschlecht meint. Der Haken bei der Sache ist die Assoziation, das Bild hinter dem Wort: Mit „Lehrer“ assoziieren die meisten Menschen einen Mann oder mehrere Männer.

Der klassische Test, ob man das generische Maskulinum verstanden hat, ist folgendes Rätsel: Vater und Sohn fahren im Auto. Sie haben einen schweren Unfall, bei dem der Vater sofort stirbt. Der Junge wird mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus gebracht, in dem ein Chirurg arbeitet, der eine bekannte Kapazität für  Kopfverletzungen ist. Die Operation wird vorbereitet, alles ist fertig, als der Chirurg erscheint und den Jungen sieht, sagt er: „Ich kann ihn nicht operieren. Er ist mein Sohn!“ Wer ist nun der Chirurg? Lösung: die Mutter des Jungen.

Beweislast umgekehrt

Häufig fällt die Lösung schwer, weil mit „Chirurg“ ein Mann assoziiert wird. Die Lingustin Ewa Trutkowski bedauert das sehr: „Leider wird von vielen linguistischen Laien angenommen, das generische Maskulinum würde nur männliche Personen abbilden.“ Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es sich hier um einen elitären Fachdiskurs handelt, der seinen Gegenstand linguistischen Laien nicht vermitteln kann, allein der Vorwurf ereilt nicht die Linguistik, sondern diejenigen, die das  Gendersternchen favorisieren. Der Journalist und selbsternannte Vertreter des  Proletariats Jan Fleischhauer schreibt: „Ich glaube nicht, dass die  Supermarktverkäuferin oder der Gabelstaplerfahrer in absehbarer Zeit mit Genderstern sprechen werden.“ Wer legitimiert die Verwendung des Gendersternchens? Die Linguistik? Die Supermarktangestellten?

Es geht hier nicht um Grammatik, es geht um Macht, genauer gesagt um die Deutungshoheit auf dem Feld der Geschlechterpolitik. Zu Recht fragt die Philosophin Carolin Emcke, durch die Verwendung welcher Worte welche Stimmen legitimiert oder delegitimiert werden. Wer die Frage nach dem Genderstern auf der Spielwiese der Gender Studies verortet, delegitimiert die Stimmen jener, die sich nicht in die Weiblich-männlich-Binarität einordnen können oder wollen und das Regime der  Zweigeschlechtlichkeit am eigenen Leib erfahren haben (oft als  Genitalverstümmelungen). Welche Worte sind also angemessen, die Existenz dieser Menschen zu bejahen?

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich nicht endgültig zum Gendersternchen positioniert, mit einem Kommentar jedoch in die entscheidende Richtung gewiesen. Er erklärt, dass „der gesellschaftliche Diskurs über die Frage, wie neben männlich und weiblich ein drittes Geschlecht oder weitere Geschlechter angemessen bezeichnet werden können, sehr kontrovers verläuft. Dennoch ist das Recht der Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, auf angemessene sprachliche Bezeichnung ein Anliegen, das sich auch in der geschriebenen Sprache abbilden soll.“

Es gibt ein Recht auf angemessene sprachliche Bezeichnung des eigenen Geschlechts. Den Kontext für die Frage, ob das Gendersternchen nötig ist oder nicht, bilden somit die Menschenrechte. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Niemand darf aufgrund des eigenen Geschlechtes benachteiligt werden (Artikel 3 Grundgesetz). Wer sich aufgrund des Geschlechts beispielsweise sprachlich diskriminiert fühlt, kann rechtlich dagegen vorgehen. Damit kehrt sich die Beweislast um: Diejenigen, die treuherzig auf das generische Maskulinum als das von Geschlecht losgelöste Abstraktum verweisen, müssen begründen, warum es die Menschenwürde der als „divers“ Eingetragenen nicht verletzt.

Die Medien jedenfalls verzichten zunehmend auf das generische Maskulinum – so beispielsweise Der Spiegel. Die Frankfurter Rundschau nutzt den Gender-Doppelpunkt, ARD und ZDF setzen gelegentlich das gesprochene Gendersternchen ein: In der Tagesschau, den Tagesthemen, in Aspekte oder im heute-journal ist das sogenannte Sprechen mit einer kleinen Pause keine Seltenheit mehr. Der Ratsvorsitzende der EKD spricht zuweilen das Sternchen, und der Rat der EKD empfiehlt „die Verwendung des Asteriks (*) als aktuell gebräuchlichster Form, um die Vielfalt der Geschlechter zum Ausdruck zu bringen“.

Wertvoller Streit

Das Gendersternchen ist wichtig – und es ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Es kann nicht darum gehen, an die Stelle der alten Dogmatik – des generischen Maskulinums – eine neue Dogmatik zu setzen. Wertvoll ist vielmehr das Streiten, das Ringen darum, wie Geschlechtervielfalt als menschlicher Reichtum angemessen in Worte gefasst werden kann. Einigkeit muss dann nicht darüber bestehen, ob das Gendersternchen angewandt wird oder ein anderes Zeichen, sondern darüber, dass wir gemeinsam Verantwortung übernehmen für die Bilder hinter unseren Worten, für die Erinnerungen und dafür, dass unsere Worte bestimmte Stimmen legitimieren und andere nichten können.

Wie ließe sich diese Verantwortung theologisch fassen? Abgewandelt könnten Carolin Emckes Worte lauten: Niemand spricht oder schreibt über Gott in einem erfahrungsleeren Raum. Wir müssen fragen, bei jedem theologischen Satz, den wir schreiben, jedem Gottesbild, das wir evozieren, was wir darin zitieren, welche Erinnerungen damit für wen verkoppelt sind, welche Stimmen so legitimiert oder delegitimiert werden. Welche Bilder, welche Erinnerungen evozieren Christ*innen, wenn sie von Gott reden? Schaut man in die Kirchen, dominiert ein bestimmtes Bild vom Gott: alt, männlich, weiß. Das kann nicht so bleiben, findet die Katholische Studierende Jugend (KSJ). Sie schreibt „Gott*“ ab sofort mit dem Gendersternchen, denn sie will „weg von dem strafenden, alten, weißen Mann mit Bart hin zu einer Gottes*vielfalt. (…) Gott* ist keinem Geschlecht oder anderen menschlichen Kategorien zuzuordnen und mit dem ‚*‘ wollen wir Gott* aus der geschlechtlichen Ebene heben, denn GOTT* IST IN ALLEN DINGEN.“

Ob der Genderstern hier das zum Ausdruck bringt, was gewünscht ist, erscheint fraglich, denn wie der Name schon sagt verweist der Stern dezidiert auf geschlechtliche Vielfalt und Fluidität. Gleichzeitig ist es lohnend, darüber nachzudenken, welche sprachlichen Stolpersteine uns inspirieren könnten, Gott neu zu denken. Es gilt nichts Geringeres, als postpatriarchal und nach der Aufhebung der Zweigeschlechtlichkeit eine neue Grammatik des Heiligen zu entwickeln, die Grenzen überschreitet und die Schranken, die bisher unser Sprechen über Geschlecht einhegen, überwindet. Der Praktischen Theologin Isolde Karle zufolge sollten „Kirche und Theologie (…) dazu beitragen, von den Schranken des Geschlechts unabhängig zu machen. Sie haben dabei das Evangelium auf ihrer Seite“.

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