Warten lohnt sich

Die Kirchen und das Karlsruher Urteil zur Suizidbeihilfe
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht verkündet am 26.2. 2020 das Urteil zum Sterbehilfe-Verbot.
Foto: epd
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes (von links nach rechts: Christine Langenfeld, Doris König, Monika Hermanns, Sibylle Kessal-Wulf, Vorsitzender Andreas Voßkuhle, Peter M. Huber, Johannes Masing und Ulrich Maidowski) verkündet am 26. Februar 2020 das Urteil zum Sterbehilfe-Verbot. Laut diesem ist das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Sterbehilfe hat viele überrascht, weil es sich sehr klar für das Selbstbestimmungsrecht des Individuums positioniert hat. Die Reaktionen in der protestantischen Kirchenwelt in Deutschland sind gespalten ...

Keine Frage, die Meinung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts war schnell parat: Um 10:45 Uhr, also knapp eine Dreiviertelstunde nachdem Andreas Voßkuhle, der Präsident des BVerfG, die öffentliche Verkündung des Urteils und seiner Begründung begonnen hatte, wurde eine „Gemeinsame Erklärung“ des EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm und des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx versandt, die mit den Worten „Mit großer Sorge …“ beginnt.

Dann folgt eine klar negative Beurteilung des soeben verkündeten Karlsruher Urteils zum Streit um das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Das Urteil, so die EKD-Pressmitteilung, stelle „einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar“. Man befürchte, „dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte und kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen“.

Schließlich wird im letzten Drittel der Mitteilung festgestellt: „Die Würde und der Wert eines Menschen dürfen sich nicht nach seiner Leistungsfähigkeit, seinem Nutzen für andere, seiner Gesundheit oder seinem Alter bemessen. Sie sind – davon sind wir überzeugt - Ausdruck davon, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat und ihn bejaht und dass der Mensch sein Leben vor Gott verantwortet.“ Am Ende bekräftigten die beiden Vorsitzenden, man werde sich „weiterhin dafür einsetzen, dass organisierte Angebote der Selbsttötung in unserem Land nicht zur akzeptierten Normalität werden.“

So weit, so gut und so wichtig. Aber muss man, wenn man dieser Auffassung ist, die Erklärung mit den Worten „Mit großer Sorge“ beginnen lassen und dann eine Art Urteilsschelte betreiben? Fast fühlte sich der historisch interessierte Beobachter vom Duktus an die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ erinnert, die Papst Pius XI. im Jahre 1937 gegen das Naziregime in Deutschland veröffentlichte, damals hieß es: „Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen...". Zweifel sind angebracht, ob dieser hohe Ton notwendig ist.

Die gemeinsamen ökumenische Presseerklärung vom gestrigen Mittwoch ist bestimmt nicht in den 45 Minuten des Vortrages von Voßkuhle entstanden, sondern deutlich früher. Dass auf der Rückseite der versandten Mitteilung als Datumangabe „Hannover, 23. Februar 2020“ stand, mag Zufall sein, kann aber durchaus auch das Datum des gemeinsam abgestimmten Entwurfes sein. Kein Wunder, so etwas braucht seinen Vorlauf. Auf jeden Fall war der kirchlichen Mitteilung nicht abzuspüren, dass die Verantwortlichen die sehr dezidierte und reichhaltige Begründung des BVerfG vor Abfassung der Pressemitteilung zur Kenntnis genommen und in ihre Bewertung aufgenommen hat. Die Lektüre derselben ist ausdrücklich zu empfehlen. Man könnte vielen der dort aufgestellten Sätze aus kirchlicher Warte durchaus widersprechen, zum Beispiel diesen:

Das Recht, sich selbst zu töten, kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass sich der Suizident seiner Würde begibt, weil er mit seinem Leben zugleich die Voraussetzung seiner Selbstbestimmung aufgibt. Die selbstbestimmte Verfügung über das eigene Leben ist vielmehr unmittelbarer Ausdruck der der Menschenwürde innewohnenden Idee autonomer Persönlichkeitsentfaltung; sie ist, wenngleich letzter, Ausdruck von Würde.

