„Weib und Kind geschendet“

Gabriel-Alexander Reschke promoviert über Predigten im Dreißigjährigen Krieg
Gabriel-Alexander Reschke
Foto: Jens Schulze

Seit seiner Pensionierung 2016 hat Pfarrer Gabriel-Alexander Reschke für seine Promotion wieder ein Thema aufgenommen, das ihn schon während seines Studiums fasziniert hatte: Angeregt durch das Schicksal des Kirchenlieddichters Paul Gerhardt, interessiert ihn das Thema, wie die damaligen Prediger die Themen Trauma, Tod und Trost verarbeitet haben.

Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Nach der Realschule habe ich Radio- und Fernsehtechniker gelernt und 1972 meine Gesellenprüfung abgelegt. Ich habe angefangen zu arbeiten, später auch als Werkstattleiter in Osnabrück. Zugleich hatte ich aber immer Kontakt mit einer evangelischen Jugendgruppe und habe mich schließlich entschlossen, Theologie zu studieren – das ging ohne Abitur nur in der Theologischen Akademie in Celle, wo ich 1977 das Studium aufgenommen habe. Nach dem ersten Examen 1983 und dem Studienabschluss 1986 habe ich schließlich meine erste Anstellung als Pfarrer in Osterode am Harz bekommen, an der dortigen Schlosskirche.

In den folgenden Jahren habe ich häufiger die Pfarrstelle gewechselt. Ich war in Hannover, wo ich auch Kreisjugendpfarrer war, später in Celle. Bis 2007 habe ich zudem in der Deutschland-Arbeit des „Evangelisch-Lutherischen Missionswerk in Niedersachsen“ (ELM) gearbeitet und dabei erstmalig einen Meditationskurs mit dem Titel „Gott ist gegenwärtig“ entwickelt, den man als evangelische Exerzitien begreifen kann – er wurde sogar ins Portugiesische übersetzt, weil der Kurs in Brasilien eingesetzt wurde.

Seit meiner Pensionierung 2016 habe ich wieder ein Thema aufgenommen, das mich schon während meines Studiums fasziniert hat. Damals hatte ich aber keine Zeit, daraus eine Dissertation zu machen, hatte es aber immer im Hinterkopf. Angeregt durch das Schicksal des Kirchenlieddichters Paul Gerhardt, der in seiner Lebenszeit nicht nur den kompletten Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648), sondern auch den Tod seiner Frau und mehrerer Kinder erlebt hat, interessierte mich das Thema, wie die Prediger der damaligen Zeit die Themen Trauma, Tod und Trost aufgenommen haben. Deswegen erforsche ich in meiner vor etwa zwei Jahren begonnenen Dissertation die evangelischen Predigten während des Dreißigjährigen Krieges.

Das alles geschieht unter erschwerten Bedingungen, da ich aufgrund einer Augenkrankheit eine achtzigprozentige Behinderung habe – ich brauche also für meine Lektüre und Forschung mehr Zeit und technische Unterstützung für das genaue Studium von Manuskripten in hoher Vergrößerung.

Aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges liegen nur noch wenige handschriftliche Zeugnisse vor, weil in diesen Jahrzehnten natürlich sehr viel zerstört wurde. Aber Gott sei Dank gibt es mittlerweile auch Quellensammlungen und Datenbanken von Manuskripten, die digitalisiert wurden. Erfreulicherweise liegen zudem gedruckte Predigten aus diesen Jahren vor, etwa von Johann Kromayer, Generalsuperintendent in Weimar, der auch Postillen herausgab, oder von Reinhard Bakius, Pastor an der Domkirche in Magdeburg.

Es geht mir in meiner Dissertation nicht zuletzt um die Veränderungen in den theologischen und seelsorgerlichen Deutungsmustern im Verlauf des Krieges – aufgrund der individuellen Traumatisierung von Menschen infolge von schrecklichen Alltagserlebnissen. So hat etwa der Hallesche Domprediger Paul Röber in einer Predigt 1623 geklagt: „Im Kriege wird uns Hauß und Hoff ins Fewer gesetzet und eingeäschert … Im Kriege wird uns Weib und Kind geschendet … Im Kriege werden wir jämmerlicher Weise hingerichtet und niedergehauen.“ Nikodemus Lappe, sächsisch-coburgischer Hofprediger, Superintendent von Arnstadt, Bibelübersetzer und Professor für Hebräisch, hat in dieser Zeit in einer Huldigungspredigt für seine Landesherren deutliche Worte für die ausgestandenen Drangsale und jammervollen Zustände gefunden.

Ich will in meiner Dissertation unter anderem die Fragen klären: Welche Deutungsangebote und Trostbilder bieten Prediger den vom Krieg betroffenen Gemeinden an? Welche Bibelzitate und Assoziationsfelder werden von den Predigern verwandt? Welche Konzepte vom gerechten Krieg oder dem Strafgericht Gottes kommen in den Quellentexten vor? Welche Bezüge zu aktuellen historischen Ereignissen werden erkennbar? Manche Pastoren legitimierten theologisch den Krieg, versuchten, den Kombattanten eine ethische Orientierung zu geben – und mussten zugleich den Erwartungen ihrer Gemeinde genügen, die eine tröstende Seelsorge erwartete. Das dürfte mit einer inneren Gewissensspannung einhergegangen sein.

Superintendent Lappe hat wie seine Gemeinde während des Dreißigjährigen Krieges stark unter Truppendurchzügen, unter Einquartierungen und unter der „Teuerung“, also der grassierenden Inflation gelitten – diese Themen kommen in seinen Predigten immer wieder vor. Er schildert die Gräuel des Krieges, etwa Vergewaltigungen, das Bauchaufschlitzen von Frauen, um sie unfruchtbar zu machen – bis zum Extrem des Kannibalismus in Zeiten der Hungersnot, als sogar Mütter ihre Kinder aßen. Aber der Krieg wird bei ihm nicht als Strafgericht Gottes interpretiert. Solche Predigten mit dem Ziel der Disziplinierung der Gemeinde waren eher in calvinistisch geprägten Gegenden zu finden und auch eher in den ersten Jahren des Krieges. Lappe zeigt sich in seinen Predigten sehr einfühlsam. Man sagte damals, sie gingen aufs „Gemüt“, also in die Seele.

In der Tendenz kann man vielleicht sagen, dass die Deutung des Krieges als eine Zeit der Apokalypse, also der Endzeit, anfangs zwar gelegentlich in den Predigten anzutreffen ist, aber dann im Laufe der drei Jahrzehnte des Krieges abnimmt. An deren Stelle rückt immer mehr Kritik an der Obrigkeit ob des Krieges, auch wenn, wegen der üblicherweise starken Zensur in den Kriegsgebieten, diese Kritik in den Predigten in der Regel nur indirekt geäußert werden konnte. Wenn etwa der Pfarrer Marci (Marx) in Nürnberg den Psalm 2 zitiert mit der Aussage, dass Gott die Herrschenden bestrafe, darf dies schon als Kritik an den damaligen Herrschern gewertet werden.

Viele Predigten versuchten damals zu trösten mit dem Gedanken: Wenn ihr treu seid im Glauben, dann erwarten euch zumindest im Himmel alle Freuden des Paradieses. Auch der Verweis auf die Leiden, den Tod und die Auferstehung von Jesus Christus diente als Trost. Inwieweit das gewirkt hat, ist natürlich kaum noch zu ergründen.

 

Aufgezeichnet von Philipp Gessler
 

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