Wille, Weg und Wecker

Foto: Markus Konvalin in Lizenz der BRmedia Service Gmbh

9 Uhr an einem ungemütlichen Samstagmorgen im Winter: Eltern, ich eingeschlossen, und ihre Kinder stehen pünktlich nach bereits einstündiger Anfahrt in der nicht weniger ungemütlichen Sporthalle. Die Kinder ziehen sich um, das Turnier beginnt. Niemand würde ernsthaft mit den Vereinen darüber diskutieren, ob solche Wettkämpfe eigentlich morgens stattfinden müssen. Ob nicht der Nachmittag oder wenigstens ein hübscher Ort besser zu den familiären Bedürfnissen passen würden. Keine Diskussion. Warum auch? Macht ja nun mal einfach Spaß. Wann und wo ist letztlich egal. Es geht um die Sache. Und für die steht man natürlich gern früh auf und fährt quer durch Franken. Wo ein Wille, da ein Weg und ein Wecker.

Eine ähnliche Entspanntheit wünsche ich mir oft, wenn es um unsere Gottesdienste geht. Deren Formen, Orte und Zeiten werden seit längerem immer wieder hinterfragt. Noch vergangene Woche riet der neue Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, Georg Lämmlin, den Gemeinden zu mehr Offenheit und Experimenten beim Gottesdienst. So könnte man auf die individualisierteren Bedürfnisse der Menschen und auch auf die Austrittszahlen reagieren. Also plakativ: Mehr Midnight-Gottesdienste, Taufen am Fluss, Andachten im Kaufhaus. Das Vielversprechende liege „im Ausprobieren“.

Die Forderung nach Flexibilität ist ihrerseits recht inflexibel, taucht sie doch in regelmäßigen Abständen seit Jahren immer wieder gleich aus den Hoffnungsträumen auf vollere Kirchen auf. Noch letzten Sommer war es die Liturgische Konferenz der EKD, die nach einer statistischen Gottesdienstanalyse forderte, gleich über die gesamte Existenz des Sonntagsgottesdienstes „engagierter und ergebnisoffener“ zu diskutieren. Er sei prozentual zu den Kirchenmitgliederzahlen schwach besucht und dann vor allem von Insidern, also Ehrenamtlichen oder Mitarbeitenden der evangelischen Kirche. (In meiner Naivität hatte ich es bislang für gar kein schlechtes Zeichen gehalten, wenn Gottesdienstbesuchende ihren Glauben auch an anderer Stelle in der Gemeinde leben – und lerne nun: Derartig engagierte Mitfeiernde sprechen sogar gegen die Relevanz des Gottesdienstes.)

Natürlich liegt in unserer Gottesdienstlandschaft vieles im Argen und brach sowieso. Natürlich geht vieles schöner und lebendiger, und natürlich macht es mehr Spaß, sich im vollen Kirchenschiff genau am „place to be“ zu wähnen. Doch – auch wenn ich den Rahmenbedingungen eine gewisse Bedeutung gar nicht abspreche und Experimente mag – halte ich sie ernsthaft für den entscheidenden Schlüssel zum Erfolg? Spült das reine „Dass“ des Ausprobierens die Menschen langfristig in den Gottesdienst? Jede als phantastische Neuerung vorgestellte andere Uhrzeit wird Fans und Enttäuschte produzieren. Jeder alternative Ort wird von manchen als hip, von anderen als unpraktisch empfunden werden.  

Drum: Machen wir mal wirklich was Wildes. Stecken wir die Energie nicht primär in Zeiten und Orte. Feiern wir anständig vorbereitete Gottesdienste und versuchen, dass man sich in ihnen so wohl fühlen kann, wie bei seinem Sportverein, auf die man sich freuen kann wie auf ein Lieblingskonzert, und von denen sich herumspricht, dass die „Insider“ so fröhlich und herzlich sind, dass man auch gern dazugehören möchte. Wo ein Wille, da ein Weg und ein Wecker.

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Stefanie Schardien

Dr. Stefanie Schardien ist Pfarrerin in Fürth seit Mai 2019 eine der Sprecherinnen des "Wort zum Sonntag".


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