„Volles Konto an Liebe“

Werbung und PR sind für die evangelische Kirche längst kein Teufelszeug mehr
Ein Plakat der großangelegten EKD-Imagekampagne 2002.
Foto: epd/Renate Meinhardt
Ein Plakat der großangelegten EKD-Imagekampagne 2002.

Vor fünfzig Jahren bildete sich der erste überregionale Zusammenschluss kirchlicher Werbefachleute, später bekannt als „Kooperation Werbedienst“. Werbung und Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirche in eigener Sache waren damals noch umstritten – heute genießen sie breite Anerkennung als Teil kirchlicher Publizistik. Der Journalist Thomas Krüger zeichnet die Entwicklung nach.

Als sich am 16. November 1970 Mitarbeiter von 17 evangelischen Einrichtungen in der katholischen Bischofsstadt Fulda trafen, schrieben sie ein Stück Geschichte. Die Pfarrer und Diakone aus volksmissionarischen Ämtern, Öffentlichkeitsstellen, landeskirchlichen Werbediensten und dem Diakonischen Werk der EKD gründeten den „Evangelischen Arbeitskreis für Werbung und Public Relations“. Damit schlossen sich vor fünfzig Jahren erstmals bundesweit Vertreter dieses kirchlichen Arbeitszweiges zusammen, dessen Existenzberechtigung zu jener Zeit noch angezweifelt wurde.

Ziel der Neugründung war es, eine Struktur für den Ideenaustausch zu schaffen, Fortbildung zu organisieren und vor allem die Gemeindebasis besser und preiswerter mit Plakaten und anderen Werbemitteln für Schaukästen oder Gemeindebriefe zu bedienen. Der Arbeitskreis sei „aus der Not heraus“ entstanden, sagt Herbert Kirchmeyer vom Amt für Gemeindedienst in Nürnberg nach einem Blick ins Archiv: Da die EKD die Finanzierung der Vorläuferorganisation „Vocamus“ („Wir rufen“), eines Vereins von Kirchenvertretern und Werbefachleuten, wegen „fehlender gesamtkirchlicher Bedeutung“ abgelehnt hatte, griffen Landeskirchen und Diakonie zur Eigeninitiative.

Ab 1971 brachte der Arbeitskreis unter dem Titel „Evangelischer Werbedienst“ über drei Jahrzehnte eine Zeitschrift mit Arbeitshilfen, Produktvorstellungen und fachlicher Beratung heraus. Ein Bestellkatalog mit Werbeartikeln kam hinzu, der als „KOMM-Katalog“ bis heute existiert – seit über 15 Jahren nun auch online. Der Zusammenschluss war auch eine Triebfeder für die Gründung des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (GEP) 1974 in Frankfurt am Main, das seither die kirchlichen Akteure in verschiedenen Medienbereichen vernetzt.

„Dass das GEP auch einen Fachbereich ,Werbung und Public Relations‘ erhielt, war umstritten“, berichtet Holger Tremel, der viele Jahre diesen Bereich im Gemeinschaftswerk leitete. Zwar hatte es in Deutschland bereits Anfang der 1920er-Jahre erste theologische Überlegungen gegeben, ob und wie Kirche für sich werben solle. Doch diesen zarten Pflänzchen hatte Professor Karl Barth den Garaus gemacht, als er 1930 – gemünzt auf die Selbstdarstellung der evangelischen Kirche in der Weimarer Republik – formulierte: „Die Kirche kann nicht Propaganda treiben. Die Kirche kann sich nicht selbst wollen, bauen, rühmen wie alle Anderen … Man kann nicht Gott dienen und mit dem Teufel und der Welt solche Rückversicherungen eingehen.“

Manipulative Praktiken?

Dieses Verdikt gegen Propaganda wurde noch in der Nachkriegszeit lange von Theologen herangezogen, um ihre Ablehnung moderner Werbung zu untermauern. Zudem hatte in den 1950er-Jahren das Buch von Vance Packard Die geheimen Verführer große Wirkung in akademischen Kreisen – der Autor geißelte darin scharf manipulative Praktiken der Produktwerbung. Andererseits gab es insbesondere aus volksmissionarischer Sicht die Hoffnung, durch Werbung neue Plattformen für die Verkündigung des Evangeliums zu finden. Und es gab die reale Nachfrage aus den Gemeinden nach praktischen Hilfen für die publizistische Arbeit vor Ort.

In seinem 1961 erschienenen Buch Die Werbung der Kirche fand Waldemar Wilken, Leiter des kurz zuvor gegründeten Amtes für Öffentlichkeitsdienst der Hamburgischen Landeskirche (AfÖ), eine Kompromissformel: „Werbung ist nicht Verkündigung. … Werbung hat eine vermittelnde und dienende Aufgabe. Sie hört an der Kirchentür auf.“ Wilken, ein Pionier kirchlicher Werbearbeit, hatte bereits zuvor im Evangelischen Männerwerk Hamburg einen „Arbeitskreis für Werbung und volksmissionarisches Schrifttum“ installiert. Auch in Ostdeutschland tat sich was: Das Berliner Sonntagsblatt berichtete 1956 über eine erste Rüstzeit zur Schaukastengestaltung in Dresden.

