"Eine große Bedrohung für unsere Arbeit"

Ein Gespräch mit der Geschäftsführerin von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste Jutta Weduwen
Freiwillige von Aktion Sühnezeichen im Einsatz
Foto: epd
Sommercamp der Aktion Sühnezeichen in der KZ-Gedenkstätte Augustaschacht in Hasbergen bei Osnabrück. Freiwillige Jugendliche aus Polen, Weissrussland, Deutschland und Spanien legen Ruinen ehemaliger Gebäude frei.

Zeitzeichen: Frau Weduwen,  Aktion Sühnezeichen Friedensdienste betreut etwa 180 Freiwillige in einjährigen Einsätzen in Europa, USA und Israel.  Haben Sie sie alle nach Deutschland zurückgeholt?

Jutta Weduwen: Die 150 Freiwilligen aus Deutschland haben wir bis zum 27. März zurückgeholt, auch weil es die entsprechenden Aufforderungen der zuständigen Ministerien und des Auswärtigen Amtes gab. Alle sind gesund angekommen. Die dreißig Freiwilligen aus unseren Partnerländern sind teilweise noch in Deutschland oder in Polen. Denn es gab nicht in allen Ländern die entsprechende Aufforderung der Regierung zur Rückkehr. Zum Teil ist die Gesundheitsversorgung in den Heimatorten der Freiwilligen in unseren Partnerländern auch schlechter als hierzulande.

Die Freiwilligen zurückzuholen, das war gewiss keine leichte Entscheidung….

Jutta Weduwen: …und vor allem musste sie sehr schnell getroffen werden. Bisher war es immer so, dass es Krisensituation nur in einzelnen Regionen gab, der Reiseweg und der Zielort der Ausreise aber sicher waren. Nun standen wir vor der Frage, ob die Reise an sich und der Aufenthalt in Deutschland nicht eine viel höhere Ansteckungsgefahr mit sich bringen. Allerdings konnten wir die Betreuung der Freiwilligen vor Ort nicht mehr ausreichend gewährleisten, weil die Reisemöglichkeiten nach und nach eingeschränkt waren. Die Entscheidung war richtig, aber das Zentrum unserer Arbeit, die Einsätze der Freiwilligen und die internationalen Begegnungen, liegt nun brach. Das ist sehr traurig für uns, für die Freiwilligen, für unsere Partner*innen vor Ort.

Was bedeutet das für die Projekte vor Ort?

Jutta Weduwen: Für unsere Partner*innen vor Ort fällt das Extra weg, das Freiwillige in allen sozialen Projekten geben können. Eben weil sie weniger eingebunden sind in das Betreuungssystem haben sie Zeit zum Gespräch oder zum Spazierengehen. Viele versuchen, ihre Arbeit von hier aus fortzuführen. Wer einen Bürojob hatte, versucht die Arbeit aus dem Homeoffice in Deutschland weiterzumachen. Wer Menschen begleitet hat, versucht über das Telefon in Kontakt zu bleiben. Aber natürlich bleibt die Situation für die Freiwilligen sehr schwierig. Sie waren nach einem halben Jahr vor Ort gerade in den Projekten angekommen und konnte nun dort richtig mitarbeiten.

Besteht Hoffnung, dass sie nochmal zurückkehren können?

Jutta Weduwen: Der Dienst würde bis Ende August gehen, ich würde also eine Rückkehr nicht ausschließen. Sollten in den nächsten Wochen die Reiseeinschränkungen aufgehoben, müssen wir in jedem Fall prüfen, wie stark die Ansteckungsgefahr durch Begegnungen und Reisen sein würde.

Was ist mit den zweiwöchigen Kurzzeiteinsätzen in den Sommercamps, die für dieses Jahr geplant waren?

Jutta Weduwen: Alles was im Mai stattfinden sollte, wurde abgesagt, zudem die Einsätze bei Menschen, die besonderen Risiken ausgesetzt sind, z.B. Bewohner*innen eines Altenheims in Bukarest oder Überlebende der Hungerblockade in St. Petersburg. Es ist besonders schade, dass die Begegnungen mit alten Menschen derzeit weniger möglich sind, weil sie die Unterstützung ja eigentlich besonders gebrauchen können und die Begegnungen uns so wichtig sind. Alle anderen Sommerlager werden wir von Monat zu Monat entscheiden, die Camps laufen ja bis in den September hinein. Zum Teil denken wir auch darüber nach, sie in den Herbst zu verschieben.

Hat die Corona-Krise finanzielle Auswirkungen für Ihre Arbeit?

Jutta Weduwen: Ja, auf jeden Fall. Wir haben noch alle Freiwilligen unter Vertrag und die meisten Institutionen, die diese Einsätze fördern, halten die Zuwendung derzeit für die laufenden Einsätze noch aufrecht. Wenn wir aber am 1. September keine neuen Freiwilligen in den Einsatz bringen können, würde uns das vor große finanzielle Herausforderungen stellen. Denn wir haben ja weiter laufende Kosten, etwa für die Unterkünfte, die Personalkosten. Und wir müssen damit rechnen, dass Spenden und kirchliche Kollekten einbrechen werden, wenn die wirtschaftliche Lage sich weiter verschlechtert. Das ist eine große Bedrohung für die Arbeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.

Was bedeutet das konkret? Wie finanzieren Sie sich im Moment?

Jutta Weduwen: Unser Gesamthaushalt liegt bei 5,5 Millionen Euro. Die Spenden, Kollekten und kirchlichen Zuwendungen machen die Hälfte unseres Haushalts aus. Die andere Hälfte setzt sich aus öffentlichen und staatlichen Zuwendungen zusammen, die Freiwilligendienste, Bildungsprogramme und Begegnungen fördern. Wenn wir nach dem Sommer für längere Zeit keine Freiwilligendienste mehr durchführen können, wäre das sehr einschneidend. Dann würde uns die Grundlage unserer Arbeit entzogen. Wir versuchen gemeinsam mit anderen Trägern der Freiwilligenarbeit unser Anliegen an vielen Stellen deutlich zu machen. Denn es würde ein großer Bereich des zivilgesellschaftlichem Engagements weltweit wegbrechen, wenn wir die aufgebauten Strukturen ein Jahr lang brach liegen lassen müssten.

Sie rufen also zu Spenden auf?

Jutta Weduwen: Wir bitten diejenigen, die es sich derzeit leisten können, tatsächlich um Unterstützung. Wir haben einen entsprechenden Aufruf auch auf unsere Homepage gestellt. Wer will, kann dort auch gleich online spenden, entweder einen einmaligen Betrag oder eine regelmäßige Zuwendung. Wir freuen uns über jede Unterstützung.

   

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF)

Jutta Weduwen

Jutta Weduwen ist Geschäftsführerin von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.  Sie ist Mitglied im Sprecher*innenrat der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche + Rechtsextremismus und im Ökumenischen Vorbereitungsausschuss der Interkulturellen Woche.

Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Gesellschaft"