Die Mammonfrage

Ein Bischof beschimpft Menschen, die aus der Kirche austreten - und offenbart damit eine kirchliche Parallelwelt
Foto: Solveig Böhl

Landesbischof Friedrich Kramer hat in einem Interview ohne Not die Mammonfrage gestellt. Er sollte sie beantwortet bekommen. Die Antwort hat mehrere Teile und wird ihn vermutlich bereuen lassen, mit der Büchse der Pandora zu spielen.

Vor einigen Jahren wurde in der Kita unserer Tochter die Frage diskutiert, ob der Essensbeitrag um sieben Euro pro Monat angehoben werden sollte, um die tägliche Rohkostplatte auf Bio umstellen zu können. Auf den Fluren war die Haltung der Eltern eindeutig: die Gesundheit unserer Kinder sollte uns diese paar Euro schon wert sein! Die Kitaleitung schien die Stimmung allerdings besser einzuschätzen und bestand auf einer geheimen Abstimmung. Tatsächlich stimmten fast 40 Prozent gegen die Erhöhung. Das waren all jene, die sich an der Diskussion auf den Fluren nicht beteiligt hatten.

War diesen Eltern die Gesundheit ihrer Kinder also keine sieben Euro wert? Natürlich nicht! Deshalb bedeutete die Debatte um Biorohkost für einen erheblichen Teil der jungen Eltern auch eine doppelte Kränkung: sie wurden nicht nur an ihre eigene prekäre Situation erinnert, in der sieben Euro tatsächlich eine reale finanzielle Belastung bedeuteten – sie spürten zugleich noch den unterschwelligen Vorwurf, für ihre Kinder nicht das Beste zu wollen.

Ich musste an diese Diskussion zurückdenken, als kurz vor Weihnachten ein Interview mit der Schlagzeile „Bischof Kramer verurteilt Kirchenaustritt  aus Steuergründen“ bei katholisch.de erschien. Grundlage des Textes war ein Interview, das die Nachrichtenagentur KNA mit dem Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, geführt hatte. Worum es ging, stand über der Zeile: „Mein Glaube sollte mir etwas wert sein.“ Zwar träten Menschen auch aus Verärgerung über die Kirche aus oder weil Glaubensthemen für sie keine Relevanz mehr hätten, meinte Kramer. "Das, gravierendste ist aber die Mammon-Frage: 'Bin ich bereit, mein Geld für die Kirche zu geben? ‘“.

Übles Foul

Nun ist Mammon ein zutiefst abwertender Begriff. In der Bibel kommt er nur einmal vor – als Bezeichnung für einen Götzen (Matthäus 6,24): „Du kannst nicht Gott dienen und dem Mammon“. Bei Luther gibt es den „schnöden Mammon“. Laut Wikipedia ist er „ursprünglich ein unredlich erworbener Gewinn oder unmoralisch eingesetzter Reichtum“. Ein evangelischer Bischof denunziert Ausgetretene also als Götzendiener – natürlich nicht Face-to-Face, sondern über den medialen Umweg eines Interviews. Das hat noch einmal eine ganz andere Qualität als die reflexhaften Kommentare von Pfarrer*innen bei Facebook und Twitter, die man unter jedem Pressebericht über neue Kirchenaustrittszahlen lesen kann. Ein solches klerikales Nachtreten ist nicht nur ein übles Foul, es dürfte vor allem nicht Wenigen den letzten Anstoß geben, die immer wieder aufgeschobene Entscheidung zum Austritt nun wirklich zu vollziehen.

Wenn Landesbischof Kramer freilich ohne Not die Mammonfrage stellt, sollte er sie auch beantwortet bekommen. Die Antwort hat mehrere Teile und wird ihn vermutlich bereuen lassen, mit der Büchse der Pandora zu spielen. Reden wir also über Geld: Das jährliche Durchschnittseinkommen der Menschen im Gebiet der mitteldeutschen Landeskirche liegt mit gut 35.000,- Euro am unteren Rand des bundesdeutschen Lohnniveaus und Netto bedeutet weniger als ein Drittel dessen, was Landesbischof Kramer monatlich verdient. Laut EKD verdienen die Leitenden Geistlichen zwischen 92.600 und 129.000,- Euro im Jahr. Abzüge für Arbeits- und Rentenversicherung fallen nicht an.

