Seenotrettung als Chefsache

Die EKD gründet Verein und Plattform zur Seenotrettung im Mittelmeer
Pressekonferenz zum Auftakt der Spendensammlung für Rettungsschiff
Foto: epd
Start der Spendensammlung in der Hamburger Flussschifferkirche mit (v.l.n.r.): Joachim Lenz, Sprecher United4Rescue; Katharina Fegebank, zweite Bürgermeisterin von Hamburg; Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD; Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo; Michael Schwickart, Gemeinsam Retten e.V.

Nach einem knappen halben Jahr Diskussion ruft die EKD das Bündnis United4Rescue ins Leben und gründet den Trägerverein Gemeinsam Retten. Die Präsentation im Hamburger Hafen erlebt einen kämpferischen EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm.

Ein Anfang ist gemacht: Zwar gibt es noch kein Schiff, aber seit gestern ist klar, dass mit tatkräftiger Hilfe der EKD auf ein solches zugesteuert werden soll. Im stimmungsvollen Ambiente der Flussschifferkirche im Hamburger Hafen präsentierten sich das Bündnis „United4Rescue“ und der dazu gehörende Trägerverein offiziell der Presseöffentlichkeit.

Damit hat der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm ein wichtiges Ziel erreicht, hatte er sich doch das Anliegen einer Resolution des Deutschen Evangelischen Kirchentages vom Juni dieses Jahres zu Eigen gemacht. In derselben waren „die EKD und ihre Gliedkirchen“ angesichts der Aussetzung der staatlichen Seenotrettung im Mittelmeer aufgefordert worden: „Schickt selbst ein Schiff in das tödlichste Gewässer der Welt. Ein Schiff der Gemeinschaft, der Solidarität und Nächstenliebe. Ein Schiff von uns, von euch, von allen.“ Dieses Anliegen ist Bedford-Strohm auch gestern in Hamburg wichtig: „Wenn Menschen in Not sind, insbesondere in Lebensgefahr sind, dann muss geholfen werden.“ Mit auf dem Podium sitzt Leoluca Orlando, der auch als Mafiajäger berühmt gewordene Bürgermeister von Palermo hatte sich schon im Sommer als Widersacher des damaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini einen Namen gemacht. Ihn und den EKD-Ratsvorsitzenden verbindet in der Sache der Seenotrettung seit einigen Monaten eine enge Partnerschaft.

Das Bündnis United4Rescue , dem sich bereits am Tag der Gründung über fünfzig Bündnispartner anschlossen, will die Verantwortlichen in Europa in die Pflicht nehmen, das Sterben im Mittelmeer beenden und zugleich einen eigenen Beitrag zu leisten, um Menschenleben zu retten. Es macht sich die Forderungen des sogenannten Palermo Appells zu eigen, den Bedford-Strohm und Orlando bereits vor dem Dortmunder Kirchentag Anfang Juni an die Regierungsverantwortlichen der EU gerichtet hatten. Dessen Kernforderungen waren zum einen die Wiederaufnahme der staatlichen Seenotrettung, zum zweiten das sofortige Ende der Kriminalisierung aller zivilen Seenotrettungsaktivisten, zum dritten die Forderung nach fairen Asylverfahren für Menschen, die nach Europa fliehen und schließlich zum vierten, dass die vielen Kommunen Europas, die sich ausdrücklich bereiterklären, Geflüchtete aufzunehmen, von den übergeordneten Behörden auch die Genehmigung dazu erhalten.

Diakonische Gesamtstrategie

In einer temperamentvollen Rede gibt der EKD-Ratsvorsitzende in Hamburg seiner persönlichen Betroffenheit Ausdruck, die ihn in seinem Engagement leite: „Ich habe selbst mit Geretteten gesprochen und Sie können sich vorstellen, dass es einem nicht aus dem Herzen wieder herausgeht, wenn man mit einem Menschen spricht, von dem man ganz genau weiß, er wäre nicht mehr am Leben, wenn nicht die Seenotrettungsschiffe da wären und direkt helfen.“ Weiterhin fordert Bedford-Strohm energisch: „Es muss aufhören, die verschiedenen Aktivitäten gegeneinander auszuspielen, wenn also Menschen sagen, anstatt Menschen im Mittelmeer zu retten, helft doch lieber in Afrika.“ Da könne er, „nur in aller Deutlichkeit und Schärfe sagen: Ja selbstverständlich tun wir das – seit Jahrzehnten tun das die Kirchen.“ Kirchliche Initiativen berieten sogar Menschen, in ihrer Heimat zu bleiben und dort Perspektiven wahrzunehmen. Das ändere aber nichts daran, dass es genauso Aufgabe der Kirche sei, „diejenigen mit Nachdruck zu unterstützen, die jetzt dafür sorgen, dass die Menschen, die sich faktisch trotzdem auf diese gefährliche Reise begeben, dass sie nicht ertrinken, sondern gerettet werden.“ Das Engagement als Kirche in diesem Bündnis ist, so der Ratsvorsitzende, sei „Teil einer diakonischen Gesamtstrategie, die alle verschiedenen Stadien betrifft und einschließt, in denen Menschen in Not sind.“

