Die Schreibtischtäter von der Wartburg

Auf den Spuren des „Entjudungsinstitutes“ in Eisenach
Wartburg in Eisenach
Foto: Philipp Gessler
Die Wartburg in Eisenach.

Vor achtzig Jahren wurde in Eisenach das so genannte Entjudungsinstitut gegründet, das die jüdischen Traditionen des Christentums tilgen und aus Jesus einen Arier machen wollte. Jetzt erinnerte eine Tagung am gleichen Ort an die Arbeit der protestantischen Nazi-Theologen.

Wenn es nicht so traurig, ja mörderisch gewesen wäre – man müsste darüber lachen. Was in Thüringen auf der Kuppel neben der Wartburg hoch über Eisenach vor 80 Jahren seinen Anfang nahm, war ungefähr so sinnvoll wie ein Fußballspiel ohne Tor oder ein Auto ohne Motor. Aber das Ganze war trotz aller Absurdität todernst. Mit der Betonung auf Tod.

Im schmucken Festsaal des edlen Hotels an der Wartburg wurde im Mai 1939 mit einem Festakt unter einer großen Hakenkreuzfahne das so genannte Entjudungsinstitut gegründet, das offiziell „Institut  zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ hieß. Die bis 1945 existierende kirchliche Einrichtung wurde ins Leben gerufen und finanziert von evangelischen Theologen, Kirchenleitern und elf deutschen Landeskirchen. Das Ziel der Einrichtung: das Christentum zu „entjuden“. Oder anders gesagt: aus Jesus einen Nicht-Juden, ja einen „Arier“ zu machen.

Das ist verrückt – aber die Verrücktheit hatte Methode, ja sie schien den beteiligten Theologen, allesamt glühenden Nazis, dringend. Denn wie sollte es in der Logik dieser antisemitischen, judenfeindlichen Theologen möglich sein, an einen Christus, eben Jesus von Nazareth, zu glauben, der selbst Jude war?

Welche absurden intellektuellen Pirouetten die Theologen unternehmen mussten, um dieses Ziel zu erreichen, schlimmer noch: wie sie zu theologischen Schreibtischtätern des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden wurden, das waren zwei zentrale Fragen einer großen Tagung, die eben im Festsaal des Hotels an der Wartburg, von Mittwoch bis Freitag zum Thema „Entjudungsinstitut“ stattfand. Zugleich wurde am Donnerstagabend im Eisenacher Lutherhaus am Fuße der Wartburg eine neue Sonderausstellung zur Geschichte des pseudowissenschaftlichen Instituts eröffnet, unter Beisein illustrer Ehrengäste: des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke), des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, des Beauftragten der Bundesregierung für den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, sowie der früheren Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann.

Noch nie hat sich eine Tagung so intenstiv mit dem „Entjudungsinstitut“ beschäfigt, das bis heute in weiten Kreisen der Kirche, Theologie und Geschichtswissenschaft immer noch unbekannt ist. Und ein Name fiel dabei immer wieder, auch weil er die Geschichte des „Entjudungsinstituts“ besonders eindrücklich beschreibt: der Name des evangelischen Theologen Walter Grundmann (1906-1976).

Der Professor für Neues Testament in Jena – Grundmann erhielt den Lehrstuhl ohne Habilitation – war nicht nur förderndes SS-Mitglied, sondern auch Initiator und wissenschaftlicher Leiter des Eisenacher Instituts. Diese „Forschungseinrichtung“ hatte insgesamt 180 Mitarbeiter, darunter zwei Dutzend Professoren, wenn auch nur eine Handvoll hauptamtlicher Angestellte. Es war also keine irrelevante Vereinigung von Spinnern oder Außenseitern, sondern gerierte sich als eine ernst zu nehmende und reichsweit beachtete wissenschaftliche Institution mit immensem Einfluss auf die Theologie, Kirche, Politik und Gesellschaft.

Grundmann war deshalb von so großer Bedeutung, da er nicht nur die programmatische Ausrichtung des Instituts formulierte, sondern 1940 mit seinem Buch „Jesus der Galiläer und das Judentum“ das zentrale Paradigma der theologischen Pseudo-Forschung des Instituts schon ein Jahr nach seiner Gründung auf den Punkt brachte. Demnach sei Jesus, rassisch gesehen, kein Jude gewesen, sondern ein nicht-jüdischer Galiläer.

