Ich kann nicht sagen, dass ich schon immer ein Fan von Engeln gewesen bin. Die feisten Engelsfiguren in so mancher opulenten Barockkirche waren dem nüchternen Protestanten eher suspekt. Es ist nicht einfach, sich in dem unüberschaubaren Engelskosmos, der da in unseren Vorstellungen entsteht, zurechtzufinden. Die Bibel hilft mir dabei. Meine Lieblingsengelgeschichte steht in 1. Mose 28. Jakob flieht vor seinem Bruder Esau, den er übers Ohr gehauen hat. Nachts im Traum sieht er eine Leiter auf Erden, „die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.“ Die Engel sind nicht irgendwelche Fabelwesen in einer transzendenten Welt, sondern die Engel öffnen den Himmel und bringen ihn auf die Erde. Dieses Bild fasziniert mich.
In seinem Film „Der Himmel über Berlin“ hat Wim Wenders davon erzählt, wie die Engel hinunter in die große Stadt kommen. In die Wohnzimmer schauen sie, die Engel, und fühlen sich in die Menschen ein. In den Bibliotheken sitzen sie neben den Studierenden und geben ihnen gute Gedanken. Sie helfen den Menschen, aber sie selbst schweben immer über dem wirklichen Leben. Da passiert es. Einer der Engel verliebt sich. Er verstrickt sich in die menschliche Welt der Leidenschaften, er kommt ihr zu nahe, der Welt von Freude und Trauer. Seine Liebe endet tragisch, aber nicht einen Moment des Eintauchens in die wirkliche Welt möchte der Engel missen.
In der Welt der Bibel sind die Engel immer Botschafter Gottes und seines Eintauchens in die Alltagswelt. Sie begegnen den Menschen in den meisten Fällen nicht in heiligen Räumen. Schauplätze der biblischen Engelsgeschichten sind viel öfter Acker, Schafherde, Straße, Kammer oder Arbeitsplatz. Genauso ist es mit der Botschaft, die sie überbringen: Sie spricht mitten ins Leben und verändert es. Es ist ein Engel, der Maria, der Zimmermannsfrau, hilft, das Ungeheure zu verstehen, was da passieren soll: Sie soll den Messias zur Welt bringen! Von Anfang an sind die Engel also keine „Konkurrenten“ Jesu, sondern Botschafter und Verstehenshelfer des Heils, das sich in ihm zeigt. Maria jedenfalls versteht genau, was der Engel gesagt hat. Auf die Idee, den Engel selbst zu verehren, kommt sie nicht. Sondern sie antwortet mit ihrem berühmten Loblied über Gott und seine Kraft, die das Leben verändert, die die Mächtigen vom Thron stößt. Gott erhöht die Geringen, er lässt die Barmherzigkeit walten und hilft denen auf, die am Boden sind.
Die Engel führen uns nicht aus der Welt heraus, sondern in die Welt hinein. Engel können helfen, Gottes Liebe und Fürsorge im Alltag zu erfahren: „Gott hat seinen Engeln befohlen, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen...“ Und sie können unseren Blick schärfen und unsere eigene Liebe und Fürsorge wachrufen: „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ (Hebräer 13,2).
Dass die Freudenbotschaft Gottes wie bei der Geburt Jesu auch sinnlich erfassbare Botschafter hat, ist schon gut. Und wenn einer zu Hause als stiller Botschafter an der Wand hängt oder auf dem Nachttisch steht, ist es auch gut. Doch, ich mag sie, die Engel.
Heinrich Bedford-Strohm
Heinrich Bedford-Strohm ist Landesbischof in München, EKD-Ratsvorsitzender und Herausgeber von zeitzeichen.