Lieber vom Leben gezeichnet

DDR-Kunst in Düsseldorf
Foto: bpk © Erbengemeinschaft Wilhelm Lachnit
Foto: bpk © Erbengemeinschaft Wilhelm Lachnit
Wilhelm Lachnit: „Gliederpuppe“ 1948.

Eine Erkenntnis des Zwanzigsten Jahrhunderts: Das Utopische lässt sich nicht herbeizwingen, schon gar nicht in und mit der Kunst. Ein Ausstellungsrundgang im Düsseldorfer Kunstpalast mit dem ehemaligen zeitzeichen-Chefredakteur Helmut Kremers.

Verlorene Illusionen“ lautet der Titel eines Gemäldes von Elisabeth Voigt: eine Frau, flüchtig kostümiert für eine Feier, in den Händen eine Seifenwasserschale und die Tonpfeife, mit der sie die noch schwebenden Seifenblasen in den Raum gepustet hat. Der Titel und das Gesicht der Frau entsprechen einander.

Das Bild stammt aus den Jahren von 1946/47, die Malerin, Elisabeth Voigt (1893–1977), ehemalige Kollwitz-Schülerin, hatte eine Karriere in Nazi-Deutschland hinter und eine in der DDR vor sich. Von der aber verabschiedete sie sich 1958 und lebte fortan unbeirrbar zurückgezogen. Ein ziemlich deutsches Schicksal also.

„Es läßt sich gröber und genauer nicht sagen: In der DDR wird deutscher gemalt.“ – Günter Grass schrieb’s, für den Katalog der westdeutschen Ausstellungsreihe „Zeitvergleich“, 1983 in Düsseldorf gezeigt. Weiter heißt es bei ihm: „Dieser Staat und seine Bürger tragen sichtbar schwerer und ausfluchtloser an der deutschen Vergangenheit.“

Ausfluchtloser, ja. Aber ob die Bürger nicht doch schwerer an ihrer Gegenwart trugen? Nicht nur viele Künstler hatten sich angepasst und passten sich wieder an, von Glück konnte schon sagen, wer nicht üble Taten zu verbergen hatte.

Die Künste und die Künstler in der DDR hatten auftragsgemäß dem Sozialismus zu dienen. Die formalistische Vorgabe hieß „Sozialistischer Realismus“. Wie der auszusehen hatte, bestimmten nicht die Künstler, sondern die Partei.

Glückverheißend-Utopisches

Auf Bernhard Heisigs (1925–2011) Gemälde „Brigadier II“ (1968/70/79) lächelt ein Arbeiter optimistisch den Betrachter an, den Daumen der Linken erhoben. Doch diese wahrhaft proletarisch wirkende Gestalt hatte schon einen langen Weg hinter sich, ehe sie halbwegs Gnade vor den Augen der Partei gefunden hatte: Sie entstammte ursprünglich einem sehr viel größeren Gemälde, das allerdings hart kritisiert wurde – zu expressionistisch! –, und so malte Heisig den Brigadier aus diesem Gemälde noch mal einzeln und übermalte ihn bis 1979 mehrfach.

Allzu realistisch sollte der „Sozialistische Realismus“ ja nicht ausfallen, es galt, vorzugsweise glückliche sozialistische Menschen zu zeigen, ersatzweise auch Glückverheißend-Utopisches.

Auch die Künste im Westen dienten, nämlich dem „Kunstmarkt“ und den zumindest verbal strapazierten Idealen westlicher Freiheit, gern angereichert mit Schutz-Epitheta gegen den Verdacht verabscheuter Bürgerlichkeitsnähe, wie „revolutionär“, „provozierend“, „verstörend“ – also solchen, die niemandem den Schlaf raubten.

Auch im Westen trug man Sorge, den Eisernen Vorhang nicht allzu durchlässig werden zu lassen. 1977 wurden zum ersten und letzten Mal Künstler aus der DDR zur Documenta in Kassel eingeladen. Zwei arrivierte westdeutsche Künstler, Markus Lüpertz und Georg Baselitz, beide früh aus der DDR gekommen, protestierten gegen die ausgestellten „Vertreter traditioneller deutscher Intoleranz“.

Die Documenta-Einladung an DDR-Künstler sollte sich nicht wiederholen, doch immerhin begann der begeisterte westdeutsche Schokoladen-Fabrikant und Kunstsammler Peter Ludwig Kunst von Künstlern aus der DDR zu sammeln, er gründete sogar ein entsprechendes Museum, in Oberhausen.