Für ihn, so Bedford-Strohm weiter, sei völlig klar, und das sei auch von „verschiedenen wissenschaftlichen Studien“ nachgewiesen worden, dass es den „Pull-Effekt“ nicht gäbe, also jenen Effekt, dass das Vorhandensein der Seenotrettung im Mittelmeer erst die Menschen in Afrika bewege, sich auf die gefahrvolle Flucht zu begeben. Auch sei es momentan aufgrund der dort herrschenden menschenunwürdigen Verhältnisse nicht zu verantworten, schiffbrüchige Flüchtlinge nach Nordafrika zurückzubringen. Insofern sei jetzt das Handeln der Zivilgesellschaft geboten, und er freue sich, dass mit der Gründung des Bündnisses die evangelische Kirche sich sichtbar mit zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammentue. Bedford-Strohm: „Das halte ich für ein zukunftsträchtiges Vorgehen."

Wie zur Bekräftigung, dass es ihm wirklich Ernst sei, führte der EKD-Ratsvorsitzende in Bezug auf 2. Korinther 5,19 aus, dass Gott in Christus die Welt mit sich versöhnt habe. Und diese Welt sei nicht begrenzt! „Da steht ton kosmon“, spielt Bedford-Strohm auf den griechischen Urtext des Verses an: Deshalb gelte diese Versöhnungnicht nur für die Christen“, sondern müsse „der ganzen Welt zugutekommen“. Insofern sei es richtig, dass wir auch mit Menschen, die von anderen Grundorientierungen, auf aufklärerischer Basis oder aus welcher Motivation auch immer sich für diese Menschlichkeit einsetzen.“

Bedford-Strohm würdigte ausdrücklich die Debatte um die Seenotrettung, die es seit dem Kirchentag in den evangelischen Kirchen gegeben habe und erwähnte die positiven Voten sowohl der EKD-Synode wie auch seiner bayerischen Landessynode für das Vorhaben. Natürlich habe es kontroverse Meinungen gegeben, schließlich sei es „gute protestantische Diskussionskultur, dass man zu einem solchen Thema unterschiedliche Meinungen haben“ könne. Er habe aber auch vielfach erfahren, „dass, wenn man die Sache wirklich diskutiert, wenn man sich wirklich einig ist, dass die Grundorientierung, nämlich, dass wir Menschen retten müssen, wenn sie in Gefahr sind, nicht zur Disposition stehe“, dass man dann zu keinem anderen Ergebnis kommen könne, als „dieses breites Bündnis“ gründen zu wollen, um die zivile Seenotrettung zu unterstützen, solange die Politik sich vor dieser Aufgabe drücke.

Das Fazit von Hamburg: Wer bisher noch daran zweifelte, dass die aktive Beteiligung der EKD an der Seenotrettung im Mittelmeer das entscheidende Anliegen dieses Ratsvorsitzenden in den verbleibenden zwei Jahre seiner laufenden Amtsperiode ist, konnte spätestens gestern erleben, dass Bedford-Strohm es damit sehr ernst meint. Und es scheint in der Tat schwer, sich seiner Argumentation zu entziehen, denn das Versagen der staatlichen Seenotrettung schreit zum Himmel!

All diejenigen also, die immer noch aus prinzipiellen Gründen meinen, dass eine Kirche wie die EKD als Ganze nicht als eine Art „Groß-NGO“ solche zivilgesellschaftlichen Bündnisse ins Leben rufen und tatkräftig unterstützen oder gar betreiben sollte, werden es künftig schwer haben. Übrigens: Formal ist die EKD als solche gar nicht Mitglied des Bündnisses. Aber – Stand gestern – sind es bereits die große Rheinische Landeskirche, die Reformierte Kirche und die Evangelische Kirche in Oldenburg. Die anderen EKD-Gliedkirchen werden sicher schnell folgen, denn wahrscheinlich möchte keine die letzte sein…

Bisher erschienen auf www.zeitzeichen.net folgende Kommentare zum Thema:

Stephan Kosch: "Kann denn Rettung Sünde sein?"

Ulrich Körtner: "Verpeiltes Rettungsschiff"

Reinhard Mawick: "Helfen, aber richtig"

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