Stille Erwartungen

Punktum
Foto: Rolf Zöllner

Eigentlich habe ich mich bisher für einen Mann gehalten, der mit der Zeit geht, wo es sinnvoll ist. Zum Beispiel bei der Telekommunikation. Ich habe schon vor vielen Jahren meinen Festnetzanschluss abgeschafft, benutze selbstverständlich ein Smartphone, erstelle WhatsApp-Gruppen für die schnelle Kommunikation, winke über den Facebook-Messenger neuen Freunden zu.

Allerdings bemerke ich doch gegenläufige Tendenzen. Das fing damit an, als um mich herum immer mehr Leute ihr Telefon ganz anders ans Ohr hielten, als ich, nämlich so horizontal von unten, um Sprachnachrichten über WhatsApp abzuhören. Warum die an der Ladebuchse zu hören sind, und nicht da, wo man sonst alles hört, habe ich bis heute nicht verstanden. Zudem ist mir schleierhaft, warum man sich lieber viele Sprachnachrichten hin und her schicken soll, anstatt direkt zu telefonieren. Wobei das natürlich voraussetzt, dass man weiß, dass ein Handy auch zum Telefonieren genutzt werden kann. Das ist mittlerweile nur noch den wenigsten bewusst. Wahrscheinlich wird Apple diese Funktion bei der nächsten IPhone-Generation einsparen, zugunsten eines Milchaufschäumers oder irgendetwas anderem, was man wirklich braucht.

So wie auch die Mailbox dann wegfällt, die ich ja immer noch so nutze, wie früher. Das bedeutet: Ich spreche Nachrichten darauf, wenn jemand nicht erreichbar ist. Und ich höre die Mailbox ab, wenn jemand darauf gesprochen hat. Normal? Von wegen. Immer öfter mache ich zwei Erfahrungen: a) Meine Nachrichten werden nicht abgehört, weil das viel zu kompliziert sei. Wenn ich Glück habe, wird zurückgerufen und ich darf alles nochmal erzählen. b) Meine Mailbox zeigt mir an, dass jemand angerufen hat, aber keine Nachricht hinterlassen hat. Für mich kein Problem, dann war es wohl nicht so dringend. Denkste.

Mehrmals musste ich bei einem späteren persönlichen Treffen mit den betreffenden Personen (kommt hin und wieder auch noch vor) mich dafür verteidigen, dass ich nicht zurückgerufen habe. „Du hast nicht auf die Mailbox gesprochen, dass ich zurückrufen soll“, sage ich dann zunächst und erzeuge kühle Verständnislosigkeit. Wer spricht denn noch auf die Mailbox? Und wenn sich Person XYZ schon die Mühe macht, bei mir direkt anzurufen, sollte ein Rückruf doch das mindeste sein.

Eine Nachricht zu hinterlassen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, das muss ich noch lernen. Eröffnet aber ganz neue Freiheiten. Wie wäre es mit einem Brief, der nur aus dem Umschlag besteht? Oder Mails ohne Inhalt? Miteinander reden ohne zu reden? Die Welt würde ein großes Schweige-Retreat voller stiller Erwartungen. Und das nächste „Punktum“ könnte auch mal nur aus gewichtiger Leere bestehen. Sie können bei Bedarf dann ja anrufen und fragen, was ich schreiben wollte. Und wenn sie mich nicht erreichen, kein Problem. Sprechen Sie mir einfach nicht auf die Mailbox…


 

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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