Heilsamer Stachel

Klartext
Foto: Privat

Die Gedanken zu den Sonntagspredigten für die nächsten Wochen stammen von Jürgen Wandel. Er ist Mitarbeiter von zeitzeichen.

Hund oder Sauhund?

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 15. November

Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. (Lukas 16,8)

A Hund isser scho!“ Mit dieser Redensart drücken Bayern augenzwinkernd Bewunderung für ein Schlitzohr aus. „Hund“ ist hier genauso wenig eine Beleidigung, wie wenn man jemand als „Fuchs“ bezeichnet. Als „Hund“ werden in Bayern mitunter aber auch Politiker gelobt, die es mit der Moral nicht so genau nehmen und sogar das Recht beugen. Die Grenze zwischen dem „Hund“ und dem „Sauhund“ ist also fließend.

Ähnlich wie das Lob des „Hundes“ wirkt auf heutige Betrachter, wenn „der Herr“ in dem Gleichnis einem Verwalter kluges Handeln bescheinigt, den die Lutherbibel „ungerecht“ nennt und die Zürcher Bibel „gerissen“. Der Verwalter wird beschuldigt, dass er schlecht gewirtschaftet hat. Das will sein Arbeitgeber, der „reiche Mann“, der wahrscheinlich ein Großgrundbesitzer war, überprüfen. Er verlangt Einsicht in die Bücher, und der Untergebene fürchtet Entlassung und Verarmung, wenn sein Fehlverhalten rauskommt. Aber er steckt den Kopf nicht in den Sand, sondern nimmt sein Schicksal in die Hand, frisiert die Bilanzen mit Hilfe der Schuldner seines Arbeitgebers, erlässt ihnen einen Teil der Schulden und erkauft so ihr Wohlwollen.

Ist der Verwalter nun ein „Hund“, wie ihn Bayern bewundern, oder ein „Sauhund“, der die Kündigung, eine Klage auf Schadensersatz und Verachtung verdient hat? Ein Lob wäre doch nur angemessen, wenn der Verwalter seine Fehler bekennen, bereuen und eine Wiedergutmachung im Rahmen seiner Möglichkeiten versprechen würde. Oder?

Die Auslegung des Gleichnisses fällt selbst Theologen nicht leicht. Mit dem griechischen Wort für „klug“ werden im Neuen Testament Leute bezeichnet, die sich auf das Hereinbrechen des Reiches Gottes einstellen. Man kann das Gleichnis vom ungerechten Verwalter also als Mahnung verstehen, dass Menschen einmal vor Gott ihre Bücher offenlegen und sich dafür verantworten müssen, dass sie den „Besitz verschleudert“ haben, den Gott ihnen anvertraut hat. Und da reicht es nicht aus, Fehlverhalten, Versäumnisse und Irrtümer zuzugeben und zu bereuen. Vielmehr sollten Menschen klug sein wie der Verwalter und versuchen, den Schaden, den sie verursacht haben, zu bereinigen oder zu minimieren. Nur – sein Verhalten hat einen Schönheitsfehler. Denn er handelt nur aus Eigennutz.

Aber Gottes Gnade ist größer, als es sich Menschen vorstellen können. Und das strapaziert das Gerechtigkeitsempfinden.

Sein in Gott

Totensonntag, 22. November

Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib. (1. Korinther 15,44)

Die Gräber, die die Kirche der Heiligen Dreieinigkeit von Cookham an der Themse umgeben, sind offen. Frauen und Männer schauen über den Rand der Gruben und Sarkophage. Oder sie sind gerade herausgeklettert und lehnen sich erschöpft an einen Grabstein. Und dazwischen sitzen Gott Vater, Jesus und die Heiligen.

Gemalt hat das Gemälde The Resurrection (Die Auferstehung) Stanley Spencer (1891 – 1959). Die Szene spielt in dem Dorf Cookham, in dem er lange wohnte und das er als ein „Paradies“ erlebte.
Die dargestellten Personen tragen Züge von Verwandten, Freunden und Nachbarn.

