pro und contra

pro und contra:

Ist digitales Abendmahl sinnvoll?
Ralf Peter Reimann
Foto: privat
Volker Leppin
Foto: epd

Die Corona-Pandemie hat das kirchliche Leben verändert. Viele Gottesdienste wurden und werden jetzt online gefeiert. Aber geht das auch mit dem Abendmahl? Na klar, meint Ralf Peter Reimann, Internetbeauftragter der rheinischen Kirche. Nicht wirklich, sagt dagegen der Tübinger Kirchengeschichtsprofessor Volker Leppin.

Omnipräsenter Christus 

Beim Online-Abendmahl geht es vornehmlich um die Frage, wie wir digitale Gemeinschaften wahrnehmen und wie wir Theologie treiben.

D ie amerikanische United Church of Christ (UCC) gründete im Jahr 2013 eine Online-Gemeinde. In dieser Gemeinde bildete sich eine Praxis des Online-Abendmahls aus. Dem ging keine lange theologische Diskussion voraus, sondern die Frage des Kämmerers aus Äthiopien (Apostelgeschichte 8,26-39 „Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“) wurde schnell auf das Abendmahl übertragen, an den Bedürfnissen der Gemeindemitglieder ausgerichtet und positiv beantwortet. Diese pragmatische amerikanische Art – die UCC versteht sich auch als „non-creedal church“ – lässt sich auf deutsche protestantische Theologie nicht übertragen.

Aus Bekenntnissen, die eine digitale Wirklichkeit nicht im Blick hatten, lassen sich keine unmittelbaren Aussagen über ein Online-Abendmahl deduzieren. Statt einer vorschnellen Exegese der Bekenntnisschriften hätte die Diskussion zunächst das Verhältnis von Online- und Offline-Wirklichkeit, von Virtualität und Realität oder von Digitalität und analoger Welt betrachten müssen. Bereits die gewählte Terminologie enthält eine Wertung. Divergenzen in der Verhältnisbestimmung führen daher zwangsläufig zu unterschiedlichen Positionen, also nicht: Online-Abendmahl (ja/nein), sondern: Unter welchen Voraussetzungen ist Online-Abendmahl möglich und sinnvoll? Wenn der omnipräsente Christus selbst zum Abendmahl einlädt, kann seine Gegenwart nicht auf eine bestimmte räumliche Reichweite um den Altar beschränkt sein. Da es nach protestantischem Verständnis eben keine Wandlung der Substanz gibt, kann es nicht daran liegen, in welcher Nähe beziehungsweise Distanz Brot und Wein sich zum Altar befinden, damit Christus gegenwärtig ist. Entscheidend ist die Gemeinschaft beim Abendmahl, die digital um den Tisch des Herrn versammelte Gemeinde!

„Die Digitalisierung der Gesellschaft führt dazu, dass durch digitale Räume neue Formen von Gemeinde entstehen. Nicht physische Nähe, sondern Kommunikation ist für sie wesentlich. Die evangelische Kirche respektiert und fördert diese neuen Gestalten von Gemeinde“, so heißt es in der Kundgebung der EKD-Synode 2014. Also statt präskriptiv digitale Gemeinschaft zu definieren, sollten wir deskriptiv vorgehen und Menschen in digitalen Gemeinden fragen, wie sie ihre Gemeinschaft verstehen. Erfahrungen aus Online-Gemeinschaften, so auch meiner eigenen, bezeugen: Hier ist Gemeinde. Einige Online-Andachten sind mir besonders eindrücklich: gemeinsam beten, gemeinsam schweigen – und dabei an verschiedenen Orten sein. Im Credo bekennen wir die Gemeinschaft der Heiligen, die Ort und Zeit transzendiert. Wenn man online zum Gottesdienst versammelt ist, ohne leiblich am selben Ort zu sein, erlebe ich das nicht als defizitär, sondern als Vorwegnahme der Gemeinschaft der Heiligen im Hier und Jetzt. Online zum Gottesdienst versammelte Menschen sind eben wirkliche Gemeinde – deshalb hat in solcher Gemeinschaft auch das Abendmahl seinen Platz. Wer solche Online-Gemeinschaft nicht als vollwertig erlebt, braucht auch online kein Abendmahl zu feiern. Wer aber generell ein Online-Abendmahl unter Hinweis auf die fehlende Gemeinschaft ablehnt, spricht ein Werturteil über die Erfahrung anderer. In der Osterzeit 2020 waren keine Präsenzgottesdienste möglich, Gemeinden haben Abendmahl in digitaler Form angeboten. Am Gründonnerstag habe ich Abendmahl via Videokonferenz gefeiert. Für mich war es ein wirklicher Abendmahlsgottesdienst – wenn auch in anderer Form. Gerade weil ich in dieser Zeit der Corona-Pandemie nur sehr wenigen Menschen körperlich begegne und die meisten Interaktionen sich ins Digitale verlagern, war es für mich persönlich wichtig, dass Gott mir körperlich in Brot und Wein begegnete.


