Wörterschlacht um den Frieden

Die EKD-Synode tut sich bei ihrem Schwerpunktthema schwer
Foto: Rolf Zöllner

Auf der EKD-Synode in Dresden wird um das Thema Frieden gerungen. Ein zwei Jahre lang aufwändig erarbeiteter Entwurf für eine Kundgebung zum Thema finden manche Synodale kaum gelungen, auch wenn das wenige so deutlich sagen. Umstritten ist unter anderem die Frage, ob Atomwaffen so wie chemische Waffen grundsätzlich geächtet werden sollten.

Matthias Rogg, geboren 1963 im niedersächsischen Wittmund, ist eine schillernde Gestalt. Der Bundeswehroffizier hat über das Bild des Soldaten im 16. Jahrhundert eine prämierte Dissertation geschrieben, leitete einige Jahre das Militärhistorische Museums der Bundeswehr in Dresden und arbeitet seit zwei Jahren an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Daneben ist er Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der dortigen Bundeswehr-Universität – und zusätzlich Mitglied der derzeitigen Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).  Und in dieser Funktion ließ er am Dienstagnachmittag auf der Sitzung des Kirchenparlaments in Dresden eine – hier passt das Bild – Bombe platzen: Der Oberst forderte vor den 120 Synodalen, den Kundgebungsentwurf zum Schwerpunkt-Thema „Frieden“ auf der Kirchenversammlung grundlegend zu überarbeiten. Auf Deutsch: in die Tonne mit dem Papier!

Nun kann man jedes Papier überarbeiten und verbessern, auch grundlegend. Aber an diesem Entwurf haben mehrere Evangelische Akademien, elf Landeskirchen und fast alle Friedens-Fachleute im Raum der EKD zwei Jahre lang intensiv gearbeitet – so lange wie noch an keiner anderen Kundgebung in der viele Jahrzehnte alten Geschichte der EKD-Synoden. Die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) hat zur Vorbereitung des Schwerpunkt-Themas der Synode „Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“ nicht weniger als zwanzig Bände zu Fragen der Friedens-Problematik heraus gegeben. Und das soll nun nach dem Willen von Oberst Rogg, der in Uniform vor den Synodalen stand, alles noch mal grundlegend überarbeitet werden?

Danach sieht es auf den ersten Blick nicht aus – denn der Kundgebungsentwurf wurde von den Synodalen erst einmal nur an den Themenausschuss verwiesen, der bis Mittwochmittag oder -nachmittag einen neuen Kundgebungsentwurf erarbeiten muss, der dann im besten Fall von den Mitgliedern des Kirchenparlaments abgenickt wird.  Um diese Aufgabe, wenn sie denn überhaupt zu schaffen ist, ist das Redaktionsgremium nicht zu beneiden. Denn die Synodalen übten teilweise massive Kritik an dem Kundgebungsentwurf. Und hinter der höflichen Sprache, die üblicherweise auf Synoden gepflegt wird, war in Zwischentönen ein oft grundsätzlicher Zwiespalt untereinander heraus zu hören.

Oft um Frieden gefetzt

Das hat übrigens Tradition. So wie man sich zu Zeiten des NATO-Doppelbeschlusses Anfang der Achtziger Jahre in der alten Bundesrepublik und in den Neunziger Jahren zur Frage der Militärseelsorge in den der EKD beitretenden Kirchen Ostdeutschlands gefetzt hat, ging es auf Tagungen der Synoden meistens rund, wenn es um das Friedensthema ging. Aber die große EKD-Denkschrift von 2007 „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ hat dann doch zur Befriedung auch der evangelischen Kirche in Deutschland in der Friedensfrage beigetragen. In der Denkschrift hatte sich die EKD klar für den Vorrang gewaltfreier, ziviler Instrumente der Konfliktbearbeitung ausgesprochen. Unter dem Leitbild eines „Gerechten Friedens“ (im Gegensatz zur alten Lehre vom „Gerechten Krieg“) wurde der Einsatz militärischer Mittel ausschließlich als „rechtserhaltende Gewalt“, als ultima ratio, akzeptiert, und das nach sehr engen und strengen Kritierien. Der Friedensbeauftragter des Rates der EKD, Renke Brehms, sagte auf der Synode der EKD in Dresden, das Leitbild der zwölf Jahre alten Denkschrift vom „Gerechten Frieden“ habe sich bewährt.

