Tröstet, tröstet mein Volk!

Corona und der Plan B
Foto: privat

Im März verkündete Präsident Trump in Bezug auf die Pandemie, alles sei unter Kontrolle und sagte: „You’re not gonna die!“ Was natürlich Quatsch ist. Selbstverständlich werden wir sterben, die Frage ist nur wann und wie.

Jeden Tag werden in den Medien die Zahlen der Toten bekannt gegeben, man schaut auf die Zahl der Infizierten und der schwer Erkrankten. Gezählt werden die Intensivbetten und Beatmungsgeräte, dann wird verkündet, sie seien in ausreichender Menge vorhanden, und alle sind erleichtert. Irgendwie wird so getan, als ob der Zugang zu einem Beatmungsgerät der Garant für Heilung wäre. Das ist doch seltsam: Bei jedem Abführmittel wird auf Risiken und Nebenwirkungen verwiesen, und bei künstlicher Beatmung fehlt jeder Warnhinweis. Da muss jede*r schon selbst recherchieren und stößt auf Möglichkeiten von Schädigungen des Rachenraums, der Stimmbänder bis hin zu irreversiblen Behinderungen. Wahrscheinlich werden diese Risiken nicht erwähnt, weil eine Intubation alternativlos scheint. Dabei gibt es immer eine Alternative: Sterben.

Manchmal ergibt Gerätemedizin einfach keinen Sinn – Corona hin oder her. Dann muss umgeschwenkt werden auf Plan B. Aber wie sieht der genau aus unter den Bedingungen der Pandemie? Geht gutes Sterben in der Corona-Krise? Wen kann ich fragen? Ich lese von Medikamenten, die helfen gegen Atemnot und Angstzustände – Opioide und Beruhigungsmittel. Sind diese jetzt in ausreichender Zahl vorhanden?  Wo werden Morphine, Lorazepam und Midazolam hergestellt? In China? Und gibt es ausreichend Menschen, die sich mit Palliativmedizin auskennen und zur Verfügung stehen? Zurecht fragt die Theologin und Direktorin der evangelischen Diakonie Österreich, Maria Katharina Moser: „Haben wir ausreichend Kapazitäten, um sicherzustellen, dass alle Patienten eine optimale Palliativversorgung bekommen?“ Die deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin nuschelt, die etablierten Strukturen der spezialisierten Palliativversorgung seien aktuell sowohl stationär als auch ambulant gegebenenfalls nicht in dem bekannten Maße verfügbar, da das Personal in der Pandemielage möglicherweise mit in der Akutversorgung eingesetzt würde. Gegebenenfalls und möglicherweise?

Mein Vater ist 95 Jahre alt. Ich brauche Antworten zum Plan B, präzise Informationen ohne Beschönigungen und Konjunktive. Und ich brauche eine, die mir den Rücken stärkt und meine Fragen öffentlich stellt: meine Kirche. Wenn eine das mutige Sprechen über Fragen des Lebens, des Sterbens und des Todes in ihrer DNA hat, dann doch sie. Was die Gesellschaft verdrängt, darf sie aussprechen und Anwältin sein für das Recht auf gutes Sterben. Sie darf fordern, was Maria Moser für Österreich fordert, nämlich einen „palliativen Pandemie-Plan“ und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Sterben. Meine Kirche ist der Wind unter den Flügeln der Hospizbewegung und findet Worte des Trostes für Sterbende und ihre Angehörigen. Tröstet, tröstet mein Volk, heißt es im Jesajabuch.

„Von der Kirche hört man derzeit ja gar nichts“, bemerkt mein Vater und rückt seine Fellmütze zurecht (auf der Terrasse, auf der wir uns treffen, ist es zuweilen sehr zugig). Stimmt, denke ich, vielleicht, weil sie damit beschäftigt ist, mit dem Zollstock zwischen den Kirchenbänken hin und her zu kriechen und über das Gesangsverbot im Gottesdienst zu jammern. Als hätte der Wind sich gelegt.

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