Hitparade der Zumutungen

Klartext
Foto: privat

Mehr als eine Idee

1. Sonntag nach Trinitatis, 14. Juni

Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam … Wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie … und man gab einem Jeden, was er nötig hatte. (Apostelgeschichte 4, 32-35)

Die Inschrift auf dem Findling in der Mitte des Dorfplatzes ist nur noch schwer zu lesen: „Vom Ich zum Wir“ und ein Datum. Mitten in der ländlichen Idylle Mecklenburgs erinnert der Stein an die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in der DDR. Nach 1945 war der Großgrundbesitz unter der Parole „Junkerland in Bauernhand“ enteignet und an Neubauern verteilt worden. Doch wenige Jahre später sollten diese Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) werden – die wenigsten von ihnen freiwillig.

Der Findling ist das einzige, was von der Idee eines gemeinsam genutzten landwirtschaftlichen Eigentums übriggeblieben ist. Unter ihm ist sozusagen der vorerst letzte Versuch begraben, eine Gesellschaft nach Maßstäben zu gestalten, die offenbar auch unter den ersten Christen galten. Denn in der Apostelgeschichte ist zumindest die Rede davon, dass Land und Häuser nicht nur gemeinschaftlich genutzt, sondern sogar verkauft werden, um den Erlös unter den bedürftigen Gemeindegliedern zu verteilen. Aber es braucht keine besondere ökonomische Expertise, um die Fragwürdigkeit bis Unsinnigkeit dieses Vorgehens zu entdecken.

Das „Vom Ich zum Wir“ ist seit der Zeit der christlichen Urgemeinde eine Utopie geblieben. Stets waren es nur Randgruppen innerhalb der Institution Kirche, die sich an die Verwirklichung dieses Anspruchs wagten: Von den katholischen Bettelorden des Mittelalters über die evangelischen Täufer, von den Hutterern bis zu neueren klösterlichen Gemeinschaften blieb die Idee der Gütergemeinschaft in den Kirchen eine Außenseiterposition.

Und es hat immer Versuche gegeben, sie zu relativieren. Die Gütergemeinschaft sei nur ein idealisierendes Konstrukt des Lukas oder – wenn überhaupt historisch – nur angesichts der „Naherwartung“, der bevorstehenden Wiederkunft Christi, gültig gewesen. Entstanden sei die Idee in einer Art pfingstlichem Rausch, aus dem man sicher und ganz bestimmt schon nach kurzer Zeit wieder aufgewacht sei, allein deswegen, weil die Gemeinde bald zu verarmen drohte.

Aber an einer Idee, die derartig heftige Abwehrreaktionen hervorruft und deren Anhängerinnen und Anhänger mehrheitlich zu Randsiedlern der Kirche werden, muss etwas dran sein. Die Erzählung des Lukas schließt jedenfalls recht nahtlos an die Botschaft Jesu in der Bergpredigt an. Sorglos wie die Lilien auf dem Felde können danach nur diejenigen sein, die kein Feld mehr besitzen.

Die Ethik des Besitzverzichts ist neben der Feindesliebe die andere große Zuspitzung des Doppelgebots der Liebe. Denn wenn die Urchristen ein Herz und eine Seele waren (was gerade bei gemeinschaftlich genutztem Besitz eher selten der Fall ist), dann klingt darin an das „Höre Israel, Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben, von ganzem Herzen und von ganzer Seele“. Auch in der Interpretation Jesu ist dies das höchste und größte Gebot. Und der Verzicht auf Besitz ist mehr als die Idee des „Vom Ich zum Wir“. Er beseitigt vielmehr eine scharfe Konkurrenz auf dem Weg zur wahren Gottesliebe.

 

Weisheit in Person

2. Sonntag nach Trinitatis, 21. Juni

Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid;ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. (Matthäus 11, 28-29)

Jesu Auftreten erinnert hier an die Weisheit, wie sie die Sprüche Salomons darstellen. Denn sie ist als eine Art Marktfrau bekannt: „Öffentlich am Wege steht sie und an der Kreuzung der Straßen“ (Sprüche 8, 2).

Auch die Kombination von Lobpreis und Heilandsruf ist in der weisheitlichen Tradition schon vorgebildet. Ein gutes Beispiel dafür findet sich in Jesus Sirach 24: Dort preist sich die Weisheit zunächst selbst. Sie war vor allem Anfang da und lebt in engster Verbindung zu Gott, bis sie ihre Wohnung auf der Erde nimmt, dort wurzelt, austreibt und vielfältige Frucht bringt. Die Parallelen zur johanneischen Christologie sind augenfällig. Die vorzeitliche Weisheit lädt im Anschluss an ihre Selbstvorstellung alle Menschen ein, an ihr Anteil zu haben. „Kommt her zu mir alle, die ihr nach mir verlangt, und sättigt euch an meinen Früchten“ (Sirach 24, 19).

Ein weisheitlich imprägnierter Jesus tritt in Konkurrenz zu anderen Konzepten konkreter Lebensführung. Matthäus denkt dabei zunächst polemisch an die Pharisäer als Gegner Jesu. Wenige Verse später schon werden sie Jesus und seine Freunde wegen des Ährenraufens am Sabbat anklagen. Die paar dürftigen, in der Hand ausgeriebenen Körner wirken wie ein bewusst inszenierter Gegensatz zu der Fülle der Früchte, die die Weisheit und mit ihr auch Jesus Menschen bringen kann. Das Angebot des sanften Marktschreiers Jesus ist allen anderen Angeboten überlegen. Schon vor der eigentlichen Auseinandersetzung mit seinen Gegnern soll das deutlich werden.