Jedes Mal, wenn ich die Tate Gallery im Londoner Stadtteil Pimlico besuche, verweile ich vor dem Gemälde. Die Auferstehungsszene, die in helles Licht getaucht ist, fasziniert und berührt mich. Sie nimmt dem Tod etwas von seinem Schrecken. Ich liebe englische Dörfer, reale und fiktive. Es muss schön sein, dort zu neuem Leben zu erwachen, zu bleiben und Ruhe und Frieden zu genießen.

Aber das Gemälde befördert die falsche Vorstellung, dass Auferstehung die Wiederherstellung des alten – mit Paulus gesprochen – „natürlichen“ Leibes bedeutet. Diese Auffassung findet sich unter Christen und dient Atheisten dazu, den christlichen Glauben als Humbug abzutun.

Aber genauso fragwürdig ist eine andere Jenseitsvorstellung: dass der Leib verwest, die Seele aber weiterlebt. Auf die Bibel Alten und Neuen Testamentes, auch auf Paulus kann sie sich nicht berufen. Denn er hält an einer Auferstehung des Leibes fest. Und das bedeutet nichts anderes als Auferstehung des Menschen. Denn ein Mensch besteht aus Leib und Seele. Beide sind untrennbar miteinander verwoben und beeinflussen einander.

Aber wie sieht nun der „geistliche Leib“ aus, von dem Paulus schreibt? Und wo befindet er sich? In Gott. Mehr lässt sich nicht sagen. Und mehr muss man auch nicht wissen. Natürlich darf man sich von Bildern wie Spencers Resurrection zum Träumen anregen und ermutigen lassen. Aber der eigentliche Trost, den der christliche Glaube schenkt, besteht darin, dass wir nicht ins Nichts hinein sterben, sondern in den Gott, von dem Paulus nach der Überlieferung der Apostelgeschichte (17,28) bekannte: „In ihm leben, weben und sind wir.“

 

Umdenken bewirkt

1. Advent, 29. November

Du Tochter Zion, freue dich sehr und du Tochter Jerusalem jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir … und reitet auf einem Esel … Der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer zum andern. (Sacharja 9,9 – 10)

An diese Verheißung knüpfen die Palmsonntagsgeschichte (die Erzählung von Jesu Einzug in Jerusalem) und Adventschoräle wie „Tochter Zion“ an. Denn Christen sehen in Jesus den von Sacharja prophezeiten Friedefürst.

Juden hat das nie eingeleuchtet. Sie können darauf hinweisen, dass „von einem Meer zum andern“, das heißt: dass auf der ganzen Welt nur teilweise Friede herrscht und Rüstungsgüter eher exportiert und eingesetzt als verschrottet werden. Und glauben Christen wirklich, dass Jesus der Friedefürst ist? Auf der einen Seite sangen sie im Advent, „Sanftmütigkeit ist sein Gefährt“ und „sein Zepter ist Barmherzigkeit“. Auf der anderen Seite hatten in evangelischen Kirchen (von anderen ganz zu schweigen) Patriarchen das Sagen, für die „Sanftmütigkeit“ eine Eigenschaft von Frauen und verweiblichten Männern war. In kirchlichen Einrichtungen war es lange üblich, Kinder zu verprügeln oder noch schlimmer zu misshandeln. Und in den USA wählen die meisten Christen, die sich als „wiedergeboren“ bezeichnen, Politiker, die sich weder durch „Sanftmütigkeit“ noch „Barmherzigkeit“ auszeichnen, sondern das Tragen von Waffen und die Todesstrafe gutheißen.

Die Gewaltgeschichte des Christentums ist gut erforscht und bekannt. Weniger bekannt sind dagegen – leider – Kirchen und Christen, die dem Friedefürsten Jesus nachfolgten. Wer weiß schon, dass kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, vom 1. bis zum 3. August 1914 Christen aus zwölf Ländern in Konstanz am Bodensee zusammenkamen und „die Kirchen aller Länder“ aufforderten, „ihren Einfluß auf Volk, Volksvertretung und Regierung“ zu nutzen, „gute und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Völkern herzustellen“ und „den Zustand gegenseitigen Vertrauens“ zu schaffen, „den zu erstreben das Christentum die Menschheit gelehrt hat“.