Seitdem ist aber viel Wasser die Elbe hinab geflossen – und es gibt ganz neue Gefährdungen des Friedens in der Welt: Der Klimawandel, der in der Denkschrift von 2007 als Konfliktursache kaum vorkommt, ist immer deutlicher geworden. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Folgen des Klimawandels tatsächlich die Zahl der Konflikte in der Welt ansteigen lässt, wie Kira Vinke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), die zugleich im Beirat zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung sitzt, auf der Synode eindrucksvoll darstellte. Auch die Gefahren für den Frieden in aller Welt etwa durch die Automatisierung des Krieges (Beispiel: Drohnen) und neue Formen der digitalen Kriegsführung im Cyberraum waren angesichts des mehr als zweifelhaften „Fortschritts“ bei diesen modernen Waffen in der alten Denkschrift noch nicht so offensichtlich wie heutzutage.

Viel Expertise, viele Kompromisse

Die geplante Kundgebung der Dresdner Synode sollte das auffangen – und man sieht dem sechseinhalbseitigen Papier an, dass darin viel Expertise, aber auch viele Kompromisse Eingang gefunden haben. Das mag nicht zuletzt darin liegen, dass die Kundgebung neben dem äußeren Frieden auch dem inneren, also gesellschaftlichen Frieden viel Platz einräumt. Und wer wollte bestreiten, dass beides am Ende zusammen hängt? Nur macht es die Fülle an unfriedlichen Situationen in aller Welt und in der deutschen Gesellschaft ziemlich schwer, daraus einen knackigen Text zu formulieren, der auch außerhalb der Kirche noch für Aufmerksamkeit sorgen könnte. Überschriften nach dem Motto, die EKD ist für inneren und äußeren Frieden, dürften nicht wahnsinnig viele Menschen in Deutschland vom Hocker reißen.

Immerhin, Oberst Rogg ist es zu verdanken, dass die Synode nun vor klaren Alternativen steht. Der Bundeswehr-Offizier sprach sich etwa dafür aus, das im Kundgebungsentwurf empfohlene Verbot von autonomen Waffensystemen nicht zu unterstützen, da die Bundeswehr diese System in bestimmten Situationen noch brauchen könne, vor allem offenbar zum Selbstschutz. Auch die völkerrechtliche Ächtung von Atomwaffen (Stichwort: „global zero“) sei nicht anzuraten, denn: „Wäre die Welt ohne Atomwaffen wirklich sicherer?“, fragte Rogg. Ebenso hätten die Fälle des Völkermords in Ruanda vor 25 Jahren und der Kampf gegen die Terrormiliz IS in Syrien gezeigt, dass man sich von der auch militärischen Schutzpflicht („responsibility to protect“) für bedrohte Menschengruppen nicht verabschieden dürfe.

Es war der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford- Strohm, der Rogg höflich, aber deutlich in vielen Punkten widersprach. So plädierte der bayerische Landesbischof etwa dafür, dass sich die Kirche für einen Beitritt der Bundesrepublik zum Atomwaffenverbotsvertrag ausspricht – schon 122 Staaten haben ihn unterschrieben. Die weltweit immer noch rund 16.000 Atom-Sprengköpfe müssten perspektivisch reduziert werden, so wie es gelungen sei, die Zahl der Chemie-Waffen durch ihre Ächtung über Jahrzehnte massiv zu verringern. Andere Synodale sparten nicht mit Kritik am Kundgebungsentwurf. Sie kritisierten unter anderem, dass es dem Entwurf noch an theologischer Tiefe fehle, dass er insgesamt zu lang sei oder sich passagenweise in militärischen Einzelheiten verliere, die zu beurteilen nicht Aufgabe der Kirche sei.

So wird der Entwurf der Kundgebung zum Frieden in Dresden in den kommenden Stunden wohl noch massiv redigiert und verändert werden. Ob es dabei gelingt, die ziemlich widerstreitenden Wünsche an die Kundgebung bis Mittwoch harmonisch zu kombinieren und einen lesbaren und bestenfalls aufrüttelnden Text zu verfassen – das wird man sehen. Klar ist nur: Sollte es gelingen, werden die Synodalen, denen das glückt, als die wahren Heldinnen und Helden die Wörterschlacht an der Elbe verlassen.

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