Aber sein Joch ist nicht wie er „sanft“, wie die traditionelle, etwas ungenaue Übersetzung verheißt, sondern zweckmäßig. Jesu Joch tut lediglich das, was ein Joch tun soll: Es hilft, Lasten leichter zu tragen. Auch die des Lebens. Wie man sie trägt, ist vom Weisheitslehrer Jesus zu lernen. Später wird Matthäus in seinem Evangelium noch deutlicher den Pharisäern vorwerfen, anderen Menschen schwere Lasten aufzuerlegen, die sie selber nicht tragen wollen. „Her zu mir, alle.“ Auf dem Markt der Konzepte gelingender Lebensführung steht Jesus immer noch mit seiner Botschaft. Denn „Ruhe für die Seelen finden“, ist ein Angebot von zeitloser Attraktivität.

 

Schwere Fragen

3. Sonntag nach Trinitatis, 28. Juni

Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unsern Vätern vorzeiten geschworen hast. (Micha 7, 20)

Gott ist auf eine Formel zu bringen: die Gnadenformel. Am Ende des Michabuchs im Alten Testament steht ein Blick zurück in die lange Geschichte Gottes mit seinem Volk. Von den Vätern und Müttern im Glauben werden exemplarisch Abraham und Jakob genannt. Allein an ihren Namen entlang wäre jeweils eine ganze Gnadengeschichte zu erzählen. Bei beiden, Abraham wie Jakob, geht es um die Erfüllung einer Verheißung nach Jahren vergeblicher Hoffnung und großer Enttäuschungen. Abraham und Jakob sind Menschen, die in ihrem Leben schwere und tragische Fehler gemacht haben, meist in dem Bemühen, mit menschlichen Mitteln das Ziel der ihnen gegebenen Verheißung zu beschleunigen.

Abraham findet sich mit seiner Kinderlosigkeit nicht ab, sondern schafft Abhilfe auf einem zu seiner Zeit zwar legitimen, aber doch problematischen Weg. Im weiteren Fortgang versucht sein Enkel Jakob, sich Gottes Segen mittels Täuschung und Betrug zu erschleichen.

Aber Gott hält an diesen Menschen generationenübergreifend fest, in seiner Verheißung an sie wie im Urteil über ihr Handeln. So beschreibt es die ursprüngliche Gnadenformel im 2. Mosebuch: „Der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied“ (Exodus 34,6).

Scheitern und unwiederbringliche Verluste gehören zur Geschichte Gottes mit seinen Menschen. Auch die Jahre vergeblichen Wartens zählen dazu, die Abraham genau wie später Jakob auferlegt wurden. Bei allem guten Ausgang war es doch eine ganze Zeit ihres Lebens.

So ein Gott ist Gott, und so ist Gott mit den Menschen. Er hat Gefallen an Gnade, aber billig zu haben, ist sie nicht. Wenn Gott so ein Gott ist, stellt sich die Frage, wo eigentlich die Menschen sind, die ihm in ihrem Leben und Glauben entsprechen können. Micha ist mit seiner prophetischen Weisheit jedenfalls am Ende. Schon sein Name, Micha, ist ja eine Frage: „Wer ist wie Gott?“

Und welcher Mensch kann der Gnade Gottes entsprechen, wo wäre sie zu finden? Micha gibt einen Anstoß dazu, die Gnadenformel im eigenen Leben zu entdecken. Wie sind Erfüllung und Scheitern mit Gott in Beziehung zu bringen, möglicherweise noch über den Horizont des eigenen Lebens hinaus? Gott ist zwar auf keine Formel zu bringen. Doch mit der Gnadenformel kann man rechnen.

 

Andere Dynamik

4. Sonntag nach Trinitatis, 5. Juli

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Römer 12, 21)

Der Predigttext aus dem Römerbrief setzt in der Reihe der Sonntage nach Trinitatis einen weiteren Akzent im Blick auf eine gelingende Lebensführung. Heute geht es um eine weitere große Herausforderung der jesuanischen Ethik. Wenn der Verzicht auf Besitz Freiräume für ein gelingendes Gottesverhältnis schafft, wie es die Apostelgeschichte ausmalt, so liegt auf der Feindesliebe die Verheißung eines grundsätzlich anderen Verhältnisses zum Nächsten. Wieder legt sich ein Bezug auf die Bergpredigt nahe. Nächstenliebe mag zwar schwer sein, ist aber nicht unmöglich. Doch das Gebot der Feindesliebe nimmt in der Hitparade der Zumutungen Jesu einen der vorderen Plätze ein.

Entsprechend vorsichtig formuliert Paulus diesen Anspruch in seinen Ermahnungen an die Gemeinde in Korinth neu: „Ist’s möglich, soviel an euch liegt …“ Das klingt wie eine Einladung, sich von diesem Anspruch zu dispensieren. Schließlich wird das Böse mit dieser Art von Gutem nicht aus der Welt geschafft. Im Gegenteil! Es wird fröhliche Siege feiern.

Aber Jesus und Paulus sind sich einig: Gerade der Verzicht auf Vergeltung, auf Rache, auf den Gegenschlag hat die Kraft, die ewige Dynamik des Bösen zu überwinden. Dazu gehört das Vertrauen, dass die letzte, gerechte Beurteilung dessen, was böse ist, nicht uns zusteht, sondern Gott. Zusammen mit dem Verzicht auf persönlichen Besitz ist die Liebe zu den Feinden schon immer eine Herausforderung für die gewesen, die ihr Leben an der Botschaft Jesu ausrichten wollen.

Unbestritten, dass gerade die Menschen, deren Leben als vorbildhaft wahrgenommen worden ist, sich in der Feindesliebe geübt haben. Nachdem sie in den allermeisten Fällen schon ihrer Freiheit und ihres Besitzes beraubt worden waren, blieb ihnen eine Möglichkeit: Das Böse mit Gutem zu überwinden.

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