Die Argumentation Grundmanns war abenteuerlich und rassistisch: „Die Unterwerfung der Galiläer unter die Juden erfolgte durch Zwangsbeschneidung und Zwangsannahme der jüdischen Religion. Wer sich weigerte, wurde von seinem Boden vertrieben … Wenn also die galiläische Herkunft Jesu unbezweifelbar ist, so folgt auf Grund der eben angestellten Erörterung daraus, dass er mit größter Wahrscheinlichkeit kein Jude gewesen ist, vielmehr völkisch einer der in Galiläa vorhandenen Strömungen angehört hat. Dass er wie die meisten Galiläer von seiner Familie her jüdischer Konfession gewesen ist, die er selbst restlos durchstoßen hat, hatten wir bereits festgestellt.“ In dieser Pseudo-Logik Grundmanns wurde Jesus eine Art galiläischer, nicht-jüdischer Freiheitskämpfer gegen die Pharisäer und das jüdische Establishment der römischen Provinz Palästina um die Zeitenwende – und bezahlte diesen Kampf mit seinem Tod am Kreuz.

Dieses theologische und historische Phantasma widerspricht zwar unzähligen Stellen im Neuen Testament, die Jesus als gesetzestreuen, frommen Juden beschreiben. Aber was soll?! Nur die theologische Pseudo-Forschung, die diesem völkisch argumentierenden Theorem eines angeblich irgendwie nicht-jüdischen Jesus folge, wurde im Eisenacher Institut akzeptiert und gefördert. Es waren NS-Überzeugungstäter, die unter der Wartburg arbeiteten, sie publizierten eine Unmenge, und es waren viele. Zu den Jahrestagungen des Instituts kamen von 1940 bis 1942 bis zu 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Wer am oder für das „Entjudungsinstitut“ arbeitete, konnte aufgrund des Netzwerk-Charakters dieser ruchlosen Wissenschaftsclique mit ordentlichen Karrieresprüngen rechnen, übrigens vor wie manchmal auch nach 1945.

Dabei wurde, was nicht passte, einfach passend gemacht. Schon 1940 wurde zum Beispiel eine „entjudete“ Bibel mit dem Namen „Botschaft Gottes“ vom Institut veröffentlicht, immerhin mit einer Auflage von 200.000 Stück. Das war nur möglich durch umfassendste Verzerrungen der Heiligen Schrift. Ein Beispiel war die Zensur, die Grundmann und seine Leute vornahmen, um die jüdische Identität Jesu schon bei seiner Geburt zu verschleiern: Aus der Weihnachtsgeschichte nach Lukas strichen sie die Sätze oder Halbsätze, wonach Jesu (Stief-)Vater Joseph aus der „Stadt Davids“, Bethlehem, kam und aus „dem Hause und Geschlechte Davids“ stammte. Die Beschneidung Jesu im Tempel wurde schlicht gestrichen.

Ähnlich absurd war die Tilgung jüdischer Bezügen im Evangelischen Gesangbuch. Das Institut gab 1941 ein „entjudetes“ neues Gesangbuch heraus – mit dem Titel „Großer Gott wir loben dich“. Darin wurde aus der Zeile „Heilig, Herr Gott Zebaoth“ aus dem Titel gebenden geistlichen Lied „Heilig, heilig, Herre Gott“. Die Zeile „lobe mit Abrahams Samen“ aus „Lobe den Herren“ wurde „stimme mit Freude zusammen“. Und im Lied „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ wüteten die Entjuder besonders: Die Zeilen „die süße Wurzel Jesse. / Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm, / mein König und mein Bräutigam“ wurden umgedichtet in: „uns herrlich aufgegangen. / Du hohe klare Himmelssonn, / du ewge Freud und wahre Wonn“.

So ging das sechs Jahre lang – Unmengen an Papier wurden vollgeschrieben. Auf der Tagung wurde deutlich, dass weiterhin unklar ist, wie genau diese Schriften wirkten und rezipiert wurden, gerade beim Holocaust. Das ist eines der vielen Forschungsdesiderate zum „Entjudungsinstitut“. Klar ist: Im Laufe der Jahre radikalisierte sich der Ton des Instituts, und Grundmanns antisemitische Hetze erst recht, wohl auch weil das NS-Regime die Unterstützung nazifreundlicher Christen – etwa der „Deutschen Christen“ - zum Machterhalt immer weniger nötig hatte und das Institut umso mehr seine Linientreue und antisemitische Radikalität betonen musste.