Für den Alltag spielen aber noch andere Faktoren eine Rolle. Wenn der Landesbischof in Ruhestand geht, stehen ihm rund 70 Prozent seiner Bezüge als Beamtenpension zur Verfügung. Die Menschen in seiner Landeskirche müssen von ihrem Einkommen dagegen von früh an in die private Altersvorsorge investieren, um im Alter über die Runden zu kommen. Der Bischof lebt in einer geräumigen Dienstvilla, während zum Beispiel die kommunalen Wohnungsbauträger in Thüringen für die kommenden Jahre Mietsteigerungen von bis zu 50 Prozent angekündigt haben. Wenn junge Familien wachsen und eine größere Wohnung bezahlen müssen, werden die Eltern deshalb mehr als einmal über den Abrechnungen sitzen und schauen, wo sich noch ein paar Euro sparen lassen: dann konkurriert die Kirchensteuer ganz schlicht mit dem Sportverein, Fitnesscenter, Klavierunterricht, Urlaubsbudget und allen übrigen Ausgaben.

Die Entscheidung für oder gegen die Kirchenmitgliedschaft wird in dieser sehr konkreten Zuspitzung der Mammonfrage nicht unwesentlich davon abhängen, wie niedrigschwellig und einladend die Angebote für junge Familien in der real existierenden Gemeinde sind. Und deren konkreten Entscheidungen werden auch nicht dadurch diskreditiert, dass jeder Pfarrer / jede Pfarrerin natürlich irgendeinen dynamischen Gutverdiener kennt, der mit dem Kirchenaustritt einfach nur Geld sparen will.

Blick in den Abgrund

Um nicht missverstanden zu werden: Es geht mir nicht um eine Neiddiskussion. Mit dem Vorwurf des Götzendienstes gegenüber Ausgetretenen wirft Friedrich Kramer aber selbst die Frage auf, ob ihm die privilegierte Stellung als verbeamteter Bischof möglicherweise den Blick für die soziale Realität von Durchschnittsverdienern verstellt. Ich halte es übrigens für symptomatisch, dass keines der beschriebenen „Bread and Butter“-Themen wie Mieten oder Altersvorsorge im ersten Synodenbericht des Bischofs auch nur angedeutet wurden. Und auch in Predigten kommen solche Alltagssorgen nur selten als gelebte Erfahrungen aus den Gemeinden vor.

Mit der „Mammonfrage“ öffnet Kramer den Blick in den Abgrund freilich noch viel tiefer, als ihm selbst klar gewesen sein dürfte. Denn er beschimpft Menschen, die auch nach dem Kirchenaustritt weiter Monat für Monat sein Gehalt mit tragen. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland bekommt laut Haushaltplan für die Jahre 2020 und 2021 jeweils 44,2 Millionen Euro an Staatsleistungen - seit 2012 ein Anstieg um fast 10 Millionen Euro. Ausgerechnet die ärmsten Bundesländer leisten damit im Vergleich zu anderen Landeskirchen den höchsten Pro-Kopfbeitrag zum Etat.

Diese Staatsleistungen für kirchliche Leitungskräfte und Gebäude wurden vor mehr als 200 Jahren als Ausgleich für Enteignungen eingeführt und sollten laut Weimarer Reichsverfassung und Grundgesetz (Artikel140) längst abgeschafft werden. Sie sind übrigens nicht zu verwechseln mit den staatlichen Zuschüssen für soziale Aufgaben von Diakonie und kirchlicher Entwicklungsarbeit. Doch für die Umsetzung des klaren Verfassungsauftrags, die Staatsleistungen zu beenden, fehlt bis heute der politische Wille. Das könnte sich freilich ändern, wenn Bischof Kramer noch häufiger die „Mammonfrage“ öffentlich in den Raum stellt.

