Inklusion

In Sport und Kirche

Die Kirchen und die Sportorganisationen sind bedeutende Player in der deutschen Gesellschaft. Seit Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) 2008 müssen sie sich der Inklusion stellen. Peter Noss ist ein bekannter Akteur auf dem Feld Kirche und Sport. In seiner neuen Monographie zeigt er, welche Stellungnahmen und Denkschriften zum Thema Inklusion von den Kirchen und den Sportorganisationen vorliegen, in welcher Weise sie die Thematik durchdrungen haben und welche Ziele sie verfolgen. Damit weist er die Kirchen und Sportorganisationen auf die Möglichkeit hin, in diesem Bereich zusammenzuarbeiten und voneinander zu lernen. Darin liegt ein großer Gewinn von Noss’ Arbeit.

Noss gliedert seine Darstellung in neun Kapitel. Nach der Einleitung ordnet er die Themen Inklusion und Sport der Öffentlichen Theologie zu und beschreibt den Ort der Inklusionsthematik im Menschrenrechtsdiskurs. Darauf aufbauend, nimmt er die Verwendung des aus der Soziologie stammenden Begriffspaares „Inklusion/Exklusion“ in den Blick und erörtert die sportwissenschaftlichen Grundlagen. Auf diese Weise interdisziplinär vorbereitet, entwickelt er eine theologische Begründung. Er führt theologische Überlegungen zum Körper, zu Krankheit, Behinderung und Heilung, zum Inklusionsbegriff, zur Ekklesiologie und zur theologischen Ethik aus, die die Idee der Öffentlichkeit und Intermediarität der Kirche sowie Aspekte von Migration, Armut und Versöhnung einschließen. Vor diesem Hintergrund unterzieht er die Theologie Jürgen Moltmanns einer Relektüre. Er nimmt die eschatologische Perspektive von Moltmanns Ekklesiologie auf, weil er in ihr einen inklusiven Ansatz erkennt, der nicht vereinnahmend ist, aber dennoch konkrete Schlussfolgerungen für die Mitwirkung der Kirche in der Gesellschaft zulässt. Auf dieser theologischen Grundlage nimmt Noss eine kritische Prüfung der kirchlichen Verlautbarungen und öffentlichen Stellungnahmen aus dem Sport der letzten beiden Dekaden vor. Dabei zeigt er unter anderem, dass das gehaltvolle Inklusionspapier des Ökumenischen Rates der Kirchen von 2003 nicht rezipiert wurde.

Im letzten Kapitel führt Noss die Ergebnisse seiner theologischen und empirischen Überlegungen zusammen und entwirft Perspektiven für das Thema Sport und Inklusion im Rahmen der Öffentlichen Theologie. Indem Noss den Inklusionsbegriff von der Systemtheorie Niklas Luhmanns her entwickelt, zeigt er, dass Inklusion und Exklusion aufeinander bezogen sind. Dieser systemtheoretische Inklusionsbegriff steht allerdings in Spannung zu den normativen Inklusionsbegriffen in Recht, Pädagogik und theologischen Stellungnahmen. Dieser Differenz geht Noss leider nicht nach. Dass zum Eintreten für Gerechtigkeit und Menschrechte die Verwirklichung von Inklusion gehört, wie die UN-BRK einfordert, entdeckt Noss schon in der Theologie Jürgen Moltmanns, auch wenn dort der Begriff Inklusion noch nicht vorkommt. Moltmann erhebt die „Anerkennung des Anderen in seiner Andersheit“ zum Prinzip. Danach zu leben und Segregation zu vermeiden, sei „nichts anderes als die Antizipation des Gottesreiches und der mit ihm verbundenen Gerechtigkeit“.

Aber führt der Ansatz bei der Andersheit von Menschen mit Behinderung tatsächlich zu deren Inklusion und Mitgestaltung der Gesellschaft oder doch nur zu einer paternalistischen Umarmung? Die Andersheit von Menschen mit Behinderung ist sozial konstruiert und hat exkludierenden Charakter. Noss selbst betont den Wert, dass an der Erarbeitung des Inklusionspapiers des ÖRK Menschen mit Behinderungen beteiligt waren. Insofern scheinen seine eigenen Ausführungen dafür zu sprechen, ein theologisches und kirchliches Inklusionskonzept prinzipiell am gemeinsamen Menschsein anzusetzen.

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Foto: privat

Frank Martin Brunn

Frank Martin Brunn ist Wissenschaftlicher Geschäftsführer der Arbeitsstelle Kirche und Gemeinwesen an der Universität Hamburg.


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