Katharina Scholl hat kürzlich auf dieser Website angesichts zahlreicher kirchlicher Angebote im Internet die Kirchen zum Schweigen aufgefordert. Doch eine Kirche macht sich unwichtig, die sich in ihrer Not aufs Schweigen verlegt, die sich dem Stress verweigert, in den ihre Mitglieder jetzt geraten sind.
Innehalten. Schweigen. Zuhören. Abwarten. Nichts tun, jedenfalls nichts Neues. So lauten immer wieder gern gehörte Ratschläge zum Krisenmanagement in der Kirche. Auch jetzt. An dieser Stelle hat Katharina Scholl sie auf den Tisch gelegt, Repetentin der Hessischen Stipendiatenanstalt in Marburg.
Aber vom Repetieren werden solche Ratschläge nicht richtiger. Eine Kirche macht sich unwichtig, die sich in ihrer Not aufs Schweigen verlegt, die sich dem Stress verweigert, in den ihre Mitglieder jetzt geraten sind. Gerade erfuhr das der Schuhhändler Deichmann mit seinen Kunden. Es wurde bekannt, dass er die Ladenmieten streichen wolle. Erst nach Tagen bequemte sich der Vorstand zur Erklärung, er wolle die Mieten nur gestundet haben und spreche derzeit mit den Vermietern. Das digitale Geschäft sei verschwindend gering und fange keinen Ausfall auf. Es waren Tage, in denen der Konzern Vertrauen verlor, das er sich in Jahren aufzubauen versuchte. Jetzt hat die Führung den Stress, den sie durch Abwarten und Schweigen aussitzen wollte.
Auch die Kirche wähnt sich im Stress, weil die Welt sich ändert und sie unter Druck setzt. Sie selber möchte gerne bleiben, wie sie war. Die christliche Kirche hat Heidenangst.
Katharina Scholl unterstreicht ihre Meinung mit einem Beispiel aus dem 1979 erschienenen Konzeptalbum „The Wall“ der Rockgruppe Pink Floyd. Sie erwähnt den Protagonisten Pink. Der fragt hinter seiner Mauer immer wieder verzweifelt monoton: „Is there anybody out there – ist jemand da draußen?“. Für Katharina Scholl ist das ein Sinnbild für die wachsende Zahl von gestreamten Gottesdiensten und Andachten. Denn damit frage die Kirche in gestresstem Aktionismus, ob ihr noch jemand zuhöre. Katharina Scholl findet das zu viel, zu neu, zu schnell: Digitale Angebote der Kirchen hätten sich „quantitativ überschlagen“. Ihr Argument ist ein Sinnbild dafür, dass es die Kirche kaum berührt, wie schnell sich die Lebenswelt ihrer Mitglieder weiterentwickelt und wie rasch sie sich darauf einstellen müssen. Ist jemand da draußen? Wir haben keine Sprechstunde.
Das Pink-Beispiel ist abgründiger als Katharina Scholl zitiert. Die Hauptfigur von „The wall“ hat sich selber in ihre Lage gebracht. Pink hat seine Mauer selber aufgebaut. Er hat die Kontakte selber abgebrochen, die ihm jetzt so bitter fehlen, dass er die Wand hochgehen will.
Das spiegelt die Situation der Kirche. Sie läuft Gefahr, wichtigen Gruppen unter ihren Mitgliedern den Rücken zu kehren. Indem sie sich mit ihrer Stressangst der Modernisierung verweigert, die den Alltag der Menschen prägt. Zu viele Kirchenleitungen, Theologen und Pfarrpersonen haben die Erosion der Mitgliedschaft hingenommen und Reformen ausgebremst. Sie haben sich damit abgefunden, dass die versammelte Gemeinde immer kleiner und älter wird: Demografie, da kann man nichts machen. Sie haben das Lebensgefühl alternder Menschen, die der Kirche die Treue halten, reproduziert und zu wenig unternommen, um sich mit jüngeren Leuten zu verbinden.
Jetzt starren sie heidenängstlich auf das beschleunigt an ihnen vorbeiziehende Leben – und seinen wachsenden digitalen Anteil. Haben sie vergessen, dass gerade der Protestantismus unbefangen und – Vorsicht, Unwort – erfolgreich neueste Medien eingesetzt hat? Er tat es, um zu verbreiten, was er zu verbreiten hatte: Die Botschaft vom Glauben, der frei macht, der Liebe, die verbindet, und der Hoffnung, die trägt. Und um zu diskutieren und dem Wort die Macht zu geben.
Deshalb sollten sich Theologinnen und Theologen freuen, wenn Kirchenmitglieder, ob mit Talar oder ohne, den digitalen Rückstand der Kirche mildern. Die Zuviel-Angst verstellt den Blick dafür, dass der digitale Anteil bei der Kirche immer noch geringer ist als beim Versandhandel von Deichmann.
Mit digitalen Formen geht auch in der Kirche noch mehr. Jeder, der jetzt ausprobiert, was Menschen erreicht, und dabei Fehler macht, sammelt Kapital für seine Gemeinde. Kirche entdeckt ja gerade erst etwas breiter, dass man sich digital auch begegnen und austauschen kann, gerade dann, wenn sich die Königsklasse der persönlichen Begegnung im Homeschooling abmüht.
Die Apostelinnen und Apostel der Stille und des Nichtstuns übersehen auch gern: Kirche kann Menschen zur Stille versammeln. Dann wirkt sie, selbst noch digital. Doch abwesende Stille ist nur abwesend: Kirche schließt sich ein hinter ihre Mauern.
Kann die Kirche Menschen nicht persönlich zusammenbringen, dann kann sie ihnen doch begegnen und sie verbinden. Denn sie gehört solidarisch an die Seite der Menschen, mit ihren Konflikten, mit ihrer Angst. Sie gehört dahin mit dem Wort Gottes, an das sie glaubt, an dem sie festhält und von dem sie überzeugt ist, dass es in das Leben der Menschen hineinspricht. Dabei können digitale Medien ihr ungemein helfen.
Gemeinde besteht übrigens aus mehr Menschen als denen, die sich üblicherweise zum Gottesdienst treffen. Wer jetzt nicht die Gelegenheit wahrnimmt und Kontakt zur Gemeinde sucht, wer sie nicht versammelt, auch wenn er sie nicht sieht, der versemmelt sie.
Wolfgang Thielmann
Wolfgang Thielmann ist Pastor und Journalist. Er lebt in Bonn.