Den Dialog zwischen Kirchen und Werbung beförderte damals die Evangelische Akademie Tutzing. Nachdem ein führender Werbefachmann den Kirchen vorgeworfen hatte, sie verstünden nicht, sich der Mittel der modernen Werbung zu bedienen, lud die Akademie beide Seiten zu Werbetagungen ein. Daraus entstand eine aufsehenerregende Initiative: Die Leser der Bild-Zeitung staunten 1961 nicht schlecht, als wöchentlich Anzeigen mit dem Spruch „Jeder hat ein volles Konto an Liebe“ erschienen. Ein Jahr lang stellte der Verlag kostenlos Platz für Annoncen zur Verfügung, in denen Kirchenvertreter und Werbefachleute zur Nächstenliebe und zum Nachdenken über Alltagsfragen aufriefen. Aus dieser Aktion ging 1962 der Verein „Vocamus“ hervor, der Vorläufer des Werbedienstes; mehrere landeskirchliche Werbestellen entstanden ebenfalls in jenen Jahren.

Im 1974 neu gegründeten Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik – kurz GEP – hatte der Fachbereich „Werbung und Public Relations“ zunächst keinen leichten Stand – so Holger Tremel, der 1981 die Leitung der späteren Abteilung Öffentlichkeitsarbeit übernahm. Aus anderen Fachbereichen sei teilweise der Öffentlichkeitsarbeit der Status als Publizistik abgesprochen worden. Auch der damalige GEP-Direktor Hans-Wolfgang Heßler räumte 1982 ein, er und andere hätten Werbung und PR allenfalls „eine Chance als Fehlfarbe von Publizistik“ überlassen, und distanzierte sich zugleich von dieser Haltung.

Heßlers Äußerung dokumentiert den in den 1980er-Jahren einsetzenden Sinneswandel. „Schwindende Beteiligung am kirchlichen Leben zeigte, dass man Kirche in der Öffentlichkeit einladend präsentieren muss“, berichtet der Theologe und Soziologe Tremel. Auch die PR-Branche hatte sich gewandelt: Öffentlichkeitsarbeit wurde nicht mehr als Marketing-Instrument angesehen, sondern sollte einen Dialog mit ihren Zielgruppen herstellen. „Dieser Ansatz traf sich mit dem Anspruch der Kirche, durch Kommunikation Gemeinschaft zu ermöglichen“, sagt der Experte. „Es galt nun, theologisch zu begründen, warum Öffentlichkeitsarbeit nicht nur zu akzeptieren, sondern für Kirche auch notwendig ist.“ Gemeinsam mit dem Marketingdirektor von McCann Erickson, Peter Carlberg, langjähriger Vorsitzender des Fachausschusses Öffentlichkeitsarbeit beim GEP, öffnete Tremel die Türen für den Dialog mit Praktischen Theologen wie Henning Schröer und Rainer Volp.

1 000 Fachleute ausgebildet

Mit Fachdiskussionen und Workshops, mit Grund- und Aufbaukursen, später den berufsbegleitenden Studiengängen Öffentlichkeitsarbeit (ab 1990, seit 2016 beim AfÖ in Hamburg angesiedelt) und Fundraising (seit 2000 in der vom GEP mitgegründeten Fundraising-Akademie) sowie Initiativen zu Modellprojekten beförderte das GEP die Professionalisierung und Anerkennung dieses Arbeitszweiges. In den Studiengängen wurden seither mehr als tausend Fachleute ausgebildet, von denen etliche später Leitungsfunktionen übernommen haben. Eigene Presse- und Öffentlichkeitsstellen sind heute von der EKD bis in die Kirchenkreise nicht mehr wegzudenken; vielerorts werben inzwischen Fundraising-Spezialisten um Mittel für kirchliche Projekte.

Auch die klassischen Instrumente gemeindlicher Öffentlichkeitsarbeit erlebten eine Aufwertung. Dazu trugen GEP-Studien zu Gemeindebriefen oder Schaukästen erheblich bei. Der Anteil der Kirchengemeinden mit einem eigenen Gemeindebrief stieg von den 1970er-Jahren bis Ende der 1990er-Jahre von einem Drittel bis auf über neunzig Prozent und die Qualität nahm zu. Dazu trug auch das Werkbuch Gemeindebrief bei, 1998 gemeinsam vom Evangelischen Werbedienst mit dem GEP herausgegeben, sowie ein Jahr später ein auf CD gepresster „Illu-Pool“ mit Grafiken, Cartoons und Zeichnungen. Noch immer zählen gedruckte Gemeindebriefe zu den wichtigsten Informationsquellen über das kirchliche Leben vor Ort.

In den 1980er-Jahren entstanden erste Öffentlichkeitsinitiativen und Kampagnen, die das GEP zum Teil selbst mit angestoßen und begleitet hat. Auch die evangelische Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“ mit inzwischen Millionen Teilnehmern hat ihren Ursprung in dieser Zeit. Entwickelt und aufs Gleis gesetzt vom AfÖ in Nordelbien, wurde sie aufgrund der bundesweiten Resonanz vom GEP übernommen und bis heute weitergeführt.

