Universaler Denker

Hegel: Die Kraft des Negativen

Der große Hegel (1770–1831) ist als ein Januskopf in die Geschichte eingegangen. Die einen sehen in ihm den universalen Denker und Idealisten der Freiheit, die anderen den scharfsichtigen Analytiker und Interpreten der Verhältnisse seiner Zeit, dessen Denken man freilich vom Kopf auf die Füße stellen müsse. Links Prophete – rechts Prophete: Bis heute gibt es zwei Wissenschaftliche Hegelgesellschaften.

Im öffentlichen Bewusstsein durchgesetzt hat sich das Bild vom preußischen Staatsphilosophen, der die konstitutionelle Monarchie als ideale Staatsform stützt, zugleich aber Staat und Gesellschaft (als „System der Bedürfnisse“) begrifflich unterscheidet und die staatsrechtliche Trennung von Staat und Kirche vorbereitet. Das konservative Konterfei ist nicht nur auf die linke Kritik zurückzuführen; Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat dieser Sicht selbst Vorschub geleistet durch jenen berüchtigten Satz: „Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig.“

Dieser fatalen Aussage, welche die bestehenden Verhältnisse heiligspricht, setzt die neue Hegel-Biografie des Jenaer Philosophen Klaus Vieweg ein ganzes Arsenal von Argumenten, ja eine ganze Lebensgeschichte entgegen. Seiner Meinung nach steckt in der Formel eine Täuschungsstrategie gegenüber der staatlichen Zensur nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819. Die Restauration hielt den einflussreichen Philosophen unter Beobachtung und hatte einige Schüler, für die Hegel sich mit wechselndem Erfolg einsetzte, verfolgt. Ein schwaches Indiz für die versuchte Irreführung zeigt sich in einem Satz, den Vieweg aus einer Vorlesungsnachschrift zitiert. „Was wirklich ist, ist vernünftig, aber nicht alles ist vernünftig, was existiert.“

Hegel als Denker und Verfechter der rechtlichen, persönlichen und politischen Freiheit, auch der Menschenrechte, ja als geistiges Kind der Französischen Revolution zu erweisen – das zieht sich als roter Faden durch Viewegs ganzes Unternehmen. Dazu ist es nicht nur nötig, den Lebensgang, sondern vielmehr auch den Denkweg nachzuzeichnen. Beides geschieht mit Akribie und Lebendigkeit.

Der lange Weg von Stuttgart und Tübingen über Bern und Frankfurt als Hauslehrer, Jena als Dozent, Bamberg als Journalist und Nürnberg als Gymnasialrektor zur Professur in Heidelberg und dann in Berlin wird mit stupender Quellenkenntnis und einem geschulten Blick für Milieu, Familie und Zeitumstände dargestellt. Und Vieweg verbindet mit jeder Phase eine gründliche und gut nachvollziehbare Interpretation der größeren Werke.

Hegel hat Freiheit als „das Bei-sich-selbst-Sein im Anderssein seiner selbst“ beschrieben und damit die Grundlage dafür gelegt, den Menschen als soziales Wesen zu begreifen. Er ist nicht nur als personales Subjekt, sondern in der Kommunikation mit anderen und im Stoffwechsel mit der Natur zu verstehen, bildet eine Einheit von Subjekt und Substanz, von Geist und Materie. In diesem Prozess wird, wie Vieweg eindringlich darstellt, der Widerspruch von Ichbewusstsein und skeptischer Selbstverneinung als Kraft des Negativen zum Antrieb des Denkens und der humanen Welt.

Dieses handlungs- und prozessorientierte Verfahren, das Georg Wilhelm Friedrich Hegel auf alle Phänomene der natürlichen und sozialen Welt anwendet, vollzieht Vieweg auf allen Entwicklungsstufen von Hegels Kosmos nach, ohne die Leserin und den Leser zu langweilen. Dabei werden nicht nur in Sachen Recht, Moral und Politik, Markt, Arbeit und Klassengesellschaft, sondern auch im Blick auf die Künste, auf Religion und Wissenschaft bis heute aktuelle Analysen referiert. Vieweg zeigt, mit welchem Recht Hegel die Geschichte als einen „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ hat verstehen können.

Die lebenslange Freundschaft des Philosophen mit dem Kulturpolitiker Niethammer, auch mit Johann Wolfgang von Goethe, seine journalistische Arbeit sowie die Leitung des ersten humanistischen Gymnasiums in Deutschland, nicht zuletzt sein geselliges Leben mit Hang zu Kunst und Wein sowie die beharrliche Kommentierung der politischen Entwicklung – dies alles ist überaus lesenswert und macht aus dem Buch weit mehr als eine Biografie.

Klaus Vieweg hat eine umfassende Einführung in Hegels Denken geschrieben und damit plausibel gemacht, warum dieses scheinbar so schwer zugängliche Denkgebäude so tiefgreifende Wirkungen hervorgebracht hat. Und es wird verständlich, weshalb man 250 Jahre nach der Geburt des großen Denkers und auf das Konkrete versessenen Geistes mit substanziellem Gewinn seiner gedenken kann.

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