Natürlich ist es nicht einfach, die Bergpredigt umzusetzen. Und so haben Theologen und Nichttheologen aus unterschiedlichen Gründen oft versucht, sie zu relativieren. Aber Gott sei Dank ist die Bergpredigt ein Stachel geblieben, der Christen immer wieder gepikst und zum Nach- und Umdenken veranlasst hat. So übt der Friedefürst Jesus seine Macht aus und verhindert, dass das Christentum zu einer Religion verkommt, die Gewalt befördert und rechtfertigt.

 

Mal so, mal so

2. Advent, 6. Dezember

So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. (Jakobus 5,7)

Manchmal geschieht das „Kommen des Herrn“ auf ungewöhnliche und sogar unmittelbare Weise. Paulus hörte – nach der Überlieferung der Apostelgeschichte – vor Damaskus Jesu Stimme. So wurde aus dem Verfolger der Christen der Apostel, der Nichtjuden für das Chris-tentum gewann und den Grundstein für eine Weltreligion legte. Als Martin Luther im Turmzimmer des Schwarzen Klosters zu Wittenberg den Römerbrief las, war es ihm, als sei er „ganz und gar neugeboren und durch offene Pforten in das Paradies selbst eingetreten“. So entwickelte sich der Augustinermönch zum Reformator, der eine gewaltige Veränderung der Kirche und der Welt bewirkte. Und dem anglikanischen Pfarrer John Wesley (1703 – 1791) wurde es „seltsam warm ums Herz“, als er bei einer Versammlung Luthers Vorrede zum Römerbrief hörte. Schließlich wurde der Engländer zum Gründer der Methodistenkirche, die den Protestantismus und die Gesellschaften Großbritanniens und der USA stark beeinflusst hat.

In der Regel vollzieht sich „das Kommen des Herrn“ weniger dramatisch und deutlich. Ja, manchmal ist es nicht einmal zu erkennen. Nach der Überlieferung des Matthäusevangeliums (25, 31 – 46) sagt Jesus beim „Weltgericht“ zu den „Gerechten“, was sie Hungrigen, Fremden, Armen und Gefangenen Gutes getan hätten, „das habt ihr mir getan“. Und die Pointe der Geschichte ist: Die Angesprochenen hatten gar nicht gemerkt, dass sie Jesus in seinen „geringsten Brüdern“ begegnet waren.

Im Kirchenjahr gibt es Zeiten, in denen „das Kommen des Herrn“ besonders zu spüren ist. In der Weihnachtszeit gehen Menschen oft liebevoller miteinander um als sonst. Oder sie bemühen sich zumindest darum. Es wird mehr gespendet für die „geringsten Brüder“ Jesu, in unserem Land und weltweit. Und vor Weihnachten werden keine Strafbescheide zugestellt und Gefangene oft vorzeitig entlassen. Auch darin lässt sich „das Kommen des Herrn“ erkennen, der Liebe und Barmherzigkeit verkündigt und praktiziert hat.

Selbst in einem stark entkirchlichten Land wie England zieht es die Leute während der Adventszeit in die Kirchen, zu den Carol Services, Gottesdiensten, in denen Carols, Advents- und Weihnachtslieder, gesungen werden. Und an Weihnachten platzen die Kirchen wie in Deutschland aus allen Nähten. Das hat mit Tradition und Gewohnheit zu tun. Aber nicht nur. Worte der Bibel wie die Weihnachtsgeschichte, altvertraute Weisen, Lichter und Kerzen, die in der Dunkelheit leuchten, schenken Geborgenheit trotz Not und Tod. Auch dies lässt sich als „das Kommen des Herrn“ deuten, der Gottvertrauen und Nächstenliebe gepredigt und verkörpert hat.

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