Wertvolles Geschehen

Wer allzu schnell auf eine digitale Form des Sakramentes setzt, macht es sich zu einfach.

D as vorab: Es kann nicht darum gehen, den digitalen Elan auszubremsen, den so viele begeisterungsfähige Pfarrerinnen und Pfarrer in Corona-Zeiten entwickelt haben. Da wurden Mittel und Wege gefunden, Menschen in der Krise zu erreichen – und das soll, das wird auch bleiben.

Neue Erfahrungen werfen aber auch neue Fragen auf. Sie zeigen, was alles digital geht – und was nicht. Wer seine alten Eltern nicht besuchen darf, weiß: Gespräche gehen digital. Umarmungen aber nicht. Dabei wären doch so viele Menschen genau darauf dringend angewiesen. Und wer im Raum der Kirche unterwegs ist, weiß offenbar, auch ziemlich klar: Taufen gehen so nicht. Das „Ich“, das sagt: „Ich taufe dich“ ist nicht einfach digital übertragbar.

Beim Abendmahl dagegen scheint die Frage nach dem „Das“ im „Das ist mein Leib“ für viele leichter zu überwinden. Ganz so einfach ist es damit aber auch nicht. Nach meinem Eindruck schon nicht für die reformierte Tradition – für die lutherische erst recht nicht. Kraft der Einsetzungsworte ist nach lutherischem Bekenntnis Jesus Christus in, mit und unter den Elementen leiblich gegenwärtig.

Das ist für modernes Verständnis eine ziemlich starke Herausforderung – und etwas ungeheuer Kostbares: Christus vermittelt sich nicht nur über den Kopf, nicht nur über virtuelle Räume. Er ist so da, dass die Person, die die Einsetzungsworte spricht, mit dem Demonstrativpronomen „Das“ auf das Brot weisen kann, mit dem sie umgeht: Da ist Jesus Christus! Dieser Vorgang ist so leiblich wie die Taufe und wie die Umarmung und daher auch so wenig übertragbar.

Dabei geht es um eine sehr konkrete Materie, nicht allgemein um Materialität. Das Brot auf dem Altar ist ein anderes als das Brot auf meinem Esstisch. Das eine ist dem Sprechakt präsent, der Bezug des „Das“ ist klar und eindeutig. Wie das andere, das Brot auf dem Esstisch, vom Sprechakt erreicht und gemeint werden soll, wie genau das Brot als „Das“ identifiziert wird, von dem die Rede ist, ist alles andere als klar. Der Bezug der Einsetzungsworte wird im virtuellen Raum merkwürdig diffus und unkonkret. Mit der Konkretheit aber verlieren die Einsetzungsworte die gewissmachende Kraft, dass das, genau dieses Brot, das ich einnehme, das ist, von dem es heißt, es ist der Leib Christi. Dass Christus auf viele Weisen gegenwärtig sein kann, gegenwärtig ist, steht außer Frage. Aber die Gewissheit der leiblichen Gegenwart ist gebunden an das Sakrament und seine konkreten Elemente.

Genau das macht dieses Geschehen so wertvoll. Wer allzu schnell auf ein digitales „Abendmahl“ setzt, lässt schweren gedanklichen Ballast vielleicht nicht nur leicht, sondern leichtfertig über Bord gehen. Ärzte, die etwas als Mittel gegen Corona ausgäben, ohne gewiss zu sein, dass es auch hilft, würden wir mit gutem Recht für fahrlässig halten. Im Abendmahl schenkt Jesus Christus seine Heil bringende Gegenwart. Wenn wir das glauben und darauf vertrauen, sollten wir auch mit der Bezeichnung „Abendmahl“ sehr achtsam umgehen.

Vielleicht war und ist es ja auch gar nicht diese gewichtige, schwer zu verstehende und, ich gestehe es gerne: schwer zu glaubende Gegenwart Christi in, mit und unter den Elementen, die Menschen fehlte und fehlt, wenn sie nicht zum Abendmahl gehen können. Vielleicht vermissen sie vor allem die Erfahrung, von der die Apostelgeschichte erzählt: „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“ (Apostelgeschichte 2,42). Das ist die biblische Grundlage für den Brauch des Agapemahls, das in der Neuzeit wieder aufgegriffen und 1967 in großem Maßstab auf dem Kirchentag in Hannover gefeiert wurde. Es kommt ohne das schwere Gepäck der Abendmahlslehre aus und lässt doch darauf hoffen und vertrauen, dass Jesus Christus bei denen ist, die sich im Glauben an ihn versammeln. Gewiss auch digital.

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Volker Leppin

Volker Leppin (geboren 1966) ist Professor für Kirchengeschichte in Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen beim Mittelalter, der Reformationszeit und der Aufklärung, in den Themen Scholastik und Mystik und bei der Person und Theologie Martin Luthers.


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