Aber man müsste ihnen begründet widersprechen und nicht mit einer allgemeinen Ablehnung, die vor der Urteilbegründung niedergelegt wurde und die insofern die Ausführungen des Gerichtes nicht würdigt. In diesen Ausführungen des Gerichts wird deutlich gemacht, dass der Staat durchaus die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung reglementieren könne. Und vor allen Dingen der allerletzte Satz der Urteilsbegründung verdient es gewürdigt zu werden, auch wenn er natürlich eine Selbstverständlichkeit darstellt, nämlich dass es „eine Verpflichtung zur Suizidhilfe nicht geben darf.“ Es ist schade, dass die beiden großen Kirchen, wenn sie sich schon gemeinsam äußern, im Oberflächlichen und längst Bekannten verbleiben und dabei  sehr vom katholischen Naturrechtsdenken geprägt scheinen. Sicherlich hat Christian Geyer in seinem luziden Beitrag zum Thema in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung solche Schnellschussreaktionen im Blick, wenn er schreibt:

Statt nun Systemkritik zu üben, sollten sich die Kritiker des Urteils mit dessen aus der Einheit der Rechtsordnung heraus zu verstehenden Logik auseinandersetzen und im Übrigen die von Karlsruhe eröffneten Spielräume nutzen, um ihre alternativen Präferenzen umzusetzen, ohne den Übergriff ins Allgemeinverbindliche zu machen. Der soziale Druck werde sich erhöhen, die suizidale Option zu wählen, beklagen nach der Urteils Verkündigung auch die Kirchen. Dann sollen sie doch aus ihren Glaubensüberzeugungen heraus begründet dafür werben, andere selbstbestimmte Optionen zu wählen! Nirgendwo steht ja in dem Karlsruher Urteil, dass Selbstbestimmung am Lebensende sich allein in der Selbsttötung verwirkliche.

Dass es anders geht, zeigen zum Beispiel die Reaktionen zweier anderer leitender Geistlicher: Der hessische Kirchenpräsident und stellvertretende Vorsitzende der Union Evangelischer Kirchen in Deutschland (UEK), Volker Jung, verzichtete auf Urteilsschelte und hob hervor, dass das BVerfG das „Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Menschen“ gestärkt habe. „Gleichzeitig“ bestehe die Gefahr, „dass Menschen sich dadurch unter Druck gesetzt fühlen oder unter Druck gesetzt werden könnten, ihrem Leben ein Ende zu setzen“. Natürlich ist das eine sehr wichtige und ernste gesellschaftliche Sorge und es ist die Aufgabe, ja die Pflicht der christlichen Kirchen hier eine Wächteramt zu vollziehen. Für eine evangelische Kirche ist aber das „Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Menschen“ eben auch wichtig.

Anders noch als Volker Jung begrüßte der hannoversche Landesbischof und Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Ralf Meister, das Urteil sogar ausdrücklich, indem er dem Evangelischen Pressedienst sagte: „Ich glaube, dass das Urteil eine wichtige Klärung ist.“ Es zeige, „dass die Würde des Menschen auch das Selbstbestimmungsrecht des Menschen beinhaltet“. Und er lieferte mit einfachen, klaren Worten eine theologische Aussage zum Thema: „Als Christ sage ich: Die Gabe Gottes, nämlich mein Leben, hat er in meine Verantwortung gelegt. Diese Verantwortung währt bis zum letzten Atemzug. Und da ich an das ewige Leben glaube, habe ich auch die Rechtfertigung, den Zeitpunkt und die Art und Weise, wie ich sterbe, mitzugestalten.“ Zudem veröffentlichte Meister ein sehr beeindruckendes Video, in dem er deutlich machte, wie man aus evangelischer Perspektive das Thema auch behandeln kann.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von gestern ist ein Meilenstein. Es bedarf der gründlichen Auseinandersetzung und stellt die Gesetzgebung vor große Herausforderungen. Wie sich die evangelischen Kirchen dazu verhalten, welche Positionen sie einnehmen, will gut überlegt sein. Mit „großer Sorge“ allein aber wird es nicht getan sein, und vielleicht lässt sich eine Allianz mit der römisch-katholischen Kirche aus der Perspektive einer evangelischen Freiheit auf diesem Gebiet nicht aufrechterhalten. Die unterschiedlichen Reaktionen von gestern zeigen, dass das auch gar nicht sein muss!

 

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