Auf dem Katalog zur Ausstellung ist Wolfgang Mattheuers (1927–2004): „Die Flucht des Sisyphos“ (1972) zu sehen: Der wieder einmal herabrollende Stein droht den Fliehenden zu zermalmen. (Dessen Sprung erinnert im Gestus an das berühmte Foto des fliehenden Vopos, der seine MP wegwirft, aufgenommen während des Mauerbaus). Der Sisyphos im Bild überspringt eine eiserne Schiene, als wär’s eine Demarkationslinie, unten im Tal eine – heimatliche, blühende? – Landschaft. Im Hintergrund ein Mann, der sich eine Maske vor das Gesicht hält. – Im Ausstellungsraum steht eine lebensgroße Bronzefigur: Da ist er wieder, dieser rätselhafte Zeuge, man kann um ihn herumgehen, ihn genau betrachten. Die Maske ist eine Art Schafsmaske, der Mann hält sie seitwärts an den Kopf, er kaschiert, dass er sich abwendet, ein Selbstporträt Mattheuers mit bitterer oder gar verbitterter Miene, seine rechte Hand ist zur Faust geballt, nicht zu einer frohgemut-sozialistischen, sondern zu einer der äußersten Beherrschung („Gesichtzeigen“, 1981).

Die alte Streitfrage lautet: Gedeiht die Kunst besser (oder nur) unter freiheitlich-permissiven Bedingungen oder unter einem repressiven Regime, das zum nicht ungefährlichen Widerspruch reizt? Auf der einen Seite droht pompös-posierende Beliebigkeit, auf der anderen servile Anpassung oder die Flucht ins misszuverstehende Rätsel. Nebenbei bemerkt: Die Auffassung, Kunst könne nur in freiheitlichen Gesellschaften bestehen, klingt angesichts der Kunstgeschichte eher unsinnig.

Für die Sowjetunion war die kleine DDR, Satellit an der Peripherie ihres Imperiums, Sorgenkind und Musterknabe zugleich – für jene doppelte Verpflichtung, alles richtig zu machen in den Augen des Großen Bruders. Mit der Kunst und den Künstlern erwies sich das als schwierig, ein Sack Flöhe: Wenn alles auf Linie gebracht zu sein schien, brach wieder irgendjemand aus.

Schon Wilhelm Lachnitz’ (1899–1962) „Gliederpuppe“ (1948) war eine Art vergiftetes Geschenk an die noch gar nicht existierende DDR: Sie, an einem kleinen Stillebentisch sitzend, erweckt irgendwie den Argwohn, keine Puppe, sondern ein Mensch zu sein, der vortäuscht, so klaglos zu funktionieren wie eine dienstbare Puppe. So einer wie Lachnit stieß natürlich von allem Anfang an im realexistierenden Sozialismus auf Misstrauen, auch wenn er schon in den Zwanzigerjahren Kommunist und erfolgreicher (und großartiger) Maler war.

In Westdeutschland dominierte nach dem Zweiten Weltkrieg die abstrakte Kunst, sie allein schien zu garantieren, nicht von totalitären Formvorstellungen infiziert zu werden – doch war die deutsche „Wende“ nur ein vorübergehender Schock für den westdeutschen Kunstbetrieb, denn bald erwies sich, was „von drüben“ kam, als Pervitin gegen zunehmende Ermattungen.

In Düsseldorf werden überwiegend Künstler gezeigt, die in der DDR zumindest angeeckt sind, wenn sie nicht, wie Hermann Glöckner (der nie von seiner abstrakten Malweise lassen wollte, 1889–1987) lange ignoriert oder wie A. R. Penck (1939–2017) ausgesiedelt (1980, später Kunstprofessor in Düsseldorf,), wie Cornelia Schleime weggeekelt oder, wie Michael Morgner (geboren 1942), nur stasiüberwacht wurden.

Lieferte Penck mit seinem „Übergang“ (1963) „eine Ikone des Kalten Krieges“ (so Steffen Krautzig im Katalog), so schuf „der Mann am anderen Ende“ eher Ikonen des unbeirrbaren Verharrens: Willi Sitte (1921–2013), Großmeister von altmeisterlichem Können, aber auch der Luzifer der DDR-Malerei, der, in den ersten Jahren der DDR noch kritisiert, sich schließlich 1963 entschlossen zur offiziellen Kunstlinie bekannte und anschließend zum mächtigen Kulturfunktionär avancierte. Sein Oeuvre: beeindruckend. Seine wuchtigen nackten Gestalten – „Schlafendes Paar“, 1963, „Drei Akte mit Früchten“, 1967, „Nach der Schicht im Salzbergwerk“ – widersprechen krass gegenwärtiger in jedem Sinne glattrasierter Körperästhetik, entsprachen aber vielleicht auch nicht den FKK-gewohnten Augen der DDR-Bürger: „Lieber vom Leben gezeichnet als von Sitte gemalt.“ So ein unter ihnen kolportierter Spruch.

