Lob des Zusammenlebens

Möge es der Sommer von jeglichem Eise befreien
Theaterscheinwerfer
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de

Kultur umfasst mehr als eintrittsgeldpflichtige Veranstaltungen. Eine nicht ganz überflüssige Erinnerung in Zeiten, als Baumärkte geöffnet, Museen aber geschlossen sind oder hoffentlich waren. Dieses Mehr besteht zum Beispiel in der Kultur des sozialen Zusammenlebens – erkannt in Zeiten der Corona-Krise.

Die Corona-Krise. Hoffentlich ist sie im Alltag deutlich gelindert, wenn Sie dies lesen. Sicher aber ist: Sie werden sich erinnern.

Man sorgt sich wieder um einander. Schon vor Wochen fragte Die Zeit in einer Titelzeile „Wie können wir unsere Schwächsten schützen?“

Wir. Schützen. Unsere Schwächsten. Hier stehen wir, dort die anderen.

Wer aufgrund eines Blicks in den Personalausweis oder in den Spiegel zugeben muss, alt zu sein, dem graut vielleicht ein wenig davor, zu diesen Schwächsten gezählt zu werden.

Und hat dies Grauen im Idealfall tapfer beiseitegeschoben: Hinweg damit! Angesichts dieses wunderschönen Frühlings! Hinaus in die Natur! – Um draußen auf Scharen von Ausgangseingeschränkten aller Altersklassen zu stoßen. Nie waren die Flussufer, die Wiesen, die Waldwege, die Parks belebter. Die Leute (heute gern „die Menschen“ genannt, das klingt empathischer) waren überwiegend entspannt, nur wenige waren damals mit jenen Masken ausgerüstet, die im Straßen- und Supermarktsverkehr zu wichtigen Zeichen geworden sind – mehr der Gesinnung als des medizinischen Nutzens.

Wer zu Hause blieb, griff vielleicht zu entsprechender Lektüre, etwa zum „Frühlingsbuch“ (Insel-TB 914, 1986), wenn’s schon lange im Buchregal einstaubte. Darin findet sich eine Fülle von Frühlingsprosastücken und -gedichten: das einst schulobligatorische blaue Frühlingsband Mörikes ebenso wie Goethes „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche …“. Und was der Klassiker mehr sind.

Aber auch Ringelnatz’ „Frühling hinter Bad Nauheim“, anhebend mit „Zwei Eier, ein Brötchen, ein Hut und ein Hund, am Himmel die weiße Watte …“. Oder Marie Luise Kaschnitz’ Eingeständnis, der Frühling gehe ihr „heuer nicht unter die Haut …, keinerlei Rührung in der Art von ‚dass ich das noch einmal erleben darf’… Schlechte Laune, könnte man sagen …“. Zu ihrer Entschuldigung: Sie war damals wohl schon im schutzbedürftigen Alter. Und: Sie schrieb dies lange vor der Corona-Krise. Im gegenwärtigen Jahr wäre sie, wer weiß, froh gewesen über „das spießige Osterhasengärtlein“ im Park, das ihr damals „auf die Nerven gegangen ist“, sie hätte sich möglicherweise der optimistischen Sicht Karl Krolows angeschlossen: „Uns gehören / die Tauben auf dem Dach. / Die Dose Bier / schmeckt wieder im Freien. / Nun muss sich alles, alles / wenden. / Die leeren Seiten / füllen sich mit Bedeutung. / Das Schreiben über den Frühling / macht allen Spaß.“

Zumindest allen, denen Schreiben Spaß macht. Die Meisten beließen es beim Hinauseilen. Dabei konnte jeder übrigens ganz unverbindlich seine Menschenkenntnis prüfen: Wer kommt einem da entgegen? Vielleicht doch kein „überwiegend Entspannter“? Vielleicht jemand in von Ansteckungsfurcht befeuerter Panik? Einer, dem der volksaufklärerische Furor aus den Augen blitzt? Oder, gar nicht so selten, eine, die gelassen oder gar ostentativ gelassen mit der Gefahr umgeht, lächelnd und grüßend? Ja, dies war festzustellen: Plötzlich grüßten sich einander Unbekannte. Freilich nur in der sogenannten freien Natur. Ohne Zweifel ein Gewinn für die Kultur des sozialen Zusammenlebens.

Wie aber steht es mit der Nachhaltigkeit? An Optimisten fehlte es nicht, die zuversichtlich hofften, die Krise würde sich irgendwie bessernd auf die Menschen auswirken, danach wären sie rücksichtsvoller, hilfsbereiter, einander zugewandter … Ein Miesepeter, der da Wermut in den Wein gießen wollte. – Obwohl …

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