Spuren des Paradieses

Klartext

Last und Lust

15. Sonntag nach Trinitatis, 20. September 

Und Gott, der Herr, pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. (1. Mose 8)

Es gab einmal Leben im Überfluss: im „Garten Eden“. Eden heißt „Wonne“. Zuerst liegt dort nur Wüstenstaub. Doch Nebel befeuchtet ihn und macht ihn formbar. Geformt wird ein Mensch, „adam“ aus der „adama“, der Ackererde. Oder Lateinisch: „Homo“ aus „Humus“. Und durch den Geist Gottes wird daraus Humanitas, Menschlichkeit. Adam repräsentiert die Menschheit, es gibt noch keine Unterscheidung von Mann und Frau.

Evolutionstheorie und moderne Kosmologie wissen auch nicht mehr, wenn sie das Leben aus dem Wasser sich entwickeln sehen und den Menschen letztlich aus Staub. Der Mensch ist ein Erdklumpen, der atmen kann, atmendes Leben, lebend von dem, was ihn umgibt – statt nur aus ihm selbst.

Der Lebensatem, derzeit gefährdet durch ein winziges Virus, erweist den Atem als paradiesische Gabe und mit ihm das Leben überhaupt. Aus Erde sind wir genommen, und zu Erde werden wir. „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“, lautet die liturgische Formel, die die Pfarrerin, der Pfarrer am Grab spricht.

Der Weg zurück ins Paradies ist versperrt. Aber es bleibt eine Paradiesesspur: Wir dürfen einatmen, empfangen und staunen, aber wir müssen auch weitergeben, ausatmen und das loslassen, was uns nur geliehen ist.

Zweite Paradiesesspur: Wasser ist das Kostbarste und Wunderbarste überhaupt, nicht nur in der Wüste. Dem alten Erzähler ist klar, dass alles Wasser aus den Bergen kommt und dann in den Euphrat und den Tigris fließt, die Ströme des fruchtbaren Zweistromlandes, die auch für die Wunder der menschlichen Geschichte und Kultur stehen, ihre zugänglichen und umkämpften Quellen.

Die sagenhaften Urströme stehen für die Quellen, die dem Menschen unzugänglich bleiben: Pischon, der „Entspringende“, und Gichon, der „Aufbrodelnde“. Es sind Wasser, die Unbekanntes, Neues bergen. Der Pischon umfließt das Goldland Chawila. Und Gold und Edelsteine sind Spuren des Paradieses, erinnern an das Unverfügbare.

Auf alten Taufbildern ist der Jordan wie ein Paradiesstrom dargestellt. Jesus steht da mit Johannes, dem Täufer, in einem Fluss, der Goldkugeln und Edelsteine mit sich führt. So als ob die Taufe Jesu die Spur für den Weg zu Gottes Garten legt: Durch Jesus sind wir in den Strom des Heils hineingeholt, durch die Taufe mit der Quelle des Lebens verbunden, die für alle da ist.

Eine dritte paradiesische Spur ist uns jenseits von Eden gezeigt: die Arbeit. Wir sind Mitarbeiter Gottes, unsere Aufgabe ist das Bauen und Bewahren. Und selbst wenn wir ruhen, sind wir Gottes Partner und ihm ähnlich. Indem wir kreativ oder schützend tätig sind, haben wir etwas mit Gott gemeinsam. Und so kommt es, dass die Arbeit eine Spur aus dem Paradies ist. Gott selbst arbeitet in vielen Berufen: als Schöpfer, Töpfer, Gärtner, Gesetzgeber, Erzieher und Arzt. Die Schöpfung und die Befreiung der Israeliten aus dem Sklavenhaus Ägypten sind Ausdruck seiner selbst: Er schafft, bewahrt, rettet und befreit.

Und Gott schafft sich den Menschen als sein Gegenüber, bezieht ihn in seine kooperative und nachhaltige Daseinsfürsorge ein: Das Bauen und Bewahren sind die Tätigkeiten Gottes und des Menschen.

