pro und contra

Wehrpflicht wieder einführen?

pro und contra
Sigurd Rink
Foto: epd
Margot Käßmann
Foto: epd

Seit 2011 ist die Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland ausgesetzt. Doch mittlerweile wird dieser Schritt kritisch gesehen, weil die Bundeswehr wegen der abnehmenden sozialen Heterogenität in der Truppe immer weniger einen Spiegel der Gesellschaft darstellt. Soll die Wehrpflicht wieder eingeführt werden? Der evangelische Militärbischof Sigurd Rink ist grundsätzlich dafür, Margot Käßmann, Landesbischöfin a. D., hält dagegen.

Staatsbürgerliche Verantwortung

Die Folgen der faktisch abgeschafften Wehrpflicht sind kritisch zu bewerten

 

Die soziale Kontrolle der Bundeswehr erodiert. Eine allgemeine Dienstpflicht könnte die richtige Lösung sein.

Für Frieden müssen sich alle Menschen einsetzen. Sicherheit und friedliche Entwicklung gibt es nicht umsonst. Nötig ist dazu ein realistischer Blick auf die komplexen Verhältnisse in der Welt. Für mich gibt die Friedensdenkschrift der ekd „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ von 2007 noch immer ein hell leuchtendes Beispiel, auch wenn mancher Aspekt heute ergänzt oder vertieft werden sollte. Die EKD hat damals deutlich festgestellt, dass als „ultima ratio“ auch der Einsatz militärischer Mittel gerechtfertigt sein kann. Krieg ist jedoch nie „gerecht“. Sich aus Konflikten herauszuhalten, kann aber unter bestimmten Bedingungen das größere Übel sein. Was Soldatinnen und Soldaten leisten können, wird allein niemals ausreichen, um gedeihliche Zustände zu schaffen. Doch durch militärisches Handeln können geschützte Räume entstehen, in denen ziviler Aufbau möglich wird. In solcher Vernetzung sollen auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr dem globalen Frieden dienen: Das liegt im wohlverstandenen Interesse unseres Landes. Dass Schutz und Verteidigung des eigenen Landes Bürgerpflicht ist, kam im Gefolge der Französischen Revolution 1789 ans Licht: Der souveräne Bürger soll sich für sein Land aktiv einsetzen. Schon während des Kalten Krieges war die Allgemeine Wehrpflicht in der Bundesrepublik umstritten, doch akzeptierte damals die Mehrheit der Bevölkerung den grundlegenden Auftrag der Bundeswehr. Nach 1990 wurde das anders. 2011, als mit einer schrumpfenden Bundeswehr längst die „Wehrgerechtigkeit“ nicht mehr gegeben war, wurde die Wehrpflicht ausgesetzt, abgeschafft wurde sie jedoch nicht. In der Tat braucht eine moderne Einsatzarmee keine Massen an „Fußvolk“, sondern hochqualifizierte Spezialisten. Würden plötzlich wieder ganze Jahrgänge eingezogen, müssten unsere Streitkräfte strukturell erneut umgebaut werden. Die Folgen der faktisch abgeschafften Wehrpflicht muss ich allerdings kritisch bewerten, und das nicht nur, weil sich zu wenige junge Bürger freiwillig zur Bundeswehr melden. Die Bundeswehr mit ihren Bedürfnissen verschwindet nach und nach aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. Mängel in Ausstattung und Ausbildung werden zwar wahrgenommen, ein politischer Druck zur Besserung ist jedoch kaum auszumachen. Das gefährdet letztlich Menschenleben. Und umgekehrt erodiert die soziale Kontrolle der Bundeswehr: Als noch viele Familien mit einem wehrpflichtigen Sohn interne Einblicke hatten, blieben Missstände kaum verborgen. Das Land interessierte sich für seine Armee. In mehreren demokratischen Ländern wird derzeit über eine allgemeine Dienstpflicht für junge Menschen nachgedacht, so in Frankreich. Schweden hat kürzlich die Wehrpflicht wieder eingeführt, allerdings mit anderen Konditionen als früher. Prinzipiell erscheint mir die Wahlmöglichkeit zwischen einem verpflichtenden Dienst im karitativ Sozialen, in der Entwicklungszusammenarbeit oder als Wehrdienst im nationalen oder gar europäischen Rahmen eine richtige Lösung. Ich folge damit dem kommunitaristischen Ansatz des amerikanischen Moralphilosophen Michael Sandel. Es gilt, bei jungen Erwachsenen das Bewusstsein für die eigene staatsbürgerliche Verantwortung zu stärken, und ich wünschte mir, in den Schulen würde über globale Probleme und unsere Verantwortung kontrovers und mit vielen Argumenten diskutiert, damit kritische junge Bürger sich eine Meinung bilden und persönliches Engagement entwickeln können. Jugendoffiziere und Vertreter kirchlicher Friedensinitiativen, Fachleute für zivile Entwicklungszusammenarbeit, ngos – sie alle sollten gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern diskutieren. Unser Land braucht eine breite und offene Debatte über die Verantwortung jedes Einzelnen für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung.


