"Euch geht`s wohl zu gut"

Eine Kritik der kirchlichen Kritikkultur in Corona-Zeiten
Foto: Markus Konvalin in Lizenz der BRmedia Service Gmbh

„Euch geht’s wohl zu gut!“ Wer Geschwisterkinder hat, erinnert sich möglicherweise gut an die treffsichere elterliche Einschätzung der Lage, wenn man sich streitend die Zeit vertrieb, um sich dann möglichst noch über den je anderen zu beschweren. Zu gut ging es, weil man scheinbar so viel Zeit und Energie erübrigen konnte, um sie in destruktive Streitereien statt in sinnvolle und konstruktive Dinge zu stecken.

„Euch geht’s wohl zu gut“, hätte ich jüngst gern des Öfteren gesagt. Weniger im Blick auf meine Kinder als im Blick auf die Streitereien und Beschwerden unter den christlichen Schwestern und Brüdern im Geiste.

Angeheizt von journalistischer, politischer oder wissenschaftlich-theologischer Suche nach Pointen gegen die Kirchen bohrten viele untereinander mit Genugtuung nach den Mangelerscheinungen: Die Kirchen haben versagt. Keinerlei Theologie. Die Alten und Kranken lasst ihr allein! Wo sind die Bischofsstimmen? Zuviel Schweigen vor lauter Zollstockverliebtheit...

Gibt es irgendeinen anderen Laden, in dem man sich in diesen Zeiten so genüsslich öffentlich zerfleischt in allem, was in dieser nicht geprobten Pandemie, nicht hundertprozentig, ja, sofort zugegeben: vielleicht manchmal nicht mal fünfzigprozentig gut läuft? Erleben wir ähnliche Selbstkritik in der Medienlandschaft angesichts dünner werdender Zeitungen oder im Kulturbereich mit Wohnzimmerkonzerten in diskussionsoffener Qualität? Man tut, was man kann. Das ist sicher nicht immer und allerorten das Beste, aber das im Moment Mögliche. So der Eindruck, den man sich dort auch wechselseitig und auch öffentlich zugesteht.

Gewiss braucht es keine kirchlichen Claqueure, die alles schönreden und glattbügeln. Es braucht Kritik. Allerdings eine, die nicht stets auf dem positiven Auge blind sein und der es nicht vor allem ums pauschale Denunzieren und Zerstören gehen darf. Noch ein elterlicher Spruch: Der Ton macht die Musik. Von Kritikerseite gern gefordert, aus Gründen des Realismus, des Protestantismus und der schlechten Erfahrungen. Damit jedoch unangemessen wären: ein besserwisserisches bischöfliches Basta gegenüber Regierungen und virologischen Erkenntnissen, große prophetische Erklärungen zur Lage oder die eine umfassende theologische Deutung, die sich mit Tremolo in den Vordergrund spielt.

Ja, wahrscheinlich gab es weniger Bischofsstimmen als erwartet. Gut evangelisch gedacht bleiben auch kirchenleitende Menschen unvollkommen und vor allem: angewiesen auf die Gemeinden. In denen gab es dafür umgekehrt von anderem mehr als gedacht. Womöglich ist das gerade eine Stunde der Gemeinden, die einmal nicht auf die sonst umgekehrt bemäkelten amtskirchlichen Mühlen oder die EKD-Pressemitteilung gewartet haben. Wer sich an die Pfingstgeschichte erinnert: Dieser besondere Moment der Glaubensgeschichte hat sich der biblischen Erzählung nach auch kaum ordentlich im großen Stil vorbereitet und damals nicht besonders öffentlichkeitswirksam ereignet, sondern überraschend und verborgen in einem einzelnen Haus.

Wir können mit unserem christlichen Glauben zurzeit eine Menge beitragen. Davon bin ich überzeugt. Womöglich vor allem jetzt, wenn die Durststrecke doch länger andauern sollte, als es die Lockerungen verheißen. Wir können von Hoffnung erzählen, zuhören, trösten und Not lindern. All das tun wir umso glaubwürdiger, wenn wir nicht nur anderen davon predigen, sondern auch ganz nebenbei selbst ein Beispiel davon geben, wie man wohlwollend Kritik übt, sich dankbar über Geleistetes zeigt und barmherzig mit Unvollkommenheit umgeht.

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Stefanie Schardien

Dr. Stefanie Schardien ist Pfarrerin in Fürth seit Mai 2019 eine der Sprecherinnen des "Wort zum Sonntag".


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