Engagiert

Hermenaus Herzblut

Die Autorin, 1964 in Leipzig geboren und in der DDR parteilos, zog 1990 für Bündnis 90/Die Grünen in den Sächsischen Landtag ein, von 1994 bis 2004 saß sie im Bundestag, von 2004 bis 2014 erneut im Sächsischen Landtag, und zwar als Fraktionsvorsitzende. Nachdem ihr Versuch, eine Koalition mit der cdu zustande zu bringen, gescheitert war, legte sie das Landtagsmandat sogleich nieder. Und 2015 verließ sie ihre Partei. 2019 amtierte Hermenau als Landesgeschäftsführerin der Freien Wähler ohne großen Erfolg. Diese erzielten nur 3,4 Prozent der Stimmen, kamen also am 1. September 2019 nicht in den Landtag.

Sie war nie am Zeitgeist orientiert, sondern nahm stets eine eigene, nicht an tagespolitischen Opportunitäten ausgerichtete Position ein. Und das stellt sie nun erneut unter Beweis. In ihrem Buch, eine „Liebeserklärung an Sachsen, Deutschland und Europa. Exakt in dieser Reihenfolge“, zeigt sie großes Verständnis für ihr Land, das heftige Kritik erfährt. Die Autorin, die keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, beklagt die Entwertung der Lebensleistung nach 1990 und die verbreitete Entchristlichung zumal der jungen Generation. AfD, wesentlich die Interessen Einheimischer vertretend, und Grüne, vor allem global empfindend, schaukelten sich nicht zum Nutzen der Demokratie gegenseitig hoch. Die Verfasserin hält nichts von offenen Grenzen, weil diese den Sozialstaat gefährdeten. Hingegen plädiert sie für ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz, das steuert und Bürger nicht überfordert, sowie für mehr Subsidiarität.

Die Kritik an Brüssel fällt scharf aus, ebenso die an manchen westlichen Führungskräften in Sachsen. Die engagierte Protestantin, erst spät, 2011, in der Frauenkirche getauft, strebt ein Europa an, das nicht „das Individuum an die Stelle Gottes“ setzt. Sie schont die evangelischen Kirchen nicht. Ihre Frage ist rhetorischer Natur: „Wenn die Kirche nur noch zeitgeistlich spricht, wen wundert es dann, dass sie als zeitgeistliches Phänomen mit kurzem Verfallsdatum wahrgenommen wird?“

Gewiss, die Schrift lässt zuweilen Systematik vermissen und verallgemeinert unnötig. Die vier Kapitel, zunächst über Spezifika Sachsens, dann über seine Rolle in Mitteleuropa, schließlich zur sozialen und wirtschaftlichen Situation des Freistaates und am Ende zur sächsischen Skepsis gegenüber Westeuropa (nicht gegenüber Mitteleuropa), sind nicht ganz trennscharf und auch nicht frei von
Redundanzen. Aber der rote Faden ist trotz mancher argumentativen Sprunghaftigkeit erkennbar: Hermenau schreibt eine geharnischte Kritik an der geharnischten Kritik Sachsens, mutig und leidenschaftlich, ohne deswegen rechtsextremistische Tendenzen zu bagatellisieren. „Wenn von Sachsen erwartet wird, sie seien es, die sich im eigenen und selbst aufgebauten Land an Zuwanderer aus einem sehr anderen Kulturkreis anpassen sollten, wird es schwierig. Wir sind stolz auf unsere Geschichte, auf unsere Arbeit und unsere Kultur, unsere Vorfahren und unsere Eigenheiten.“

Sie rückt manche schiefen Sichtweisen zurecht und wendet sich gegen Massenimmigration, nicht aber gegen die Integration von Migranten. Da die Sächsin zuweilen in ihren Dialekts wechselt („loofen musses“, „Die hamse ja wohl nicht mehr alle da ohm“), argumentiert sie glaubwürdig, niemals aufgesetzt.

Dem engagiert geschriebenen und zuweilen mit augenzwinkernder Ironie gespickten Buch ist der Wandel Hermenaus gegenüber früher zu entnehmen. Ob man ihn nun teilt oder nicht: Ihr ist Respekt zu zollen. Die Protestantin protestiert gegen multikulturalistische Sichtweisen, und zwar mit Herzblut. Was nicht vergessen werden sollte: Sie redet frei von der Leber weg. So wirkt die Schrift ausgesprochen authentisch – Chapeau, Antje Hermenau.

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