Sicher: Arbeit ist für Menschen ambivalent: Ärger und Mühe und zugleich Last und Lust. Schweiß und Schmerzen beim Bearbeiten des Ackers und beim Gebären der Kinder gehören dazu. Würde und Bürde, Freud und Leid sind untrennbar verbunden.

Arbeiten und ausruhen müssen im Gleichgewicht sein, damit Gott und Mensch zusammenkommen. Arbeit muss begrenzt werden, sonst wird sie zum Götzen. Wie der Sabbat ist die Arbeit für den Menschen da, nicht umgekehrt. Nur so kann auch die Arbeit eine Spur aus dem Paradies sein.

 

Blutrote Blüten

16. Sonntag nach Trinitatis, 27.  September

Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium. (2. Timotheus 1,10)

In der Corona-Wüstenzeit wurden in unserer Kirchengemeinde in zwanzig Künstlerbibeln des 20. Jahrhunderts Wüstengeschichten aufgeschlagen und in der Kirche ausgestellt. Sie war als Sehwerkstatt gegen den Tod geöffnet. Und die Wüstenwanderung erwies sich als Deutung unserer Zeit erstaunlich aktuell. Wir sahen uns in der Krise besonders herausgefordert, die eigene Sterblichkeit zu bedenken und im Namen des Auferstandenen für das Leben zu kämpfen. Und wir waren überrascht, welche Künstler sich „des Zeugnisses“ der Bibel offenbar „nicht schämten“.

Einer von ihnen, Jörg Immendorf, ein Schüler von Joseph Beuys, hatte für seine persönliche Wüstenwanderung eine merkwürdige Bildidee: Man sieht ein Skelett, das im Schneidersitz auf dem Wüstensand hockt und seinen Totenschädel nachdenklich in die Hand neigt.

Bei genauem Hinsehen entpuppt sich das Skelett als die äußere Hülle und Stütze des inneren Menschen, der – mit Brille und langem Gelehrtenmantel angetan – betend im Gerippe steht und seine Arme abstützend in die Rippen geschlungen hat. Es ist ein Selbstporträt des an ALS erkrankten Künstlers, der noch im Rollstuhl und nach Luft ringend den Aufstand gegen den Tod übt.

Im Hintergrund halten affenähnliche Figuren ein Transparent mit der Aufschrift „Kunst“ ins Bild. Und es folgt eine weitere Demonstration gegen den Tod: Ein totgesagter dürrer Dornbusch trägt drei blutrote Blüten. Das Bild hat keinen Namen. „Tod in der Wüste“, „Aufstand gegen den Tod“, oder „Der Künstler und der Tod“ wären mögliche Titel. Das Bild könnte eine Hiobsfigur darstellen oder den Tod, der von innen durch einen Beter ausgehöhlt wird, der zwar nicht mehr stehen oder malen kann, sich aber auf sein Gerippe stützt und seine Schüler weiter malen und demonstrieren lässt.

Unser Predigttext liefert in seinem ersten – berühmt gewordenen – Vers den vielleicht passendsten Titel: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Timotheus 1, 7).

 

Blühende Rose

Erntedank, 4. Oktober

Sie aßen aber und wurden satt. Und sammelten die übrigen Brocken auf, sieben Körbe voll. (Markus 8,8)

Brockensammlung“ nannte Friedrich von Bodelschwingh (1872 – 1910) die Kollekten für die von ihm geleitete diakonische Einrichtung in Bielefeld-Bethel. Der Pfarrer knüpfte damit an das doppelte Speisungswunder an, über das heute gepredigt wird. Erzählenswert ist nicht nur, dass Jesus mit Hilfe seiner Jünger in der Wüste viertausend Menschen satt macht, obwohl nur sieben Brote und einige Fische da sind.

