Reinigender Wind der Auferstehung
Glauben bedeutet mehr, als dem Leben zu vertrauen. Denn „das Leben“ ist ein Kreislauf aus Fressen und Gefressenwerden, der aber nichts mit Ostern zu tun hat, meint Ulrich Körtner und richtet den Blick auch auf Dietrich Bonhoeffer, der heute vor 75 Jahren ermordet wurde.
„Ostern? Unser Blick fällt mehr auf das Sterben als auf den Tod. Wie wir mit dem Sterben fertig werden, ist uns wichtiger, als wie wir den Tod besiegen. Sokrates überwand das Sterben, Christus überwand den Tod […] Mit dem Sterben fertig werden bedeutet noch nicht mit dem Tod fertig werden. Die Überwindung des Sterbens ist im Bereich menschlicher Möglichkeiten, die Überwindung des Todes heißt Auferstehung. Nicht von der ars moriendi, sondern von der Auferstehung Christi her kann ein neuer, reinigender Wind in die gegenwärtige Welt wehen.“
Diese Sätze schrieb Dietrich Bonhoeffer, der genau vor 75 Jahren am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg von den Nazis ermordet wurde. Welch ein Gewicht haben diese Worte im Unterschied zu all jenen trivialen Osterbotschaften, die nun wieder vielfach zu hören und zu lesen sind – in diesem Jahr nicht von den Kanzeln, sondern im Internet oder Gemeindebriefen. Glauben heiße dem Leben zu vertrauen, das angeblich stärker als der Tod ist. Solche Sprüche bedeuten nichts anderes als die in leicht erhöhtem religiösen Ton vorgetragene Trivialität, dass das Leben irgendwie weitergeht. Um darauf zu hoffen, braucht man keinen Gott, keinen gekreuzigten und auferstandenen Messias. Dem Leben zu vertrauen, bedeutet allenfalls mit dem Sterben fertig zu werden, aber nicht mit dem Tod.
Christen vertrauen nicht auf das Leben, sondern auf Gott, seinen Schöpfer. Sie hoffen im Letzten nicht, dass das Leben weitergeht und immer wieder neues Leben entsteht. Sie hoffen auf ewiges Leben. Und sie erhoffen dieses ewige Leben nicht nur für sich, sondern für die, die bereits gestorben sind und für die es in dieser Welt nichts mehr zu hoffen und nichts mehr zu verlieren gibt, weil sie mit dem Tod bereits alles, wirklich alles verloren haben.
Das Leben ist nicht mit Gott zu verwechseln. Gott ist kein anderes Wort für die Biosphäre oder für die Natur im Ganzen. Das Wort Gott verweist auf die Transzendenz, die in der platten Diesseitigkeit aus dem Blick gerät. „Das Leben“ – dazu gehören auch Bakterien und Viren wie COVID-19. „Das Leben“ ist ein Kreislauf aus Fressen und Gefressenwerden, der aber nichts mit Ostern zu tun hat.
Die österreichische Regierung macht in der Corona-Pandemie bisher einen wirklich guten Job. Doch Bundeskanzler Kurz‘ Rede von der Wiederauferstehung unseres Alltags- und Wirtschaftslebens, wenn wir nur weiter durchhalten und auch in der Karwoche die Ausgangsbeschränkungen einhalten, ist ein zivilreligiöser Missgriff, der nicht einmal die Kirchen sonderlich zu stören scheint.
Heftige Kritik äußerte allerdings FPÖ-Klubomann Herbert Kickl in einer Nationalratsdebatte: „Wir wollen nicht wiederauferstehen“, rief er erregt, „denn dazu muss man vorher sterben. Wir wollen aber nicht sterben!“ Die Szene im Parlament entbehrte nicht der unfreiwilligen Komik. Was als politisches Statement gedacht war, ist freilich symptomatisch für die heutige Einstellung zu Leben und Tod: Das Leben als letzte Gelegenheit (Mariann Gronemeyer). Dazu passt eine Karikatur von Peter Gaymann.
Die politische Rhetorik der Wiederauferstehung und die Beschwörung des nationalen Schulterschlusses wecken Assoziationen an die Gründung der Zweiten Republik nach dem Ende der Naziherrschaft. Man fühlt sich aber auch an die Hymne der inzwischen untergegangenen DDR aus der Feder von Johannes R. Becher erinnert: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“. Ostern als Versatzstück politischer Religion.
Wir werden zwar nachdrücklich darauf hingewiesen, dass Menschen am Corona-Virus sterben. Die Toten fungieren als pädagogische Warnung, damit wir uns regelkonform verhalten. Wir sehen die schrecklichen Bilder der aufgereihten Särge aus Italien und Spanien. Aber die in Österreich zu beklagenden Toten kommen in der Berichterstattung nur als kleine statistische Größe vor. Und die von der Politik verheißene Wiederauferstehung ist schlussendlich dann doch nur die „neue“ alte Normalität.
Im christlichen Sinne glauben heißt nicht auf eine nationale und ökonomische Wiederauferstehung hinzuleben, sondern von der Auferstehung Christi her zu leben. Nochmals Bonhoeffer: „Von der Auferstehung her leben, das heißt doch Ostern“. Das heißt aber auch, von einer Hoffnung getragen zu sein, die über den biologischen Tod hinausreicht. Sie gilt nicht nur denen, die um ihre Toten trauern, sondern doch auch für die Toten selbst. An ihre Auferstehung zu glauben, heißt dem Tod die letzte Reverenz zu verweigern um ihm um der Liebe willen keinen Raum in unserem Denken einzuräumen.
Ulrich H. J. Körtner
Dr. Ulrich Körtner ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien.