„Judensau“ wohl bald vor Bundesgericht

Der Rechtsstreit um das Wittenberger Schmährelief wird weitergehen
Verhöhnend, verletzend: die Judensau an der Stadtkirche in Wittenberg.
Foto:epd/Norbert Neetz
Das Relief an der Wittenberger Stadtkirche.

Im Prozess um das Schmährelief an der Wittenberger Stadtkirche macht das Oberlandesgericht in Naumburg dem Kläger wenig Hoffnung. Es will aber eine Revision vor den Richtern Karlsruhe zulassen.

Die „Judensau“ genannte Schmähplastik an der Wittenberger Stadtkirche muss ersteinmal nicht abgenommen werden. Sie wird aber in naher Zukunft voraussichtlich den Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe beschäftigen. Darauf deutete die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht in Naumburg/Saale am gestrigen Dienstag hin. Dort fand die Berufungsverhandlung zwischen dem Kläger Michael Düllmann und der Stadtkirchengemeinde Wittenberg statt. Düllmann fordert die Abnahme des Reliefs von der Kirche, weil er sich als Jude von diesem beleidigt fühlt. Er war mit diesem Anliegen aber bereits vor dem Landgericht in Dessau-Roßlau gescheitert. Der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichtes in Naumburg, Volker Buchloh,  gab der Berufungsklage in seinen gestrigen Ausführungen keine großen Chancen. Er deutete aber an, eine Revision vor dem BGH zulassen zu wollen. Das Urteil soll am 4. Februar verkündet werden.

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Sandsteinrelief, das seit etwa 1305 an der Außenfassade der Stadtkirche, der einstigen Predigtstätte Martin Luthers, hängt. Es stellt ein Schwein dar, an dessen Zitzen Juden saugen. Ein Rabbiner hebt mit der Hand den Schwanz der Sau und blickt ihr in den After. Das Relief wurde um 1570 im Zuge der Neugestaltung der Kirche versetzt und mit den Worten „Rabini Schem Ha Mphoras“ versehen, ein Verweis auf Luthers judenfeindliche Schrift „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi“ aus dem Jahr 1543. Das Relief ist somit nicht nur Teil der unseligen Tradition von „Judensauen“, wie sie in etwa dreißig Kirchen im deutschsprachigen Raum zu finden sind. Es gilt auch als Ausdruck des Antijudaismus, der Luther und anderen Reformatoren zu Eigen war.

Seit 1988 setzt vor der Kirchenmauer unterhalb des Reliefs eine Bodenplatte, gestaltet vom Bildhauer Wieland Schmiedel, einen Kontrapunkt. Sie besteht aus Trittplatten, die etwas verdecken sollen, was nicht zu verdrängen ist und das aus den Fugen, die ein Kreuz ergeben, hervorquillt. Umrahmt wird das alles von einem Text des Schriftstellers Jürgen Rennert: „Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in sechs Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen.“ Zudem erläutert eine Tafel auf einer Stele den Hintergrund des Reliefs und des Mahnmals.Richter Buchloh machte klar, dass das Relief für sich genommen „eine Herabwürdigung der Juden“ darstelle. Allerdings bedürfe es der Auslegung, „ob das ganze Ensemble“, also „Judensau“, die Bodenplatte und die Stele „objektiv als Beleidigung gesehen werden kann“.  Dies sieht das Oberlandesgericht nach seinen vorläufigen Beratungen nicht so. Durch die Einbettung des Reliefs in den Kontext einer Gedenkstätte sei der Tatbestand der Beleidigung nicht mehr gegeben. Deshalb beabsichtige das Gericht, die Berufung zurückzuweisen. Allerdings weise das Interesse an dem Prozess über den Einzelfall in Wittenberg hinaus, weshalb Buchloh eine grundsätzliche Klärung durch den Bundesgerichtshof für sinnvoll erachtet.

Im Anschluss an das einleitende Statement des Richters bekamen beide Parteien nochmal Gelegenheit, ihre Positionen darzustellen. Dabei verwies die Stadtkirchengemeinde erneut darauf, dass sie die Plastik „geerbt“ habe und damit umgehen müsse. „Es gibt niemanden, der diese Plastik gut findet“, sagte Pfarrer Johannes Block. Würde sie aber abgenommen, könnte man der Gemeinde eine Verfälschung der Geschichte vorwerfen. Deshalb wolle die Kirchengemeinde „mit dem Originalstück an die Geschichte erinnern“ und die Gedenkstätte unter Beteiligung jüdischer Mitbürger weiterentwickeln. An Düllmann gewandt sagte Block: „Das, was Sie empfinden, respektieren wir. Wir fühlen dasselbe, wir sitzen in einem Boot.“

Darauf reagierte Düllmann mit heftigen Worten: „Herr Block, ich habe mit Ihnen in dieser Sache nichts gemeinsam“, betonte er. „Sind sie Pfarrer oder Denkmalschützer? Solange die Judensau an der Kirche ist, ist sie Teil der Verkündigung.“  Schon in seinem vorangegangenen Statement war Düllmann, der evangelische Theologie studiert hatte, in den 1970er-Jahren aber nach einem mehrjährigen Aufenthalt in einem israelischen Kibbuz zum Judentum konvertierte,  die Gemeindevertreter scharf angegangen: „Die Judensau macht mich zum Saujuden. Dafür mache ich Sie verantwortlich!“ Das Bodendenkmal ändere daran nichts, es verfälsche vielmehr die Shoahgeschichte. Die Juden seien nicht gestorben, sondern ermordet worden. Und es sei nicht das Kreuzeszeichen, sondern der Davidstern gewesen, den die Juden hätten tragen müssen. „Sie okkupieren Juden als christliche Märtyrer, schämen Sie sich!“

Es sei zudem ein gewaltiger Unterschied, ob das Relief an der Kirchenwand bleibe oder, wie er fordert, in einen Museum ausgestellt werde. „An der Kirche hat es eine aufhetzende Wirkung, im Museum eine aufklärerische.“ Doch an Aufklärung sei, so Düllmanns Vorwurf, die Kirchengemeinde nicht interessiert.

Nach der Verhandlung zeigte sich Düllmann nicht überrascht über die zu erwartende Abweisung der Klage. Er wertete es aber als Erfolg, dass die Revision vor dem Bundesgerichtshof zugelassen werden solle. „Der Stein, den ich ins Wasser geworfen habe, zieht weite Kreise. Es geht weiter.“ Düllmann hatte schon angekündigt, sein Anliegen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte tragen zu wollen.

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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