Auch dass nach der Speisung noch sieben Körbe mit Brot übrigbleiben, ist wundervoll. Gemeinschaftsspeisung und Brockensammlung in der Wüste bilden also ein erstaunlich nachhaltiges Doppelwunder. Denn anders als bei der Wüstenspeisung der Israeliten mit dem Manna (2. Mose 16), das jeden Morgen neu vom Himmel kam und nicht gehortet werden sollte, können bei der Speisung in Jesu Namen Vorräte angelegt werden. Jesus gibt also nachhaltig.

Für das Doppelwunder der Speisung hält die Auslegungsgeschichte viele Erklärungen bereit. Mir gefällt besonders die Botschaft, dass es bei Jesus keine Konkurrenz zwischen der Nahrung für die Seele und für den Körper gibt. Sicher, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, aber verhungern soll er auch nicht. Ja, an Jesus war sein fröhliches Essen mit Sündern so bemerkenswert, dass er als „Fresser und Weinsäufer“ verschrien war.

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, diese Einsicht Bertolt Brechts passt nicht für Jesus und seine Jünger, sondern eher das Lied „Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt!“ oder „Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht“.

Dem „Brot für die Welt“ geht bei Jesus das „Wort für die Welt“ voraus. Ja, beides gehört in seinem Wirken untrennbar zusammen, das Wortbrot des Lebens und die Brockensammlung danach. Eine durch Jesu Geist genährte Seele kann für den Leib des Nächsten sorgen. Und ein dankbar geteiltes leibliches Mahl nährt auch geistlich, und so nachhaltig, dass die übrig gebliebenen Brocken noch weitere Verwendung finden und bis heute von Gottes Güte erzählen.

In Jesu geistvoller Gegenwart wird keiner ohne Brot und Wort weggeschickt, in seiner Gemeinschaft muss nichts weggeschmissen werden, und es muss auch keiner, aus der Angst, zu kurz zu kommen, hamstern.

 

Ganz elementar

18. Sonntag nach Trinitatis, 11. Oktober

Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust. (5. Mose 30,14).

Haben Sie schon mal jemandem gesagt: „Entschuldigung, was du da gerade gesagt hast, ist mir zu hoch“ oder: „Also das ist mir zu tiefsinnig“?

Vielleicht hielten die Kinder Israels dies oder jenes Mose vor, nachdem er sich an der Schwelle zum Gelobten Land den ganzen Tag von ihnen verabschiedet. Das Fünfte Buch Mose ist ja eine einzige lange Abschiedspredigt. Denn Mose wird das Volk nicht mehr weiter führen und begleiten. Vielmehr wird er zum Sterben in der Wüste zurückbleiben.

Zum Abschluss fragt er die Israeliten nochmal ganz einfach: Wollt ihr dabeibleiben, die Erbschaft annehmen, zusammen mit Gott gehen, ja oder nein? Fluch oder Segen? Wählt selbst! Hier sind meine letzten Worte, die Erbschaft, das, worauf es wirklich ankommt:

Gott spricht auch heute Menschen ins Herz, zeigt, dass sein Wort nicht zu kompliziert ist. Es ist nicht unzugänglich und lebensfern, weder zu hoch noch zu tief, es ist verständlich und ins Herz zu schließen. Es beschränkt sich nicht auf Intellektuelle, Priester und Pastorinnen.

Du brauchst keine anspruchsvollen Meditationen zu praktizieren, um in den Himmel zu kommen, oder anstrengende Pilgerwanderungen in fremde Länder zu unternehmen. Gott ist nicht zu hoch und nicht zu fern.

In Jesus Christus ist sein Wort vielmehr für dich vom Himmel herunter- und schließlich aus dem Grab hervorgekommen und ist so ganz nahe bei dir und deinem Nächsten. Gottes Wort ist Mensch geworden.

Das ist eine Herzensangelegenheit zwischen dir und Gott. Du kannst es bei Moses und bei Paulus lesen, in deinem Herzen hören, mit Mund und Händen weitersagen und für dich und andere wirksam werden lassen.

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