Immer öfter hört man in Universitäten – und nicht nur dort – das Stichwort „Third Mission“. Und immer wieder sieht man verstohlen oder ganz offen Menschen in dem Moment, da dieses Stichwort fällt, auf dem Handy oder Laptop googlen. Denn noch längst nicht alle wissen, dass man mit diesen beiden englischen Begriffen alles beschreibt, womit sich Universitäten in die Gesellschaft einbringen. Während die klassischen beiden Missionen der Universitäten, „Lehre“ und „Forschung“, eher beschreiben, was im Raum der Universität durch Lehrende und für Studierende geschieht, soll „third mission“ anzeigen, was über diesen Raum hinaus in die Gesellschaft hinein wirkt. Und davon gab es natürlich schon zu Zeiten, als es das Stichwort „Third Mission“ noch gar nicht gab, eine ganze Menge davon. So hielt beispielsweise Alexander von Humboldt 1827/1828 in Berlin „Kosmos-Vorlesungen“ in einem Konzertsaal neben der Universität, um einem Publikum vom König bis hin zum Handwerker nichts weniger als eine Gesamtschau der wissenschaftlichen Weltsicht vorzutragen. Und an der Universität, die seit 1949 neben seinem Namen auch den seines Bruders Wilhelm trägt, gibt es natürlich schon längst Kinderuniversität für den Nachwuchs, Wissenschafts-Podcast zu aktuellen Themen wie Migration und Integration und natürlich auch wieder Kosmos-Vorlesungen in genau dem Gebäude, in dem auch die ersten Vorlesungen unter diesem Titel stattfanden.
Wenn nun „Third Mission“ zum Stichwort wird, ist aber noch mehr und anderes gemeint als diese Aktivitäten, Ergebnisse von Forschung und Angebote der Lehre in die nichtuniversitäre Öffentlichkeit zu bringen. Es geht um nichts weniger als den Versuch, Öffentlichkeit auch ein Stück mitgestalten zu lassen, worüber und wie geforscht wird. Ganz konkret. „Open science“ heißt das im zeitgemäßen Wissenschafts-Englisch und meint eigentlich nur, dass der alte Leitsatz: „Wir forschen für sie“ nun konkrete Formen annimmt. Man sieht, was gemeint ist, vorzüglich am Berliner Naturkundemuseum. Denn hier helfen naturbegeisterte Menschen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beispielsweise bei der Tierbeobachtung; sie werden dazu angeleitet und das Forschungsdesign entwickelt man dann gemeinsam. Laien und Experten agieren soweit als möglich auf Augenhöhe. Die Öffentlichkeit wird nicht mehr nur wie ein Konsument begriffen, der gleichsam essen muss, was vorgesetzt wurde, sondern wie ein Partner, mit dem man gemeinsam Formate entwickelt.
Das ist schon deswegen eine phantastische Idee, weil es inzwischen viel Mißtrauen in der Öffentlichkeit gegenüber der Wissenschaft gibt. Gemeinsam etwas zu entwickeln, baut aber Mißtrauen ab. Natürlich muss man darauf achten, dass die Freiheit der Wissenschaft nicht einer reinen Verzweckung ihres Betriebs geopfert wird, aber neben Lehre und Forschung gab es an der deutschen Universität immer noch einen zweiten, auf Wilhelm von Humboldt zurückgehenden Dual: „Einsamkeit und Freiheit“. „Third Mission“ beschreibt, dass einsam und frei agierende Wissenschaft irgendwann eben auch aus der notwendigen Einsamkeit in das bunte Gewimmel der Öffentlichkeit treten muss und Freiheit auch immer selbst gewählte Verpflichtungen einschließt.
Das alles klingt vielleicht sehr abstrakt. Ist es aber nicht. Vorige Woche hat die Humboldt-Universität in Berlin ihren langjährigen und höchst erfolgreichen Baudirektor in den Ruhestand verabschiedet. Dieser Baudirektor hatte ein Markenzeichen, mit dem er prägende Akzente im Berliner Stadtbild gesetzt hat. Nicht wenige der Universitätsbauten, die unter seiner Ägide renoviert oder neu errichtet wurden, haben große Schaufensterfronten. Ewald Schwalgin wollte mit dem Kunstgriff erreichen, dass die Öffentlichkeit die Praxis der Universität – Lehre und Forschung – beim Vorübergehen betrachten konnte und auf diese Weise klar wurde, was hinter ihren Mauern passiert. So kann man beispielsweise in beide große Vorlesungsräume der Theologischen Fakultät hineinschauen und Dozierende und Studierende bei den Lehrveranstaltungen beobachten.
Aber solche Transparenz ist noch nicht genug. Die große Schaufensterfront der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin-Mitte an der Museumsinsel erlaubt auch einen Blick in das Foyer. Jüngst forderte jemand auf Facebook, die Theologische Fakultät sollte dieses Schaufenster doch nutzen, um über ihre Arbeit mit den Passanten ins Gespräch zu kommen. „Third Mission“. Sie wird nicht nur von der Politik und der Wissenschaft gefordert, sondern auch von der Öffentlichkeit. Die Berliner Theologische Fakultät arbeitet daran und nur selten ist hinter den Schaufenstern des Foyers keine Ausstellung zu sehen, keine Informationen über spannende Themen theologischer Forschung. Und vielleicht wäre es keine schlechte Idee, auch das, was früher im Rahmen der Kirche „Mission“ hieß und heute beispielsweise „Kommunikation des Evangeliums“ genannt wird, vor dem Hintergrund der neuen Diskussion an den Universitäten noch einmal in den Blick zu nehmen. Mission 3.0 könnte man das dann nennen.
Christoph Markschies
Christoph Markschies ist Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Er lebt in Berlin.