 

Keine Legitimation von Gewalt

Auch eine allgemeine Dienstpflicht kann Wehrpflicht nicht begründen

Kein Mensch darf dazu verpflichtet werden, den „Dienst an der Waffe“ zu lernen.

Die Wehrpflicht ist nicht abgeschafft, sondern ausgesetzt. Und ich bin glasklar dagegen, sie wieder einzusetzen. Denn ich bin zutiefst überzeugt, dass kein Mensch dazu verpflichtet werden darf, den „Dienst an der Waffe“ zu lernen. Das kann keine Pflicht sein! Diesen Dienst zu verweigern ist für mich als Bürgerin ein Menschenrecht und als Christin eine Glaubens- und Überzeugungsfrage.

Ich akzeptiere, wenn Christen sich bewusst dafür entscheiden, Soldat oder Soldatin zu sein. Schon Martin Luther hat dem Ritter Assa von Cramm bestätigt, dass auch „Kriegsleute“ von „christlichem Stande“ sein können.

Wer aber die Wehrpflicht ablehnt, ist nicht Gegnerin von Soldatinnen und Soldaten, das wird allzuoft unterstellt. Für mich ist Kriegsdienstverweigerung schlicht das für Christen „deutlichere“ Zeugnis. Ich kann aus den Evangelien keine Legitimation von Gewalt ableiten. Pazifismus ist tief im Neuen Testament angelegt.

Kriegsdienstverweigerung galt lange als Fahnenflucht oder Landesverrat, wurde mit Gefängnisstrafen geahndet, in der Zeit des Nationalsozialismus als Wehrkraftzersetzung sogar mit der Todesstrafe. Gott sei Dank wurde sie mit der Verfassung von 1949 in der Bundesrepublik als Grundrecht im Grundgesetz verankert. Mit der Einführung der Wehrpflicht war es ab 1956 trotzdem schwer, den Dienst an der Waffe zu verweigern. Junge Männer, die sich dazu entschieden haben, wurden als „Weicheier“ oder „Vaterlandsverräter“ verunglimpft, die Befragung des Gewissens war teilweise inakzeptabel. Es wurden Beratungsstellen gegründet, die junge Männer darauf vorbereiteten. Als Präsidentin der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer (KDV) habe ich immer wieder Fälle gesehen, in denen die Frage von Einberufung oder Anerkennung fast als Roulette-Spiel daherkam: Hast Du halt Glück oder Pech.

In der DDR gab es überhaupt kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Nur ein waffenloser Bausoldatendienst innerhalb der Nationalen Volksarmee war möglich. Viele Christen sind diesen Weg gegangen und haben dafür zum Teil heftige berufliche Nachteile in Kauf genommen.

Ein wichtiges Argument ist zudem, dass schon lange keine Wehrgerechtigkeit mehr existierte, als die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. Es gab am Ende pro Jahrgang mehr Zivildienstleistende als Wehrdienstleistende. Absurderweise wurde mit dem Argument, die Zivildienstleistenden zu brauchen, für die Wehrpflicht geworben. Im ersten Halbjahr 2007 wurden nur noch 53,8 Prozent aller Gemusterten für diensttauglich erklärt, 46,2 Prozent mussten oder durften aus medizinischen Gründen weder Wehr- noch Zivildienst leisten. Die Begründungen wurden immer absurder, schon Karies reichte als Diagnose aus, einen Mann als wehruntauglich einzustufen. Die Bundeswehr brauchte nicht so viele Rekruten. Das zeigt, wie willkürlich Wehrpflicht gehandhabt werden kann.

Auch eine allgemeine Dienstpflicht kann Wehrpflicht nicht begründen. Da würde ein Bürokratiemonster aufgebaut in Sachen Erfassung, Zuteilung, Überprüfung – schon für den Zivildienst war das so. Es gibt schon jetzt mehr junge Leute, die gern ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren würden als Plätze dafür! Denn welches Altenheim hätte gern für mehrere Monate einen Jugendlichen vor Ort, der „null Bock auf den Scheiß“ hat? Welche soziale Einrichtung hätte denn die Ressourcen, eine Jugendliche für ein paar Monate einzuarbeiten, die dann wieder geht? Wehrpflicht kann auch nicht auf Umwegen legitimiert werden.

Eine Berufs- bzw. Freiwilligenarmee ist angemessen. Wer sich dafür entscheidet, weiß, was er oder sie tut, hat die eigene Entscheidung hoffentlich gut überlegt, wird angemessen entlohnt. Die berühmte Rede vom „Bürger in Uniform“, der (oder die) eine Armee angeblich in der Mitte der Gesellschaft beheimatet, legitimiert keinen Pflichtdienst. Für eine Armee in der Demokratie müssen Ethikunterricht und Marketingstrategen andere Ideen entwickeln!

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Margot Käßmann

ist Landesbischöfin a.D. und ehemalige Ratsvorsitzende der EKD. Bis 2018 war sie Herausgeberin von "zeitzeichen". Sie lebt in Hannover.


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