„Monster“ oder Lernort?

Eine hochkarätige Diskussion über die neu entstehende Garnisonkirche in Potsdam
Wolfgang Huber bei einer Diskussion über die Potsdamer Garnisonkirche
Philipp Gessler

In der Berliner Akademie der Künste wurde am Mittwoch bis in die Nacht leidenschaftlich und sachkundig über den umstrittenen Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche diskutiert – mit prominenten Teilnehmern.

Und dann fiel sie, die Garnisonkirche in Potsdam, mit einem riesigen Rumms! Zu hören und zu sehen auf einer Leinwand in der Berliner Akademie der Künste, direkt am Pariser Platz, an dem das Brandenburger Tor in dieser Adventsnacht festlich angestrahlt war. Es waren natürlich nur die bewegten Bilder eines Schwarz-Weiß-Films, der auf die Videoleinwand projiziert wurde. Aber Bilder haben ihre Wirkung, selbst wenn sie – wie in diesem Film – mehr als 50 Jahre alt sind. Und noch wichtiger sind vielleicht die Bilder, die man im Kopf hat. Um die ging es viel an diesem Abend in dem schicken Stahl-Glas-Beton-Bau der Akademie. Und mochte auch draußen auf dem Pariser Platz ein mächtiger Weihnachtsbaum hell strahlen. Von vorweihnachtlichem Frieden war drinnen im Plenarsaal der Akademie wenig zu spüren.

Das war auch nicht zu erwarten. Unter dem Titel „Rekonstruktion Garnisonkirche Potsdam: Lernort oder Identifikationsort?“ diskutierten nämlich führende Protagonisten und Antagonisten des Wiederaufbaus des 1968 zerstörten Gotteshauses miteinander – ein Thema, das seit fast drei Jahrzehnten die Potsdamer Bürgerschaft entzweit. Gespannt sein durfte man vor allem auf das Zusammentreffen von zwei Intellektuellen, deren Position zur Garnisonkirche unterschiedlicher kaum sein könnten: auf der einen Seite Wolfgang Huber, ehemaliger Bischof von Berlin-Brandenburg, früherer EKD-Ratsvorsitzender und Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Garnisonkirche Potsdam (SGP), die das Gotteshaus wieder errichten will, beginnend mit seinem Turm. Auf der anderen Seite der Kasseler Professor für Architekturtheorie und Entwerfen, Philipp Oswalt. Er ist der Mitinitiator eines Offenen Briefes von wichtigen Köpfen vor allem aus der Berliner und Potsdamer Kultur- und Wissenschaftsszene. In dem Appell wurde im August 2019 gefordert: Das ganze Wiederaufbau-Projekt mit einem Umfang von mindestens 40 Millionen Euro allein für die Rekonstruktion des Turms der Garnisonkirche müsse grundlegend geändert werden. Das Hauptargument des Briefes: Es fehle den Initiatoren des Wiederaufbaus an Distanz zu den militaristischen Traditionen des Ortes, der in Zukunft die ganz falschen Leute zur Garnisonkirche locken werde. Die Garnisonkirche, deren Aufbau unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten steht, oder zumindest ihr in wenigen Jahren wieder aufgerichteter Turm – bald eine Pilgerstätte von Neonazis, Militaristen und Rechtspopulisten?

Das war eine Horror-Vorstellung für alle Anwesenden, wie sich im Laufe der Diskussion deutlich zeigte – aber ein solch schwacher Konsens war bei dem doch ziemlich harten Einstieg in den Abend kaum zu erwarten. Wolfgang Huber wählte in einem kurzen Impulsreferat vor den geschätzt rund 60 Zuhörerinnen und Zuhörern noch eher distanziert-kühle Worte und referierte die schon oft gehörten Argumente, zusammen gefasst: Der „Tag von Potsdam“ zur Eröffnung des Reichstages am 21. März 1933 in und vor der Garnisonkirche, mit der die Nazis die Verbrüderung mit der alten preußischen Elite feierten, sei zwar bedrückend gewesen, und natürlich wolle man, dass diese Kirche nie mehr zu einem Identifikationsort einer Neuen Rechten werden könne. Diese antimilitaristische Ausrichtung des Projekts sei aber durch das Konzept einer dem Frieden gewidmeten Kapelle im neuen Turm der Kirche sicher gestellt. Man solle sich dort der Geschichte erinnern, Verantwortung lernen und Versöhnung leben.