So schrieb Grundmann 1942, als der Holocaust in seine mörderischste Phase eintrat und die Krematorien in den KZ in Osteuropa schon rauchten: „Im großdeutschen Schicksalskampf, der ein Kampf gegen das Weltjudentum … ist, gibt die Arbeit des Instituts an ihrem Platze das Rüstzeug zur Überwindung aller religiösen Überfremdung im Innern des Reiches an die Hand und dient dem Glauben des Reiches. So stellt sie ein Stück des Kriegseinsatzes der deutschen Religionswissenschaft dar.“ Die Eisenacher Schreibtischtäter wollten mittöten, zumindest verbal.

Und nach dem Krieg? Die Tagung bewies in erschütternder Deutlichkeit, dass nach 1945 so gut wie keiner der Mitarbeiter des Instituts auch nur eine Spur von Reue für ihre mörderische Arbeit einer ideologisch-theologischen Begründung des Völkermords an den Juden Europas zeigte. Grundmann etwa log sich 1969 in einem für seine Angehörigen verfassten Buch mit dem Titel „Erkenntnis und Wahrheit“ so raus, dass sich ihm in der NS-Zeit die Frage gestellt habe: „Können wir Christen bleiben …?“ Seine Antwort und die seiner theologischen Mitstreiter sei die Gründung des Instituts gewesen. „Wir hofften mit unserer Arbeit dem deutschen Volk, der deutschen Christenheit und dem Nationalsozialismus eine Dienst zu tun.“ Aus gelegentlichen Konflikten mit höheren, manchmal religionsfeindlichen Nazi-Stellen konstruierte Grundmann die Legende, er habe mit dem Institut nur Schlimmeres verhindern wollen, vor allem einen Kampf des Regimes gegen den Protestantismus.

Keiner der führenden Theologen des „Entjudungsinstituts“ wurden nach 1945 von ihrer Kirche oder der neuen staatlichen Macht ernsthaft zur Rechenschaft gezogen – die meisten von ihnen landeten wieder weich im Schoss von Mutter Kirche. Grundmann wurde 1954 Rektor des Katechetenseminars in Eisenach, was ihm immerhin noch gehörigen Einfluss auf die Kirche unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus gab. Am Rande der Tagung berichteten Zeitzeugen und Wissenschaftler, wie entsetzt frühere Katecheten noch heute sind, wenn sie hören, was ihr geliebter Lehrer früher am Eisenacher Institut angestellt hat. Dann fließen sogar Tränen. Grundmann war und ist für manche immer noch ein Held.

Es gibt noch eine letzte zynische Pointe im Fall Grundmann, die zeigt, dass der scheinbar fromme Christenmensch ein gnadenloser Opportunist war. Über ein Jahrzehnt lang arbeitete der antisemitische Nazi-Theologe von einst, dessen Evangelienkommentare noch bis in die Achtziger Jahre hinein in Ost und West viel gelesen wurden, als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, Deckname:„Berg“. Er übergab vertrauliche Kirchen-Papiere an das Ministerium für Staatssicherheit, war sich für die Annahme von ein paar MfS-Silberlinge nicht zu schade und verpfiff Interna über Bischöfe in Ost und West.

Als Grundmann 1976 starb, erhielt er dennoch einen warmen Nachruf. Der Autor war Herbert von Hintzenstern (1916 - 1996), der im Eisenacher Institut gearbeitet und bei Grundmann promoviert hatte – und nach dem Krieg ebenfalls nicht belangt wurde. Der Theologe Hintzenstern würdigte in der von ihm heraus gegebenen Kirchenzeitung „Glaube und Heimat“ seinen verstorbenen früheren Doktorvater. Dessen führende Rolle im „Entjudungsinstitut“ erwähnte von Hintzenstern mit keinem Wort. Auch er war nach 1945 weich gelandet: Der treue Doktorand Grundmanns leitete die Pressestelle der evangelisch-lutherischen Kirche in Thüringen und hatte bis 1986 fast zwei Jahrzehnte ein interessantes Nebenamt inne: Er leitete das Lutherhaus in Eisenach.

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