Wenn schon vom Altmeisterlichen die Rede ist, muss auch Werner Tübke (1929–2004) genannt werden. Ein gewaltiger Rundbau birgt sein riesiges Bauernkrieg-Fresko („Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, gemalt 1979–1987), in Frankenhausen, wo 1525 ein von dem „Propheten“ Thomas Müntzer enthusiasmiertes Bauernheer abgeschlachtet wurde. So manchen DDR-Bürger soll das grandiose Panorama kalt gelassen haben: zu bilderbüchlich-glatt, so das Urteil, zu viel Undeutbares für den Nichthistoriker, den Nichttheologen. Auch die Kulturfunktionäre waren nicht begeistert, sie hätten es lieber gesehen, wenn Tübke das Geschehen von Anno dunnemals zu einer plakativen sozialistischen Botschaft genutzt hätte, schließlich war für sie Müntzer ein Vorreiter des Klassenkampfs.

Sonderfall Schleime

Cornelia Schleime (geboren 1953) ist neben Angela Hampel die Jüngste der Ausgestellten Sie ist insofern ein Sonderfall, als der größte Teil ihres Werkes erst im Westen entstanden ist: Sie reiste nach dreijährigem Berufsverbot 1984 aus, der größte Teil ihres Frühwerks ging verloren, einen Teil davon hat sie im Westen noch einmal gemalt.

Nach 1989 nahm sie Einblick in die sie betreffenden Stasiakten und sah sich mit „piefigen Blockwartsberichten“ (ihr Ausdruck) konfrontiert. Einen Teil davon verarbeitete sie zu kleinen Kunstwerken, indem sie einige kopierte Stasi-Blätter samt ihren Einträgen mit Fotos von sich kombinierte. Auf dem Aktenblatt, auf dem es heißt: „Einen Freund hat man im Haus noch nicht gesehen“ räkelt sie sich in lasziver Attitude auf dem Bett, während sie ein Tastentelefon mit einer Zehe zu bedienen scheint. Ironisch bedankt sie sich bei den Mitarbeitern der Stasi: „Diese Arbeit konnte nur mit Hilfe des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und dessen zahlreichen Helfern realisiert werden, die in mühevoller Kleinarbeit zu den Texten beitrugen. Denen gilt mein Dank.“

Ihr großes Gemälde: „Der Osten ist grau, der Westen hat auch etwas Farbe“ (1986) ist ein Rätselstück. Eine rote Linie trennt das Oben und Unten, das Oben kann man als Himmel interpretieren, den unteren, breiteren irdischen Teil trennt eine hauchfeine Linie – in West und Ost?

Cornelia Schleime schätzt ganz besonders das Werk von Carlfriedrich Claus (1930–98), gewiss einer der skrupulösesten und schwierigsten der ausgestellten Malerinnen und Maler. Keine Farbe, unendlich akribische Schrift- und Text-Kritzeleien, die es alles andere als leicht machen, hier zu deuten oder zu werten – die Bildtitel, die (ironisch?) klare Interpretationsrichtungen vortäuschen, machen die Sache nicht leichter: „Vor-Wort, oder: Embryonalstadium eines utopischen Satzes“. Kein Wunder, dass er von der Stasi verdächtigt wurde, ein verkappter Westspion zu sein.

Claus’ enigmatisches Werk ist gewissermaßen das Gegenteil von dem der ebenfalls vertretenen Angela Hampel (geboren 1956), deren eher eindeutige Botschaften den Betrachter nicht in Grübelabgründe stürzen, so etwa eine Judith (1985); sie entbehrt (ostentativ, meint April A. Eisman im Katalog) der weiblichen Attribute, die lüsterne Männerblicke auf sich ziehen könnten.

Ein Maler, der schon früh im Westen anerkannt war, ist Gerhard Altenbourg. Er nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als er zu jeder Zeit bewusst alle staatlichen Kunstanforderungen ignoriert hat – und auch wegen seiner spirituell-philosophischen Neigungen, die sich etwa in dem wie völlig verblasst wirkenden Blatt „Oben im Schweigen“ (1981) zeigt.

Die Reihe der deutschen Maler, die in der DDR gelernt haben und heute international angesehen sind, ist ansehnlich. Angesichts ihrer lässt sich über die Frage, ob Kunst nicht zumindest wesentlich von der Spannung zwischen Anpassungsbereitschaft und Widerspruchszwang kommt, noch einmal nachdenken.

War die Kunst der DDR also Kunst? Heute, mit Abstand von drei Jahrzehnten, klingt die Frage obsolet. Die Moral von der Geschicht: Man muss keine Kunstmetaphysik und kein l’art pour l’art bemühen, um zu behaupten, dass sich die Kunst so oder so behauptet, selbst gegen den Leviathan totalitärer Politik. Und wenn nötig, auch gegen peinliche Selbstinterpretationen der Künstler. Nachzuprüfen in der Düsseldorfer Ausstellung. Es lohnt sich.

Information

Die Ausstellung „Utopie und Untergang. Kunst in der DDR“ ist bis zum 5. Januar im Kunstpalast Düsseldorf zu sehen.

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