Philipp Oswalt, der wegen der befürwortenden Haltung seiner Landeskirche für den Wiederaufbau des Gotteshauses aus der Kirche ausgetreten ist, sprach dagegen in seinem Einführungsimpuls von „rechtsradikalen Einschreibungen in das Projekt“ von Anfang an. Das Projekt, beginnend mit einer Millionenspende für das Vorläuferprojekt der „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e.V.“ des rechtsextremen Bundeswehroffiziers Max Klaar, habe schon immer und ziehe noch heute Rechtspopulisten wie zum Beispiel die AfD-Spitzenleute Alexander Gauland und Andreas Kalbitz an. Es gebe von Seiten der SGP keinen „klaren Strich“ und keine klare Grenze gegen diese rechten Tendenzen. Oswalt sprach von „moralischer Geldwäsche“ der Kirche. Wenn der Turm der Garnisonkirche in Zukunft tatsächlich, wie zu befürchten sei, zu einem Kultort der rechten Szene verkomme, so sei das, geschichtlich betrachtet, kein Missbrauch dieses Ortes, denn eine solche Interpretation sei in ihm angelegt. Ein „Lernort“ für den Frieden werde die Garnisonkirche beziehungsweise ihr Turm so nie werden können.

Die beiden Argumentationen standen nach den Eingangsreferaten ziemlich unverbunden nebeneinander, und auch ein anschließendes Podiumsgespräch mit anderen Fachleuten brachte zunächst keine wirkliche Annäherung. An dem Gespräch nahmen der Berliner Architekt der Garnisonkirche Thomas Albrecht, die Potsdamer Kunsthistorikerin und Lokalpolitikerin Saskia Hüneke, der Landeskonservator Brandenburg a.D. Detlef Karg und die Potsdamer Pastorin Hildegard Rugenstein teil – alles Personen, die sich zum Teil schon seit Jahren für oder gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche engagieren.

Deutlich wurde an der Diskussion, wie tief mittlerweile die Gräben zwischen den Befürwortern und Gegnern des Wiederaufbau-Projekts sind. Saskia Hüneke sagte, sie spüre „die Feindseligkeit in diesem Raum“. Hildegard Rugenstein bezeichnete den entstehenden Turm als ein „Monster“ und einen dort von Huber gefeierten Gottesdienst zu Beginn der Bauarbeiten vor zwei Jahren als eine „Veranstaltung“, die nicht wirklich ein Gottesdienst gewesen sei. Immer wieder hörte man im Publikum höhnisches Lachen, wenn ein Argument der Gegenseite zu hören war – auch gegenseitige Vorwürfe, zu lügen oder gelogen zu haben, mussten sich manche anhören.

Erstaunlicher Weise aber zeichnete sich gegen Ende der rund zweieinhalb-stündigen Diskussion auf dem Podium und mit dem meist gut informierten Publikum bei genauem Hinhören eine zarte Chance für einen Konsens ab, mit dem alle Seiten vielleicht ihren Frieden machen könnten. Huber etwa betonte, man werde in Architektur und Gestaltung des Turms die traditionellen preußisch-militärischen Bezüge ganz weit zurück drängen und die Friedensabsicht des neuen Turms um so mehr hervor heben. Außerdem werde das noch zu bauende Kirchenschiff – so es jemals genug Geld dafür gebe – ein gänzlich moderner Bau werden, der sicherlich rechte Preußen- und Militärfans nicht anlocken werde, zumal darin die Versöhnungs- und Friedensarbeit auch personell gut ausgestattet sein müsse, bis ein solches (neues) Projekt Wirklichkeit werden sollte. Das Ganze aber ist natürlich eine Wette in die Zukunft: Ob die Rechten wirklich fernbleiben werden, weil das Gotteshaus all zu sehr nach Frieden riecht, kann heute noch niemand sagen.

Der Architekt  Matthias Sauerbruch, der die Moderation des Abends übernommen und dem Streit um die Kirche eine „nationale Bedeutung“ zugesprochen hatte, dankte Podium und Publikum am Ende für die „offene und robuste Diskussion“. Für ihn sei die Debatte in der Akademie über den angestrebten „Lernort“ Garnisonkirche auch ein „Lernabend“ gewesen. Das war kein schlechtes Resümee für diese aufregenden und anregenden Stunden am Pariser Platz.

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