Dreieinig schon im Alten Testament

Stefanie Sippel zeigt, warum der Theologe Karl Barth die Judenmission ablehnte
Stefanie Sippel
Foto: Rolf Zöllner

Die Berliner Pfarrerin Stefanie Sippel (42) hat das Verhältnis des Jahrhunderttheologen Karl Barth zum Judentum untersucht. Ihre Doktorarbeit könnte auch den Umgang mit der umstrittenen Bewegung der „Messianischen Juden“ verändern.

Mit 16 Jahren ging ich ein Jahr lang in den USA zur Schule. Meine Gastfamilie war in einer evangelikalen Gemeinde engagiert, die zu keiner Denomination gehörte. Die Erfahrungen in den USA bewogen mich, Nordamerikanistik zu studieren. Ich tat das an der Freien Universität (FU) in Berlin, weil das Fach dort breit angelegt war. So konnte ich dort zum Beispiel ein Seminar über den Fundamentalismus belegen.

Weil ich für den Magister Artium noch ein Fach brauchte, studierte ich an der FU auch Theologie. Durch Professor Michael Weinrich, den Herausgeber von zeitzeichen, kam ich mit der Theologie Friedrich-Wilhelm Marquardts (1928 – 2002) in Berührung, der ja ein wichtiger evangelischer Vertreter im christlich-jüdischen Dialog war. Nachdem ich mein Studium an der FU mit einer Magisterarbeit über den Theologen Karl Barth beendet hatte, begann ich mit einer systematisch-theologischen Doktorarbeit. Sie ist jüngst unter dem Titel Die große Unmöglichkeit. Karl Barths Abweisung der Judenmission erschienen.

Nach der Geburt meines ersten Kindes in der Elternzeit wollte ich an der Theologie dranbleiben und las Barths großes Werk, die Kirchliche Dogmatik (KD). Ich entdeckte: Barth lehnt einerseits die Judenmission ab, also die Bemühung von Christen, dass sich Juden taufen lassen und Kirchenmitglieder werden. Denn Gott hat sich den Juden vollständig offenbart. Andererseits wünscht Barth, dass die Juden Jesus Christus als Gottes Sohn anerkennen. Dieser Spannung wollte ich in meiner Doktorarbeit auf den Grund gehen. Ich schrieb sie, als meine beiden Kinder im Bett lagen. Nach Theologiestudium an der Berliner Humboldt-Universität und Vikariat setzte ich die Arbeit an meiner Dissertation während des Pfarramts fort und beendete sie.

Die Hauptquelle für meine Arbeit war die KD. Daneben habe ich in der Barth-Gesamtausgabe gelesen, was er bei Veranstaltungen zum Verhältnis von Judentum und Christentum und zur Judenmission gesagt hat. Für Barths Denken ist zentral, dass sich Gottes Gnade in Jesus Christus offenbart. Und das heißt, für ihn gibt es keinen anderen Gott als den dreieinigen. Dieser wird schon im Alten Testament bezeugt. Und er offenbart sich in Jesus Christus als der erwählende Gott und der erwählte Mensch. Mit ihm sind die Juden schon vor der Schöpfung erwählt worden. Und Nichtchristen haben einen Zugang zu diesem Gott durch den Juden Jesus Christus.

Dass Barth den Gott, den das Alte Testament bezeugt, mit dem dreieinigen gleichsetzt, den die Kirche bekennt, klingt vereinnahmend. Und der Eindruck verstärkt sich, wenn Barth wünscht, dass die Juden Jesus Christus als wahren Mensch und wahren Gott anerkennen. Aber im Laufe meiner Doktorarbeit habe ich gesehen, dass Barths Gedanken für das Verhältnis von Juden und Christen nachhaltiger sind als die Auffassung, dass Jesus Christus mit der Erwählung Israels nichts zu tun hat. Wenn der dreieinige Gott Israel schon vor der Schöpfung in Jesus Christus erwählt und mit ihm dann seinen Bund geschlossen hat, gibt es nämlich keinen Grund, die Juden zu missionieren und für den christlichen Glauben und den Übertritt zur Kirche zu gewinnen.

In der „Gemeinde Gottes“ haben Juden (auch diejenigen, die keiner jüdischen Gemeinde angehören) und Christen unterschiedliche Aufgaben. Sie sollen einander ein Zeugnis von Gott geben. Christen scheitern daran, begehen eine Sünde, weil sie es nicht aushalten, dass Juden von Gott erwählt sind, und neigen daher zum Antijudaismus oder gar zum Antisemitismus und lassen ihn auch außerhalb der Kirche zu. Und Juden scheitern daran, begehen eine Sünde, weil sie zwar an Gott glauben, aber nicht daran, dass Jesus Christus auferstanden und wahrer Mensch und wahrer Gott ist.

Barth vertritt die Überzeugung, dass Gott die Juden, seinen „Augapfel“ (Sacharja 2, 12), mehr liebt als die Christen. Aber die Christen haben im Unterschied zu ihnen die Offenbarung Gottes in Jesus Christus verstanden, dass in Kreuz und Auferstehung die Versöhnung Gottes mit den Menschen in besonderer Weise sichtbar wird. Diese Sichtbarkeit von Gottes Gnade übersehen die Juden nach Barths Auffassung. Und so verstehen sie ihren eigenen Glauben nicht richtig. Aber hier ist wichtig: Barth kritisiert die Juden nicht stärker als die Christen. Er sieht bei beiden Glaubensdefizite, die für Menschen eben typisch sind.

Für Barth handelt der dreieinige Gott schon im Alten Testament. Auch das wirkt auf den ersten Blick wie eine Vereinnahmung der Juden, die es in der Kirchengeschichte immer gegeben hat. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wenn der Gott, der sich in Jesus Christus offenbart, schon im Alten Testament bezeugt wird, erübrigen sich Diskussionen und Versuche von christlichen Theologen, diesen Teil der Bibel zu relativieren oder gar aus dem Kanon zu entfernen.

Außerdem zeugt Barths Sicht von intellektueller Redlichkeit: Denn wer in der Kirche Psalmen betet oder auf der Kanzel ein Buch wie Jesaja auslegt, tut das ja nicht von einem neutralen Standpunkt aus oder gar als Jude, sondern als Christ, mit dem Glauben an Jesus Christus im Hinterkopf oder Herzen.

Ich schätze an Barths differenzierter Verhältnisbestimmung, dass sie die enge, unauflösliche Gemeinschaft von Juden und Christen betont – und gleichzeitig über Unterschiede nicht hinweggeht. Ich sehe bei ihm auch Schnittmengen mit den „Messianischen Juden“, Menschen, die Juden bleiben und zugleich Jesus als Messias anerkennen, ohne sich taufen zu lassen und der Kirche beizutreten. Von Barth aus kann man für sie mehr Verständnis aufbringen, als das in der Kirche der Fall ist.

Barth geht davon aus, dass sich der historische Jesus als Gott verstanden hat, obwohl das die Evangelien nicht ohne Weiteres nahelegen. Hier zeigt sich, dass Barth sehr dogmatisch denkt. Das prägt sein Verständnis der Bibel stärker als die historisch-kritische Methode.

Barths Auffassung, dass schon vor der Schöpfung das Evangelium da war, die Versöhnung Gottes mit dem Menschen, die sich in Kreuz und Auferstehung offenbart, empfinde ich als befreiend. Denn das zeigt: Der Mensch wirkt an der Versöhnung nicht mit, sondern empfängt sie – als Gnade.

Aufgezeichnet von Jürgen Wandel

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