Über(s) Kreuz

Fotografie: Kirchen in Europa

Es gibt viele Möglichkeiten, Gestalt und Atmosphäre eines Raumes in Szene zu setzen. Die Fotografie bietet mit ihren Möglichkeiten der vielfältig technischen Nachbearbeitung, der auf unterschiedlichen Papieren immer wieder erstaunlich unterschiedlichen Reproduktion und nicht zuletzt der puren Größe der Bilder, die kein Handyfoto auch nur annähernd vor Augen bringt, wohl eine der umfänglichsten und ist damit auch die nachhaltigste Werbung für diese Orte, die mit der Stille der Bilder für eine Stille vor Ort wirbt, die es nur selten gibt.

Das Buch reiht sich damit ein in die schwergewichtigen, farbsatten Bildbände, die zwischen kirchenmauerdicken Deckeln der atmosphärischen Schönheit der sakralen Räume huldigen. Betitelt ist es mit Göttliche Projektionen. Es zielt damit auf die Besonderheit des Bandes ab: Fotograf Ernst Christen hat sechzig berühmte und besonders schöne Kirchen Europas besucht, fotografiert und in göttliche Projektionen verwandelt – oder sind es eher Projektionen des Göttlichen? Das jedenfalls legt die fotografische Umformung der Räume in multiaxiale
Kaleidoskop-Panoramen nahe, die jeden Raum in Kugelprojektion, meist ins Quadrat eingepasst, abbilden – für den fotografisch affinen Betrachter: aufgenommen mit Vollformatsensor, 20-mm-Objektiv und multiaxialem Panoramakopf.

Ernst Christen merkt an: „In diesem Buch versuche ich die sakrale Atmosphäre des jeweiligen Kirchenraums, seine Seele sozusagen, fotografisch zu erfassen und darzustellen. Aus manchen Kirchen werden dabei wunderschöne Blumen …“, die er in vier Hauptkapiteln vorstellt: „Der Stille Raum geben“, „Von Menschen und Göttern“, „Groß und klein“, „Geheiligte Räume“. Jedem stellt er einen kurzen Text voran. Darin führt er unter anderem in Albert Einsteins Religionstheorie ein, äußert sich zu Spiritualität und Fundamentalismus oder zu Mediation und Psychologie. Vertiefend lässt er dazu in spirituell eindringlichen Sätzen Glaubenslehrer, Mystikerinnen und Kirchenväter zu Wort kommen.

Warum die allesamt in sich ruhenden Räume, die am Ende des Buches klein, aber ganz normal in ihrer wohltuend aufgehenden Idealität und Klarheit präsentiert sind, dieser spielerischen fotografischen Verwandlung bedürfen, ist das Rätsel des Buches. Liegt die Versenkung darin, das Ebenmaß ins Maß runder Vollkommenheit zu steigern, um in der neuen Form des Unendlichen habhafter zu werden?

Die Faszination des Spiels mit den Formen ist ein Spiel mit den Räumen selbst. Versteht man sie mit den Intentionen der mittelalterlichen Baumeister als nach göttlicher Ordnung ins architektonische Maß gebrachte Orte, so löst Ernst Christen deren Gesetze auf. Er nimmt sie als Mittel zum Zweck, um mit ihnen als Medium ein neues Bewusstsein zu kreieren. Ob und wie das gelingt, steht auf einem anderen Blatt.

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