Uuuunnd Stop.

Ein Lob der Pause
Foto: Markus Konvalin in Lizenz der BRmedia Service Gmbh

Da dachte ich noch, ich hätte im Urlaub mal Pause vom lauten Reden vor größeren Gruppen… bis es zum Raften geht. Mit befreundeten Familien sitze ich erwartungsfroh im Schlauchboot, schaue auf den schönen Fluss – und werde von unserem Tourguide kurzerhand ungefragt zur Schlagfrau ernannt, die den Paddelrhythmus für das ganze Boot rufen und an den Stromschnellen natürlich brüllen muss. Schon nach kurzer Zeit in der neuen Aufgabe lerne ich zweierlei. Erstens: Da geht er dahin, der entspannte Vormittag. Und zweitens: Das Wichtige sind weniger die Ansagen der Paddelschläge selbst, als die der Pausen, in denen wir unsere Paddel wieder gleichmäßig über Wasser nach vorn bugsieren. Also rufe ich nicht nur „vor“ oder „rück“ für die Schläge, sondern auch ein langes „uuuuunnd“ für die Pause, das den eigentlichen Auftakt zum gemeinsamen Paddelschlag gibt. Je mehr sich Paddeln und Rufen einspielen, kreisen meine Gedanken noch mehr um die Pausen. Darüber, wie sehr sie vom Aussterben bedroht sind. Das alte bunte Testbild im Fernsehprogramm, das einem vom späten Abend bis zum Morgen und – heute unvorstellbar – zusätzlich in den Mittagsstunden Medienpausen auferlegte: abgeschafft. Oder die Pausen zwischen der Arbeit: Mit dem Qualitätsstandards-Merkmal einer 24/7-Erreichbarkeit und erst recht im Home-office-schooling-Jahr 2020 scheinen sie verloren zu gehen wie die einzelnen Socken in der parallel laufenden Waschmaschine.

Eine Stromschnelle weiter kommt mir eine prä-coronale Diskussion mit einer Dame an der Kirchentür nach dem Gottesdienst in den Sinn. Sie beschwert sich bei mir über die Pausen inmitten der gesungenen Psalmverse. Wenn wir den Psalm schon überhaupt noch singen müssten, könnten wir zumindest statt dieser künstlichen Pausen einfach weitersingen. Die Kirchenmusikerin stößt dazu. Sie erklärt der Dame das, was ich vor vielen Jahren einmal als lernwillige Studentin erstaunt bei hochkirchlichen Anglikanern in Kanada gelernt hatte: Die Pausen machen wir bei den gesungenen Psalmen nicht nach dem ganzen Vers, sondern immer auf der Hälfte, sozusagen beim Komma. Dort, wo ich eigentlich beim Sprechen fließend fortfahren würde. Beim klassischen Psalmgesang hält man inne: Halben Vers singen – Einatmen – Ausatmen – Weitersingen. Was ich anfangs eher mühsam lernen musste – wer will schon ein Solo in die Stille hineinsingen…? – hat sich mit der Zeit ganz organisch angefühlt. Mir wurde klar: Die Gesangspausen sind kein künstliches Luftanhalten, sondern sie sind gefüllt mit etwas Anderem, einem Atemzug. In der Raftingsprache quasi das lange „uuunnd“ vor dem nächsten Paddelschlag. Die Musikerin stimmt vor der Kirchentür nachgerade ein Lob auf die Pause an: Neben dem schlicht positiven Effekt, mit Luft besser weitersingen zu können, sei ja schon in der Schöpfung dieser Atem als eingehauchter Geist Gottes beschrieben worden. Und überhaupt: in den Pausen baue sich die Spannung auf. Ohne Pausen keine richtige Musik…

Vor lauter Pausenüberlegungen verpasse ich beinahe das „uuund Stop“ des Rafting-Tourguides. Ich höre auf zu rufen. Meine Mitraftenden frotzeln über meine mittlerweile leicht raue Kommandostimme. Egal. Ich spüre: Die Pause tut gut. Und ich weiß: Nicht nur auf dem Raftingboot. Gerade dann, wenn wie beim Psalmsingen oder im Arbeitsrausch jeder erwartet, dass es pausenlos weitergeht. Wenn Atem, Geist und Spannung mal wieder eine Einflugschneise brauchen. In diesem Sinne verabschiede ich mich jetzt einmal aus dieser Kolumnentätigkeit. Bleiben Sie alle so kritisch wie wohlwollend miteinander und vor allem: behütet.

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Stefanie Schardien

Dr. Stefanie Schardien ist Pfarrerin in Fürth seit Mai 2019 eine der Sprecherinnen des "Wort zum Sonntag".


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