Was die Sache besonders ärgerlich macht: Die klerikale Polemik gegen Ausgetretene überlagert die nachdenklichen Töne, die längst aus anderen Landeskirchen kommen. So regte die hannoversche Kirchenamtspräsidentin Stephanie Springer kürzlich in einem Interview an, den Start der Kirchensteuerzahlung einfach weiter nach hinten zu legen. Und sie argumentiert genau mit den Belastungen, die junge Menschen beim Start ins Arbeitsleben oder bei der Familiengründung real erfahren.

Neue Wege

Für neue kreative Wege wirbt auch der neue Bischof der Evangelischen Kirche Berlin, Brandenburg, Schlesische Oberlausitz (EKBO), Christian Stäblein. Er schlägt Fördermitgliedschaften oder ruhende Mitgliedschaften vor, für die einige Jahre keine Kirchensteuer erhoben werden. Stäbleins Mahnung: Wenn Menschen in der "Rushhour des Lebens" für den Hausbau oder das Studium der Kinder sparen, sollte die Kirche nicht noch nachtreten und Briefe verschicken, in denen steht, was Ausgetretene alles nicht mehr dürften. Und noch deutlicher: "Vom Beschimpfen kommen die Leute nicht zurück“.

Leider sprechen auch in der EKBO Taten lauter als Worte. Ausgerechnet das sonst so reformfreudige Berliner Konsistorium hatte vor Jahren einen Gerichtsstreit gegen eine heute 66-jährige Frau begonnen, die nie einen Kontakt zur Kirche hatte. Ihre Eltern waren in der ehemaligen DDR aus der Kirche ausgetreten. Erst 2011 fand das Finanzamt in Berlin heraus, dass die Frau einst als kleines Kind in Bitterfeld getauft worden war und sie damit weiter kirchensteuerpflichtig war. Die EKBO bot zwar auf dem Kulanzweg eine Halbierung der Steuernachforderung von 1900,- Euro an, bestand aber auf dem Prinzip der andauernden Kirchenmitgliedschaft durch die Taufe. Das Gericht gab der Kirche Recht und verurteilte die Frau tatsächlich zur Zahlung. Für die Kirche ist das ein kommunikatives Desaster – ein Pyrrhussieg, der als Brandbeschleuniger für alle Ressentiments gegen die Institution Kirche wirken wird.

Kulturwandel erforderlich

Die Evangelische Kirche wird sich entscheiden müssen: Will sie die Frage der Kirchensteuer von den Realitäten der Menschen mit Durchschnittseinkommen her denken – mit all ihren konkreten Sorgen wie steigenden Mieten, Zeitverträgen und Unsicherheiten in der Altersvorsorge? Dann wird das nicht ohne einen Kulturwandel gelingen. Oder will sie aus der geschützten Parallelwelt des staatlich  subventionierten Beamtentums heraus „Alles oder Nichts“ spielen? Dann wird sie zur Gefangenen einer Dynamik, über die sie das Heft des Handelns aus der Hand gibt.

Die Suche nach einem zukunftsfähigen Modell wird nicht leicht fallen und braucht gerade deshalb eine intensive Debatte - denn sie hat mindestens sieben Dimensionen: eine ekklesiologische, politische, juristische, soziale, ökonomische und eine kommunikative – aber nicht zuletzt auch die der persönlichen Glaubwürdigkeit derer, die auf Seiten der Kirche über ehrliches Geld und schnöden Mammon reden.

In der Kita unserer Tochter wurde die Frage nach den Kosten für die Biorohkost übrigens solidarisch gelöst. Der monatliche Beitrag wurde erhöht – aber allen, die damit ein Problem hatten, wurde unbürokratisch und vertraulich von der Steigerung befreit. Ich selbst habe in der Diskussion gelernt, dass sieben Euro in unterschiedlichen Lebenslagen den Unterschied machen können – und dass das nichts mit der Frage zu tun hat, was uns unsere Kinder wert sind. Eine solche Einsicht sollte sich sehr schnell auch in der Diskussion um die „Mammonfrage“ durchsetzen.

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Foto: Solveig Böhl

Arnd Henze

Arnd Henze ist WDR-Redakteur und Theologe. Er lebt in Köln. 2019 erschien sein Buch "Kann Kirche Demokratie?". Seit 2020 gehört Henze als berufenes Mitglied der Synode der EKD an.


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