Große Presseresonanz erhielt 1986 die Pforzheimer Kampagne „Einladung in die Kirche – Einladung zum Glauben“, die auf dem Kinospot „Manager gegen Wahnsinn“ basierte und distanzierte Kirchenmitglieder zu neuem Engagement motivieren wollte. Anders geartet war in den 1990er-Jahren die von GEP und EKD entwickelte Initiative „Brücken bauen“, bei der es auf Kirchenkreis-Ebene um die Erhöhung der Akzeptanz von Kirche, die Stärkung kommunikativer Kompetenz ihrer Mitarbeiter, eine Verbesserung von Diensten und Angeboten und die Entdeckung des Glaubens ging.

1993 war die Kampagne „misch dich ein“ des Stadtkirchenverbandes Köln die erste im evangelischen Bereich mit einem Millionen-Etat. Mit Aktionszeitungen, Plakaten, Anzeigen und Verkehrsmittelwerbung trat die Kirche in den Dialog mit den Bürgern und stellte eine bessere interne und externe Kommunikation in den Mittelpunkt. Auch die EKD entdeckte das Instrument Kampagne für sich, warb zum Beispiel gemeinsam mit den Landeskirchen 1999 und 2007 für den Schutz des Sonntages. Im Vorlauf zum 500. Reformationsjubiläum fanden Themenjahre wie etwa das „Jahr der Taufe“ 2011 breite Aufmerksamkeit.

Der Evangelische Werbedienst hat zusammen mit dem GEP nicht nur für die Grundausstattung der Gemeinden mit Werbemitteln gesorgt, sondern auch überregionale Aktionen begleitet, so etwa 2002 die EKD-Imagekampagne „Lassen Sie uns gemeinsam Antworten finden“ oder die „Sonntags-Initiative“. Die von der hannoverschen Landeskirche angestoßene Aktion „Advent ist im Dezember“ entwickelte sich bald zur bundesweiten Kampagne – unterstützt vom Werbedienst mit Plakaten und Broschüren. „Der Werbedienst war und ist eine der Säulen evangelischer Öffentlichkeitsarbeit“, sagt der Diakon Herbert Kirchmeyer, der viele Jahre in der „Kooperation Werbedienst“ mitarbeitete.

Vierteljährlich traf sich der Redaktionsbeirat des Werbedienstes, in dem auch das GEP vertreten war, und begutachtete neue Vorschläge für Werbeartikel im KOMM-Katalog. „Das war ein regelrechter Produkt-TÜV“, so Kirchmeyer. Stark nachgefragt sind zum Beispiel die vom AfÖ Hamburg kreierten „Luther-Bonbons“, mit denen Gemeinden seit über zehn Jahren für den Reformationstag werben. Zu den Verkaufsschlagern zählt auch der zum „Jahr der Taufe“ von der westfälischen Kirche herausgebrachte Waschhandschuh mit der Aufschrift „Gottesgeschenk“.

„Kooperation Werbedienst“

Die eigene Zeitschrift des Werbedienstes erlebte 2000 als KOMM-Magazin einen Relaunch und ging schließlich im Gemeindebrief – Magazin für Öffentlichkeitsarbeit auf. Die personelle „Kooperation Werbedienst“ von Öffentlichkeitsarbeitern mehrerer Landeskirchen bestand fort – zuletzt waren Württemberg, Bayern, Westfalen, die Nordkirche und Hannover beteiligt. Ausgerechnet im fünfzigsten Jahr ihres Bestehens hat sie sich nun aufgelöst – die bisherige Struktur mit mehreren Herausgebern und Produzenten sei zu aufwändig gewesen, erklärt Kirchmeyer.

Doch als Vertriebsschiene für kirchliche Werbemittel gibt es den Werbedienst weiter. Der Evangelische Presseverband Westfalen-Lippe hat die Marke samt Online-Shop und Printkatalog übernommen und sorgt auch für neue Produkte.

Herbert Kirchmeyer, der bis Oktober im bayerischen Amt für Gemeindedienst tätig war, sieht den Auftrag der Gründer des Werbedienstes von vor fünfzig Jahren als erfüllt an: „Die Öffentlichkeitsarbeit ist in der Kirche anerkannt, tritt professionell auf und wird von außen wahrgenommen.“ Was es aber noch bräuchte, sei ein Kreativ-Pool, ein zentrales Kampagnenbüro der Kirche. Der Direktor des GEP, Jörg Bollmann, lobt die Fähigkeit der Kirche zu wirkungsvollen Öffentlichkeitsinitiativen, ist aber in einem Punkt skeptisch: Der finanzielle und personelle Aufwand für eine dauerhafte Präsenz mit einer Kampagne sei erheblich, sagte er im März dem Evangelischen Pressedienst. Die größte Herausforderung sieht Bollmann aktuell in der Stärkung der Öffentlichkeitsarbeit in digitalen Kanälen wie Facebook, Twitter und YouTube.

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